Von Sebastian Blum
Mannheim. Leopold hat sich richtig schick gemacht. Sein Gesicht ist geschminkt und gepudert, er trägt ein bauchfreies, mit grünen Pailletten überzogenes Shirt, hautenge Jeans und Schuhe mit Absätzen. Das ist ganz normal so, für ihn auf jeden Fall.
Als er die Tür zu einem Proberaum in der Mannheimer Popakademie öffnet, lächelt er breit. Etwas nervös ist er schon, aber das tut seinem Selbstvertrauen, das er mit dem gewählten Outfit, mit seinem Körper ausstrahlt, keinen Abbruch. Leopold weiß ganz genau, was ihn in seinem 25 Jahre alten Leben hier hin, nach Mannheim, zur Popmusik, in seine glitzernde Rolle gebracht hat.
Er schildert eine Szene. Als er in der Pubertät war und, zum Beispiel, auf dem Pausenhof stand, hielt er lieber seinen Mund. Hauptsache nicht sprechen müssen. Das ist nun etwa zehn Jahre her. Der Grund für sein Schweigen war seine Stimme, die war damals nämlich sehr hoch. Manche Mitschüler haben ihn spüren lassen, dass sie das eigenartig, um nicht zu sagen intolerabel fanden.
Irgendwann kam ein weiteres Eingeständnis hinzu. Während der Schulzeit hat Leopold etwas Wichtiges über sich selbst gelernt: Er stellte fest, dass er auf Jungs, nicht auf Mädchen steht.
Und noch heute stellen sich viele Jugendliche - und auch Erwachsene - die Frage, wie sie damit umgehen sollen, wenn sie herausfinden, dass sie homosexuell sind. Wie wohl die anderen reagieren, wenn man ihnen das erzählt?
Leopold ist eigentlich nur der dritte Name in Leopolds Personalausweis. Seinen eigentlichen Namen will er nicht preisgeben. Aber damals, zu ebenjener pubertären Zeit Mitte der 2000er Jahre, hat er noch etwas Wichtiges über sich und sein Leben herausgefunden: Er wollte irgendwann, wenn er erwachsen ist, auf der Bühne stehen und als Musiker Karriere machen.
Doch wie sollte er das anstellen? Ihm fehlte der Mut, um zu zeigen, wer er ist, wie er sich fühlt, wovon er träumt. "Ich habe lange daran gedacht, aber mich nicht getraut. Es war schwierig, Fuß zu fassen", erzählt Leopold, wie schwierig das Coming-Out damals für ihn war.
Aber irgendwann hat ihn einfach der Mut gepackt. Und seither ist etwas ziemlich Beeindruckendes passiert, was Leopold als "Prozess" bezeichnet: Früher hat er seine Homosexualität zunächst verheimlicht, und für seine hohe Sprechstimme hat er sich womöglich geschämt. Für genau diese beiden Eigenschaften wurde er als Jugendlicher vielleicht gehänselt, mindestens aber komisch angeschaut. Und doch hat er sie nicht verdrängt.
Im Gegenteil. Seine zarte, immer noch recht hohe Stimme und seine sexuelle Orientierung sind heute Teil seiner Show, seiner Identität, seiner beruflichen Wünsche. Er ist Sänger geworden und spielt mit Geschlechterrollen und Homosexualität, wenn er singt. Er will mit Musik Klischees aufbrechen.
Um sich auf der Bühne zu verwirklichen, hat der Mensch hinter Leopold eine Art Showcharakter entworfen. Als Leopold steht er auf der Bühne, mit Make-Up und in Klamotten, die man beim Shoppen eher in der Frauenabteilung finden würde. "Das gehört einfach dazu, die Verwandlung vor einem Auftritt hilft mir, in die Rolle zu kommen", sagt er. Schon als Kind habe er sich sehr oft sehr gerne verkleidet.
Dankbar ist er dafür vor allem seinen Eltern. Sie haben ihn einfach machen lassen, wenn er am Wochenende Kleiderschränke durchwühlte und Gesangswettbewerbe gegen sich selbst gewann. Die Unterstützung von Zuhause hat sein Selbstvertrauen gesteigert.
Es gibt viele bekannte homosexuelle Musiker, Elton John zum Beispiel. Aber bei den meisten sind Musik und sexuelle Orientierung oft zwei Paar Schuhe. Bei Leopold gehören Musik und Sexualität zusammen. Er nennt es "Glam-Pop", was er macht: eine Mischung aus eingängiger Popmusik gepaart mit emotionalen, nachdenklichen Texten, an denen er lange bis zur Perfektion arbeitet. Er schreibt sogar Songtexte, die explizit an Männer gerichtet sind, wenn es um die große Liebe geht.
Den Weg des Musikers hat er schon sehr früh eingeschlagen. Aufgewachsen in einem kleinen Dorf nahe Würzburg hat er schon als Kind im Chor gesungen. Nach dem Abitur war ihm klar, dass er sein Ziel weiterverfolgen will. Er hat Gesang und Musik an einer Berufsfachschule in Dinkelsbühl studiert und diesen ersten Schritt der künstlerischen Ausbildung erfolgreich abgeschlossen. Für ihn, wie er sagt, "die einzige Chance. Also hatte ich nie einen Plan B".
Alles hat er auf eine Karte gesetzt. Und er präsentiert sich gerne, hat Erfolg gehabt mit seinen Entscheidungen. Auch vor drei Jahren, als er sich nach der Berufsfachschule für den nächsten Schritt bereit gefühlt hat: Die Aufnahmeprüfung an der Popakademie in Mannheim, einer einzigartigen Hochschule, vor allem für Popmusik. Auch diese große Hürde hat er genommen und während einer intensiven Studienzeit das Projekt "Leopold" gemeinsam mit einem professionellen Produzenten der Hochschule ausgearbeitet. An der Popakademie hat er sich immer wohl gefühlt. Kaum mit dem Studium fertig, hat Leopold schon den ersten Vertrag mit "Lieblingslieder Records" unterschrieben.
Aber ob er wirklich etwas Neues auf den Musikmarkt bringt? Mit Olivia Jones oder Conchita Wurst gibt es bereits auf Sexualität in der Öffentlichkeit ausgerichtete Künstler. Mit den beiden will sich Leopold aber nicht in einen Topf werfen lassen. "Travestiekünstler oder Drag Queen bin ich nicht. Ich will mit meinem Projekt ,Leopold’ einfach Rollen aufbrechen."
Das macht sich optisch auch bemerkbar: Leopold trägt zwar gerne High Heels, aber eine komplette optische Verwandlung lehnt er entschieden ab. "Ich will den Leuten zeigen, dass auch ein Mann in Frauenkleidung normal sein kann." Über solche Fragen der Identität denkt er viel nach. Mit seiner Musik will er bestehende Strukturen aufbrechen.
Deshalb ein Blick auf seine Pläne. Seine neue Single heißt "Translate", also "Übersetzen" auf Deutsch, und kommt Freitag heraus. In diesem Song geht es um Selbstverwirklichung. "Ungeachtet von gesellschaftlichen Normen und Vorstellungen möchte der Song dazu ermutigen, zu sich selbst zu stehen." Leopold will jeden auffordern, seine Identität, die innere Stimme, zu akzeptieren.
Er hat das bereits geschafft. Mit eigenen Songs, mit ausgeflipptem Outfit, aber vor allem irgendwann, weil er akzeptiert hat, wer er ist. "Leopold" ist eine bewusste Kunstfigur. Sie ist vor allem eines: mutig.