Von Katharina Schröder
Rhein-Neckar-Kreis. Rea ist 19, selbstbewusst und fröhlich. Er studiert VWL, wohnt in einer 14.000-Einwohner-Gemeinde im Rhein-Neckar-Kreis und hat große Pläne für seine Zukunft. Klingt eigentlich wie bei jedem anderen Jugendlichen kurz nach dem Abitur. Nur steht auf seiner Liste kein Work and Travel in Neuseeland, sondern eine Hormontherapie. Rea ist ein Transmann.
Noch steht in seinem Personalausweis ein anderer, weiblicher Name, aber den trägt Rea in seinem Alltag schon lang nicht mehr. Vor zwei Jahren hat er sich vor seiner Klasse geoutet. Für seine Eltern war er damals schon längst Rea. "Ich war früher benannt nach einer griechischen Göttin, und mein Zweitname hatte die Bedeutung ’erstgeborene Tochter’", erzählt der 19-Jährige. "Das hat nicht so gepasst." Die Änderung im Personalausweis und in der Geburtsurkunde will Rea noch beantragen. "Aber das ist noch ein bisschen Arbeit." Erst mal hat er einen ergänzenden Ausweis. "Den zu kriegen, war gar nicht so schwer", führt Rea aus.
Aber wie findet man einen neuen Vornamen für sich? Der eigene Name ist eigentlich ein Teil der Identität, den man wenig bis gar nicht beeinflussen kann. "Ich musste auch überlegen, zuerst dachte ich an so was wie Max", erzählt er. "Aber dann hat mein Vater im Radio ein Lied von Rea Garvey gehört und dachte, das passt doch gut." Den Vorschlag fand der 19-Jährige nicht schlecht. "Und ich habe zu der Zeit ein echt gutes Buch gelesen", sagt er. "Da geht es um ein Erdmännchen namens Ray, das einen Vermisstenfall löst", erzählt der 19-Jährige und lacht. Die Parallele habe ihm auch gefallen.
Seine Eltern begleiten und unterstützen seinen Weg, sagt Rea. Zuerst hat er mit seiner Mutter gesprochen. "Sie wusste natürlich erst mal nicht, was sie machen soll", sagt der 19-Jährige. "Aber wirklich überrascht war sie wahrscheinlich auch nicht." Schon in der dritten Klasse habe er ihr gesagt: "Ich will lieber in der Jungen-Abteilung einkaufen", erläutert Rea. "Manchmal hat meine Mutter da mitgemacht, manchmal nicht", erinnert er sich. "Wir wussten damals ja beide noch nicht, dass es so etwas wie Transgender gibt." Die Haare trägt Rea kurz geschnitten, seit er sechs Jahre alt ist.
In der sechsten Klasse habe er eine Doku über Transgender gesehen. Heute beschreibt Rea das als Schlüsselmoment. "Ich dachte, ’Moment mal, das bin ja ich’", erzählt er. Trotzdem sei das Ganze zunächst wieder in Vergessenheit geraten. Bis der YouTube-Algorithmus ihm knapp zwei Jahre später dieselbe Doku empfohlen hat, und Rea sich erneut wiedererkannt hat. "Aber selbst dann hat es noch mal ein Jahr gedauert, bis ich es meiner Mutter gesagt habe." Die habe für Rea daraufhin einen Termin beim Kinderarzt ausgemacht, der ihn wiederum an eine auf Transgender spezialisierte Kinderpsychiatrie in Frankfurt verwiesen hat. "Da hatte ich ein Gespräch und sollte nach einem Jahr wiederkommen", erzählt Rea. "Und als ich zum zweiten Mal da war, haben sie gesagt, ich brauche keine Psychotherapie, weil ich mit der Situation gut klarkomme."
Diskriminierungserfahrungen musste Rea bisher noch keine machen. Bei einem anderen Trans-Jugendlichen an seiner Schule sah das anders aus. "Da haben sich Klassenkameraden verabredet und wollten ihn verprügeln", erzählt der 19-Jährige. "Er hat mir damals auch Tipps für mein Outing gegeben." Mehr Kontakt haben die beiden Jugendlichen aber nicht. "Meine Mutter sagt immer, ich soll mal zu so einem Transgender-Verein gehen. Aber ich habe einfach kein Bedürfnis danach", erklärt Rea. Klar könne der Austausch hilfreich sein, "aber manche Erfahrungen muss man einfach selbst machen." Außerdem sei die Situation ja auch bei jedem individuell.
Schwierige Momente in seinem Alltag gab es immer wieder. Zum Beispiel der Sportunterricht in der Schule. "Im Urlaub habe ich im Grundschulalter immer Badehosen getragen", erzählt Rea. In der Schule musste er einen Badeanzug anziehen und sich in der Mädchenumkleide umziehen. "Das war doof", fasst der 19-Jährige zusammen.
