1899 Hoffenheim

Wenn Niklas Süle Trost spendet

Trotz des ernüchternden 1:3 gegen FC Bayern glaubt der langjährige TSG-Abwehrhüne an "seinen" Dorfverein: "Hoffenheim kann ein Champions-League-Anwärter sein"

20.01.2019 UPDATE: 21.01.2019 06:00 Uhr 3 Minuten, 3 Sekunden

Abklatschen bei Rot und Blau: Niklas Süle und Robert Lewandowski (l.) bejubeln das 3:1.  Fotos: APF/Im

Von Joachim Klaehn

Sinsheim. Zumindest ein "Hoffenheimer" hatte Grund zum Lachen - nach dem 3:1 (2:0)-Erfolg seines FC Bayern München. Von 2010 bis Juni 2017 trug der 1,95 Meter große Hüne Niklas Süle das Trikot der TSG, debütierte mit 17 Jahren und acht Monaten bei den Profis und agierte 108 Mal für "Hoffe" in der Bundesliga. "Lauter alte Gesichter", sagte Süle beim Durchschreiten der Mixed Zone, musste noch einmal schnell zu seinem Vater und kehrte in herrlicher Plauderlaune zurück. "Es ist immer schön, bekannte Gesichter zu sehen, mit denen man so viele Jahre zusammengearbeitet und tolle Dinge erreicht hat", berichtete Süle über das Wiedersehen mit den ehemaligen Teamkollegen.

Auf dem Stadionrasen umarmte er nach dem Rückrunden-Start am späten Freitagabend so gut wie alle. Die Spieler der Blauen, die Mitglieder des Trainerteams, die Betreuer, das Maskottchen "Hoffi". "Ich bin hier wie Zuhause", sagte Süle über eine für ihn emotionale Begegnung, "ich war jetzt in meiner freien Zeit wieder drei, vier Tage hier in Sinsheim, weil meine besten Freunde hier wohnen, weil meine Freundin von hier kommt."

Süle wirkte nach den Toren von Leon Goretzka (34., 45.+1), Robert Lewandowski (87.) und dem zwischenzeitlichen Anschlusstreffer von Nico Schulz (59.) wie ein Trostspender für den Kraichgauklub, der sich in der ausverkauften Arena (30.150 Zuschauer) von der Dominanz und Brillanz des Münchner Starensembles förmlich erdrücken ließ. "Hoffenheim hat sich das schon anders vorgestellt gegen uns", meinte Süle und zeigte sich hoch zufrieden mit der zeitweiligen Machtdemonstration, "die TSG kann trotzdem ein Champions-League-Anwärter sein. Ich traue es den Jungs absolut zu und drücke beide Daumen."

In der ersten Halbzeit war nichts von der sonstigen Hoffenheimer Leidenschaft zu sehen. Die "Nagelsmänner", obgleich ohne Sechser sehr offensiv aufgestellt, wirkten seltsam ideenlos, harmlos, wie gehemmt, ja paralysiert von der eigenen Versagensangst sowie vom augenfälligen Selbstbewusstsein des Serienmeisters. Die Kovac-Bayern beherrschten, wie zu Zeiten des Fußball-Gurus Pep Guardiola, Ball, Raum und Gegner. "Wir haben keinen Zugriff bekommen", lamentierte Innenverteidiger Stefan Posch, "vielleicht hatten wir zu viel Respekt vor ihnen. Da war zu wenig Mut, zu wenig Anbieten." "Sensationell" sei laut FCB-Trainer Niko Kovac die Vorstellung seiner Mannschaft über weite Strecken gewesen. Der strategische Matchplan mit einem flexibel interpretierten 4-2-3-1-System, einem kompakten Mittelfeld und Doppeltorschütze Goretzka als Zehner ging voll auf.

