Von Alisa Götzinger
Buchen. Als in Nepal 2015 die Erde bebte, als Häuser und Tempel einstürzten, als Menschen starben oder die Betroffenen hilflos vor den Trümmern ihres Lebens standen, das in nur 90 Sekunden komplett aus den Fugen geraten war, da unterrichtete mehr als 6500 Kilometer entfernt Daniel Schäfer, Lehrer an der Abt-Bessel-Realschule Buchen (ABR), gerade seine Fünftklässler. Eigentlich war es eher langweilig, denn Mathe stand auf dem Stundenplan.
Schüler helfen Erdbebenopfern
Doch Daniel Schäfer wählte aus aktuellem Anlass einen besonderen Einstieg: Er sprach mit der Klasse über die Katastrophe, über die Auswirkungen für die Menschen und stellte dann eine Rechenaufgabe: Wie lange muss ein Nepalese bei einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 30 Euro arbeiten, um sich ein Smartphone leisten zu können, und wie lange der Fußballstar Christiano Ronaldo? Die Antwort bringt die damals elfjährigen Schüler zum Nachdenken: Während Ronaldo sich das Handy nach acht Minuten kaufen könnte, bräuchte ein Nepalese ganze zwei Jahre.
Ab da ist für die Schüler klar: Wir wollen helfen! Gemeinsam fassen sie einen Plan: Innerhalb von zwei Wochen sollen 2000 Euro für die Opfer des Erdbebens gesammelt werden. Schon am nächsten Tag ging es los: "Wir haben mit selbst gebastelten Spendenkartons an ganz vielen Türen geklingelt, haben Leute auf der Straße angesprochen und waren bei Supermärkten. Wir haben überall gefragt, um Spenden zu bekommen", erinnert sich die heute 14-jährige Pauline Kuhn.
Die Aktion ist mehr als erfolgreich. Zwei Wochen später übergeben die Fünftklässler ihrem Mathelehrer 2500 Euro. Dies wollen sie in ein langfristiges Projekt investieren.
Nach längerer Suche wurde Daniel Schäfer auf Schüler aus Freiberg aufmerksam, die seit 2005 in Nepal aktiv sind und im Bergdorf Gati eine Schule bauten, die das Erdbeben komplett zerstörte. Dann ging alles relativ schnell: Zusammen gründeten sie bald ein Schülernetzwerk, dem bereits sechs Schulen angehören. Auch mit dem Geld der Buchener wollten sie nun den Wiederaufbau der Schule in Gati vorantreiben.
Bei den Buchener Schülern entwickelte sich aus einem kleinen Stein, der im Matheunterricht ins Rollen gebracht wurde, in den folgenden Wochen geradezu eine Lawine der Hilfsbereitschaft. "Wir waren total motiviert und wollten noch mehr Geld für die Menschen in Nepal sammeln", erzählt die 14-jährige Justine Lösch. "Also haben wir kleinere Aktionen gestartet und haben beispielsweise am Weihnachtsmarkt in Buchen einen Stand betreut."
Hilfsprojekt der Namaste Nepal sAG - Die Fotogalerie
Lehrer Daniel Schäfer ist nach wie vor überwältigt, wenn er an die Entwicklung denkt: "Da hat sich eine Dynamik entwickelt, die ich Kindern in diesem Alter nicht zugetraut hätte. So kam es, dass wir eine Schülerfirma, die Namaste Nepal sAG, gründeten und uns mit dieser dem Namaste-Schülernetzwerk der Freiberger angeschlossen haben." Das große Ziel aller Schüler: Sie wollen die Bildungssituation für ihre nepalesischen Freunde und damit die Zukunftsaussichten im Bergdorf Gati sowie in den Nachbardörfern verbessern.
Von Tür zu Tür gehen die Mitglieder der Schülerfirma für das Spendensammeln mittlerweile nicht mehr, auch wenn Justine den ersten Scheck und den Spendenkarton bis heute in ihrem Zimmer aufbewahrt, wie sie lachend erzählt.
