Überschwänglich und reifer

Hoffenheims Nadiem Amiri avanciert bei der U21-EM zum Matchwinner

Das Spiel des 22 Jahre jungen Technikers ist viel erwachsener geworden – Am Sonntagabend steigt das Finale gegen Spanien

28.06.2019 UPDATE: 29.06.2019 06:00 Uhr 3 Minuten, 7 Sekunden

Freistoß ins Glück: Nadiem Amiri (r.) trifft wild entschlossen zum 4:2 für den deutschen Nachwuchs gegen Rumänien. Foto: Imago

Von Tobias Schächter

Bologna. Nadiem Amiri dribbelte auch noch in der Mixed Zone, zunächst von einem italienischen Reporter zu einem aus Rumänien und erzählte seine Geschichte in gutem Englisch. Schließlich tauchte der Offensivspieler der TSG Hoffenheim vor den Pulk von deutschen Journalisten auf, es herrschten auch kurz vor 22 Uhr noch fast 40 Grad unter dem Pressezelt im Stadion von Bologna.

Aber Amiri wirkte frisch. Es war ja auch genau jener Moment, auf den er seit sieben Wochen hingearbeitet hatte. Damals hatte er sich im Bundesligaspiel gegen Bremen einen Außenbandriss im linken Knöchel zugezogen, seine Teilnahme an der U21-EM in Italien schien in Gefahr.

Doch Donnerstagnacht war er gefragt, nach dem 4:2-Sieg der Deutschen im Halbfinale gegen Rumänen. Amiri hatte ebenso zwei Tore erzielt wie der Freiburger Stürmer Luca Waldschmidt und ist nun neben Mahmoud Dahoud, Timo Baumgartl und Levin Öztunali einer von vier Spielern im Kader, die zum zweiten Mal in Serie den EM-Titel gewinnen können. Wie vor zwei Jahren in Polen heißt der Finalgegner am Sonntag (20.45 Uhr/ARD) in Udine Spanien. Trainer Stefan Kuntz hatte vor dem Turnier mit einem rhetorischen Kniff seine Spieler motiviert: "Wir wollen den Titel nicht verteidigen, sondern erobern", forderte der ehemalige Nationalspieler. Die Spanier, die im Semifinale Frankreich 4:1 bezwangen, werden das Endspiel wohl genau mit dieser Einstellung angehen.

Für Amiri war es in Bologna der erste Turnier-Einsatz von Anfang an, nachdem er zunächst dem Augsburger Marco Richter den Vortritt hatte lassen müssen. Richter überragte die ersten beiden Spiele, verletzte sich dann ein wenig, während Amiri von Trainer Kuntz immer wieder längere Spielpraxis bekam. Gegen Rumänien war Amiri dann topfit und der beste Spieler im weißen Trikot.

Auch interessant
Bundesliga-Spielplan: Hoffe startet in Frankfurt - Auftakt Bayern gegen Hertha
EM in Italien und San Marino: U21 vor "Sahnehäubchen" gegen Spanien - Löw reist an
TSG-Sommerfahrplan: Trainingsauftakt, Testspiele, Trainingslager - So bereitet sich die TSG auf die neue Saison vor (aktualisiert)

Das 1:0 (17.) erzielte er mit einem beherzten Schuss nach einem Antritt aus dem Mittelfeld und in der Nachspielzeit traf er so wie Luca Waldschmidt kurz davor (87.): per Freistoß. Danach zog Amiri trotz der Hitze noch einmal einen Sprint an wie ein Hundertmeterläufer im entscheidenden Lauf seines Lebens. "Ich war eigentlich tot, aber dann hatte ich so viel Kraft, das waren einfach Emotionen pur", erzählte Amiri hinterher: "Der Trainer wollte mich auswechseln, aber ich habe gesagt, nee, lass mich drin. Ich wollte unbedingt schießen."