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Ehrung: Trainer Julian Nagelsmann bekommt ein Souvenir von den TSG-Geschäftsführern Briel (r.u., v.l.) und Görlich sowie von Manager Rosen zum Jubiläum überreicht. Fotos: APF/Im

Bei den Hausherren hingegen sah man erst nach dem Kabinengang Licht im Tunnel. Endlich wehrten sich die Hoffenheimer energisch, fingen an zu pressen und setzten sich in der Münchner Hälfte auch mal herzhaft fest. Mit dem Aufsetzer von Nico Schulz zum 1:2 (59.) wurde die Partie zum offenen Schlagabtausch, auch weil Julian Nagelsmann die Grundordnung änderte und mit Florian Grillitsch und Dennis Geiger zwei Sechser einwechselte. "Da wurde es ein bisschen wild bei uns", kritisierte Süle zurecht. Wie der Titelverteidiger und BVB-Jäger seine Souveränität verlor, war in der Tat bemerkenswert. Wenn Adam Szalai nämlich seinen Kopfball aus vier Metern (83.) verwandelt hätte - Bayern-Keeper Manuel Neuer parierte großartig -, wäre diese Partie womöglich sogar noch gekippt. Die allerletzten Zweifel räumte Lewandowski mit dem erlösenden 1:3 (87.) aus, exzellent von Feinfuß James und Schlaks Thomas Müller vorbereitet.

Aus Sicht der Hoffenheimer ist die Niederlage gegen die Bayern zwar kein Beinbruch, doch sie müssen schleunigst zu ihrer Emotionalität, Entschlossenheit, Dynamik und Spielfreude zurückfinden, sollen die hoch gesteckten Saisonziele mit einer Europapokal-Teilnahme realisiert werden. Größtes Manko: Seit sieben Bundesliga-Spielen sind die "Nagelsmänner" ohne Sieg, das zehrt am Nervenkostüm und lässt auch keinen Sprung in der Tabelle zu. "Mit den zweiten 45 Minuten kann ich leben", bilanzierte Nagelsmann nach seinem 100. Bundesliga-Spiel mit gerade mal 31 Jahren. Noch vor dem Topspiel hatte er gemeinsam mit den TSG-Verantwortlichen Frank Briel, Peter Görlich und Manager Alexander Rosen entspannt in die Kameras geguckt, nun musste der Oberbayer seine erste Heimniederlage gegen den Branchenriesen akzeptieren. Nagelsmann tat dies mit stoischer Miene und einer süffisanten Anmerkung: "Wenn du in talentfreien Bereichen wie Zweikampfführung und Aggressivität deutlich schlechter bist als der Gegner, der talentreicher ist, dann wird es schwierig."

Nico Schulz (r.o.) wird vor den Augen von Manuel Neuer von Leonardo Bittencourt fürs 1:2 gefeiert.   Fotos: APF/Im

Selbst in der Komfortzone des Dorfklubs könnte es bei fehlenden Erträgen ungemütlicher werden. "Jetzt wird’s Zeit, wieder zu gewinnen", konstatierte Posch im Hinblick auf die Auswärtsaufgabe am Samstag (15.30 Uhr) beim badischen Rivalen SC Freiburg folgerichtig.

Positiv für die TSG: RB Leipzig verlor gegen Dortmund - der Abstand auf Rang vier ist gleich geblieben.

Gleichzeitig erfüllten sich die Wünsche für die "Halali-Bayern" nicht. Dabei hatte der sympathische Heimkehrer Niklas Süle zu später Stunde am Freitag aus seinem Herzen keine Mördergrube gemacht und lächelnd ein Stoßgebet in den Münchner Himmel geschickt: "Wir hoffen, dass die Dortmunder eventuell morgen schon ... das wünscht man ja eigentlich nie, ich denke immer auch ein bisschen an Karma … ich hoffe, dass sie morgen verlieren." Taten sie nicht. Das Schicksal und das Spielglück müssen sich selbst die großen Bayern hart erarbeiten.

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