Schule sei aber keineswegs ein negativer Ort gewesen. Insbesondere das Gymnasium sei für ihn zu einem wichtigen Ort geworden. "Ich saß in der ersten Geschichtsklausur in der Oberstufe, und mein Kopf hat in diesem Moment beschlossen: Ok, ich muss mich jetzt wirklich outen", erzählt Rea. Warum ihm dieser Entschluss ausgerechnet in der Geschichtsklausur kam, dafür hat der 19-Jährige keine Erklärung. Die Geschichtsklausur war zwar verhauen, aber ein Prozess war angestoßen.
Rea hat viel Zeit mit dem Schulsozialarbeiter verbracht und sein Outing an der Schule vorbereitet. Zunächst habe er mit zwei Lehrern darüber gesprochen. "Die haben echt gut reagiert", lobt er. Seinem Tutor sollte er nur eine Stunde vor dem Outing Bescheid geben. "Ich habe ihm irgendwann gesagt, dass ich mich in der nächsten Mathestunde outen will, er meinte dann ‚ok‘", erzählt Rea. "Erst mal war es komplett still im Raum", erinnert sich der 19-Jährige. "Eigentlich gab es gar keine Reaktion von meinen Mitschülern, weil es allen schon klar war", sagt Rea. Geholfen hat da womöglich auch der Umstand, dass es an der Schule außer Rea noch zwei weitere transsexuelle Jugendliche gab.
Heute gebe es eigentlich keinen Bereich mehr, in dem Rea sich nicht als Transmann geoutet hat. Auch seine Großmutter habe die Situation akzeptiert. Rea steht noch am Anfang von einem langen Weg, aber er ist froh, dass er ihn eingeschlagen hat. Schon durch das Outing fühle er sich deutlich besser als zuvor. "Aber ein Unwohlsein ist immer da, wenn ich meinen Körper anschaue", sagt er. "Man weiß ja, wie ein männlicher Körper aussieht, und wenn ich in den Spiegel schaue, stimmt da eben was nicht."
Dieses Gefühl sei schwierig zu beschreiben – vor allem ohne Kraftausdrücke. Seit Februar hat Rea ein Rezept für die Hormontherapie. Angefangen hat er aber noch nicht. "Zu der Zeit hat gerade die Coronakrise begonnen, da war ich erst mal vorsichtig", sagt der 19-Jährige. Und dann kamen die Prüfungen. "Ich dachte, wenn ich beim Abi mit den Hormonen anfange, bin ich ja völlig bescheuert." Jetzt will Rea erst mal im Unialltag ankommen, aber dann soll es endlich losgehen.
An der Entscheidung, dass er die Hormontherapie beginnen will, sei seit dem Mathe-Abi nicht mehr zu rütteln. "Da hat sich mein Kopf wieder einen tollen Moment ausgesucht", erzählt Rea und lacht. Wie die Entscheidung, sich zu outen, in der Geschichtsklausur kam, habe er auch den Entschluss Hormone zu nehmen, mitten in der Prüfung gefasst. "Am Ende kamen dann auch nur sieben Punkte raus", erzählt Rea. Eigentlich sei er in Mathe ein Einserschüler gewesen. "Solche Dinge werden mir in blöden Momenten klar, aber das ist besser als nie", sagt Rea optimistisch.
An die Therapie geht er mit gemischten Gefühlen. "Man weiß ja gar nicht, was da alles auf einen zukommt", sagt er. Bedenken lösen auch mögliche Nebenwirkungen aus. Deswegen wollten seine Eltern auch nicht die Verantwortung für den unumkehrbaren Schritt übernehmen. "Sie wollten, dass ich das mit 18 selbst entscheide", erzählt Rea.
Während für andere die Pubertät mit 19 Jahren abgeschlossen ist, wird Rea eine zweite erleben. "Das ist natürlich ein bisschen komisch", sagt er. Aber er weiß, wofür er diesen Weg geht. Es sei ein weiterer Schritt in Richtung Mannsein, und darauf freut er sich. "Aber ich weiß auch, dass ich nie zu 100 Prozent ein Mann sein werde, weil das körperlich einfach nicht geht", sagt der 19-Jährige. "Aber das Geistige ist mir wichtiger. Dass ich mich auch wirklich wie ein Mann fühle."
Ein bisschen mulmig ist ihm schon vor den Veränderungen. "Ich weiß nicht, wie stark der Stimmbruch wird, und es kann sein, dass ich aussehe wie ein Bär. Aber es kann auch passieren, dass mir die Haare ausfallen", schildert er. "Das sieht man alles erst am Ende."