Überschwänglich ist auch die Art, wie Amiri Fußball spielt. Wobei: Das Spiel des 22 Jahre jungen Technikers ist viel erwachsener geworden, er weiß jetzt viel besser, wann er abspielen soll und wann er dribbeln kann. Eine Lehre, die er in Hoffenheim unter seinem langjährigen Trainer Julian Nagelsmann, gezogen hat. "Die Bolzplatz-Mentalität aber lasse ich mir nicht austreiben", betont Amiri, der A-Nationalspieler werden und regelmäßig Champions League spielen will. Sein Verbleib in Hoffenheim bei einer angeblichen Ausstiegsklausel von 14 Millionen Euro in seinem Vertrag ist nicht sicher.

"Bolzplatz-Mentalität" ist übrigens eines jener Stichworte, die im Zentrum der Neujustierung der Talente-Ausbildung beim DFB stehen. In der aktuellen U 21-Auswahl kicken noch Bolzplatztypen wie Amiri und Waldschmidt, der sich für sieben Turniertore in vier Spielen feiern lassen darf. Und in Timo Werner, Thilo Kehrer, Julian Brandt, Kai Havertz und Leroy Sané dribbelten sich bereits noch in der U 21 spielberechtigte Großtalente in der A-Elf fest.

In der Euphorie nach dem abermaligen Finaleinzug meinte DFB-Vizepräsident Dr. Reinhard Rauball: "An allen Ecken und Ende hört man, dass es nicht gut bestellt sei um den deutschen Nachwuchs. Diese Mannschaft hat das heute widerlegt." Dabei hatte vor dem Halbfinale Meikel Schönweitz, der "Cheftrainer U-Mannschaften" beim DFB, in einer Journalistenrunde im Mannschaftsquartier der Deutschen im Friaul noch erklärt, dass es gerade in den nachrückenden Jahrgängen an Ausnahmetalenten fehle. Man müsse nachjustieren, um den Weltklassestatus auf Dauer aufrechtzuerhalten

Die aktuelle U 21 beweist in Italien aber nicht nur Kreativität. Fast alle Spieler sind gestandene Bundesligaprofis, Amiri beispielsweise absolvierte schon 105 Erstligaspiele. Diese in der Bundesliga gestählte Wettkampfhärte und Erfahrung gab auch im Glutofen von Bologna den Ausschlag für den Erfolg gegen zunächst überlegene, dann kraftlose Rumänen.

Und Trainer Stefan Kuntz reißt mit seiner emotionalen Art die jungen Spieler mit. In der Halbzeit, erzählte Amiri, habe der Trainer eine sehr, sehr emotionale Ansprache gehalten, die Mannschaft sehr hart angepackt: "Das hat uns gut getan, das hat uns gepuscht." Kuntz hat es auch durch einfache menschliche Kniffe geschafft, die Spieler zu einem Team zu vereinen. Er gibt jedem das Gefühl, wichtig zu sein.

Nach dem Sieg gegen Rumänien umarmte er beispielsweise ganz lange den Neu-Berliner Eduard Löwen, der wieder einmal nicht zum Einsatz gekommen war. Oder: Nach Amiris Verletzung schrieb Kuntz dem gebürtigen Ludwigshafener und Sohn afghanischer Eltern noch im Stadion eine Nachricht, in der er ihm mitteilte, er baue auf ihn bei der EM.

Die Spieler danken Kuntz dessen Vertrauen, in dem sie sich immer wieder neu überwinden. Am Donnerstag in Bologna schafften sie trotz Rückstand, Hitze und rund 12.000 enthusiastischen rumänischen Fans die Wende. Vor zwei Wochen, im Trainingslager in Tirol, sagte Nadiem Amiri: "Ich hoffe, wir können dem Trainer wieder etwas zurückzahlen." Mit dem zweiten Einzug in ein EM-Finale in Serie ist das den Spielern nun eindrucksvoll gelungen.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.