Was macht diesen Stoff so gefährlich?
Arzt Eiko Schnaitmann betreut in Heilbronn und Stuttgart seit mehr als 30 Jahren hunderte Patienten in der opiat-gestützten Substitution.

Von Tim Kegel
Heilbronn/Stuttgart. Eiko Schnaitmann äußert sich zur Opioidkrise in den USA und beschreibt, wie er die Situation hierzulande einschätzt.

In den USA ist seit Jahren von einer Opioidwelle die Rede, mit einer großen Anzahl von Überdosierungen und Toten. Ist so etwas auch bei uns in Deutschland denkbar?
Ich denke nicht; es ist bei uns aufwendiger, an solche Opioide wie Fentanyl, Oxycodon oder Morphine zu gelangen, weil wir ein vollkommen anderes Betäubungsmittelgesetz haben, mehr Kontrolle und Restriktionen. Stärkere Opioide bekommt man nur auf Betäubungsmittelrezepten. Wir haben noch eine andere Diagnoseabfolge und Schmerztherapieleitlinie als die Amerikaner. Diese Welle in den USA kommt auch meiner Ansicht nach durch den kritikloseren Einsatz der Opioide bei Schmerzpatienten, welche dann schnell in eine Opioidabhänigkeit geraten. Die große Welle erwarte ich nicht.
Ihre Praxis ist strengen Auflagen unterworfen. Die Zahl substituierender Ärzte ist bundesweit seit Jahren rückläufig.
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Ja, wenn wir Fehler machen, verlieren wir schnell die Approbation. Die Abgabe wird extrem genau dokumentiert, etwa über Vernichtungsprotokolle von Resten von Anhaftungen in den Methadon-, und Polamidon-Großgebinden. Patienten geben stichprobenartig Urinproben ab, machen auch Blut- und Speicheltests und kommen oft täglich oder mehrmals in der Woche zu uns.
Der Laie denkt, dass hauptsächlich Heroinabhängige in eine Substitutionspraxis kommen. Bemerken Sie so etwas wie eine Verlagerung zu synthetischen Substanzen oder dass die Patienten jünger werden?
Ja. Die jungen Leute bestellen sich synthetische Drogen aus dem Netz. Die erreichen wir nicht. Wir behandeln Patienten, die abhängig von Opioiden sind. Diese Dinge, wie man sie aus den USA hört, sind für uns immer noch Raritäten. Der weit überwiegende Teil unserer Patienten sind nach wie vor ursprünglich Heroinabhängige, oft in Kombination mit Schlaf- oder Aufputschmitteln und Psychopharmaka. Da hat sich in 30 Jahren nicht viel verändert. Ich erinnere mich aber an Touristen aus den USA, die zu uns in die Praxis gekommen sind und Oxycodon in hohen Dosen brauchten. Und es gibt vermehrt Patienten, die schon abhängig von synthetischen Opiaten zu uns kommen.
Sehen Sie einen Wandel bei den hauptsächlich eingenommenen Stoffen?
Früher war Tilidin verbreitet, auch Valoron genannt. Oxycodon kommt vor, Codeinpräparate. Inzwischen sehen wir in Urinproben vermehrt Fentanyl-Beikonsum.
In welchen Größenordnungen bewegen sich solche Fälle?
Bei 400 Patienten schätze ich zwischen drei und höchstens fünf Prozent; beim Fentanyl reden wir von fünf bis zehn.
Wie geraten diese Patienten in die Abhängigkeit von derlei synthetischen Opiaten?
Zum Problem in den USA hat geführt, dass in der Schmerztherapie, etwa bei Wirbelbeschwerden, oft Oxycodon verschrieben wird. Untersuchungen und andere Therapieformen sind vergleichsweise teuer. Das hängt auch mit dem anderen Gesundheits- und Versicherungssystem in den Staaten zusammen. In unserer Praxis kommt nur ein kleiner Prozentsatz aus der Schmerztherapie.
Wie gelangt man an hochpotente Schmerzmittel wie Fentanyl?
Wir wissen, dass einiges aus Altersheimen abgefischt wird, oder von der eigenen Oma, die einen Tumor hat; manches fällt auch bei Lieferungen an Apotheken "vom Laster".
Was macht diesen Stoff so gefährlich?
Beim Fentanyl sind das ja mehrtägig wirksame Pflaster, die entweder gelutscht oder ausgekocht und intravenös gespritzt werden. Bei Letzterem ist die Gefahr einer Überdosis sehr groß, weil man durch das Auskochen die Dosis nie richtig kennt. Das ist eine Substanz, von der die Menge eines Stecknadelkopfes so potent ist wie ein halbes Gramm Heroin.
Haben Sie als Arzt selbst einmal mit diesen Stoffen experimentiert, quasi aus Studienzwecken?
Nein, sowohl vor Heroin als auch vor Kokain habe ich zu viel Respekt; ich kenne aber Opiate vom Codein als Hustenmittel. Oder Subutex, Buprenorphin-Tabletten, die wir zu Pulver zermahlen, bevor sie die Patienten in der Praxis einnehmen: Dieser Stoff ist immerhin so potent, dass ich nach einem Vormittag an der Ausgabe schon leichtes Kopfweh hatte; nur von dem, was in der Luft war. Ich bleib’ da lieber beim Rotwein.