Sie wollen inzwischen höher hinaus: Ein großer Teil der Projektfinanzierung läuft derzeit über den Verkauf von nepalesischem Kaffee, mit dem die Buchener auf eine echte Marktlücke gestoßen sind: "An unserem Schulfest vor zwei Jahren haben wir Kaffee verkauft, der von einer Kaffeekooperative in Nepal hergestellt wird. Die Leute haben uns sprichwörtlich die Bude eingerannt", erinnert sich Pauline und ihre Mitstreiterin Hanna Helter ergänzt: "Ab diesem Zeitpunkt hatten wir die Idee den Kaffee dauerhaft zu verkaufen."
Rauchen auch manchmal den Schülern bei den vielen Stunden, die sie in ihrer Firma verbringen, die Köpfe - das Nepalprojekt ist für sie eine große Herzensangelegenheit, mit der sie schon immer einen großen Traum verbanden: Einmal wollten sie Nepal besuchen und sehen, was dort mit ihrer Hilfe geleistet wird. Vor zwei Jahren Jahr ging der Traum für einige in Erfüllung. Mit ihrem Lehrer Daniel Schäfer flogen sie nach Nepal und besuchten das Dorf Sotang, das durch ihre Spenden unterstützt wird. Ein überwältigendes Erlebnis. "Die Menschen haben Stunden auf uns an der Straße gewartet und uns mit Blumen empfangen. Wir sind als Fremde gekommen und als Freunde gegangen", erzählt Justine.
Das Projekt hat dort vieles verändert: Die Kinder müssen nicht mehr zwei Stunden lang zur Schule laufen und haben die Chance auf Bildung. Die Buchener Schüler sind sich einig: Für solche Erfolge lohnt es sich, das Projekt auszubauen - getreu ihrem Motto: "Glaube nicht, dass eine kleine Gruppe von Menschen nicht fähig wäre, die Welt zu verändern! In Wahrheit sind sie die Einzigen, die es immer wieder geschafft haben."
Foto: privat
Die Namaste Nepal sAG
Die Schülerfirma Namaste Nepal sAG wird von ihren zwanzig Schülern soweit wie möglich eigenständig geleitet. Die Firma ist wie eine echte Firma aufgebaut: Die Schüler wählen einen Geschäftsführer, verhandeln mit Sparkassen, halten Vorträge und kümmern sich um die Buchführung. Zudem organisieren die Schüler selbstständig den Geschäftszweig der Kaffeeproduktion. So werden sie auch auf ihr späteres Berufsleben vorbereitet.
Foto: privat
Kaffeeanbau in Nepal
Kaffeeanbau in Nepal ist noch jung, doch gerade das Hochland gibt den edlen Bohnen ein besonderes Aroma. Der Kaffee der Schülerfirma entstammt aus einer Kaffeekooperation über den Projektpartner Karma Coffee Nepal. Er wird biologisch angebaut. Die Buchener Schüler zahlen den Kaffeebauern vor Ort das Doppelte des üblichen Kaffeepreises und eine Bioprämie von 50 Cent pro Kilogramm. Aktuell können 150 Menschen vom Kaffeeanbau leben. Alle Gewinne fließen in das Schulprojekt. Alleine 2018 wurden über 700 Kilogramm Kaffee verkauft.
Angela Merkel. Foto: dpa
Post von der Kanzlerin
Bei einem Treffen mit Staatsminister Michael Roth 2017 übergeben die Schüler mehrere Päckchen ihres Kaffees mit der Bitte, eines an Angela Merkel weiterzuleiten. Der Kaffee hat der Kanzlerin offenbar geschmeckt und die Schülerfirma hat sie wohl beeindruckt. In einem zweiseitigen und persönlich signierten Brief fand sie lobende Worte: "Vor diesem Hintergrund verdient Eure Schülerfirma großen Respekt und besondere Anerkennung. Ich wünsche Eurem Projekt weiterhin ganz viel Erfolg und Euch persönlich alles erdenklich Gute."