Von Celine Eßlinger und Matthias Kehl
Heidelberg. Zum neunten Mal heißt es für die europäischen Staaten: "Ab an die Wahlurne" für die Direktwahl des EU-Parlaments. In der seit Donnerstag laufenden Abstimmung bestimmen 28 Länder die europäische Volksvertretung, am Sonntag öffnen in Deutschland die Wahllokale. Was bedeutet die Wahl für die Jugend in Europa? Welche Themen sind ihnen wichtig? Und wie prägt ihr kultureller Hintergrund ihre Einstellungen? Die RNZ hat mit vier jungen Menschen darüber gesprochen:
Reist gerne: Rebecca Smith. Foto: Celine Eßlinger
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Rebecca Smith (Großbritannien)
Für Rebecca Smith war das Leben in der Europäischen Union seit sie denken kann eine Selbstverständlichkeit. "Aber seit dem Brexit-Deal hat sich so einiges geändert", sagt die 21-Jährige, die Biologie und Anglistik an der Universität Heidelberg studiert. Im Vorgriff auf den Austritt des Landes, aus dem ihre Eltern stammen, beantragte die in Lörrach geborene Britin die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Europawahl ist für sie etwas Besonderes. "Es ist für mich das allererste Mal, dass ich wählen darf", freut sich die Lehramtsstudentin. Rebecca schätzt an der Staatengemeinschaft vor allem die Möglichkeit, sich problemlos durch Reisen mit anderen austauschen zu können.
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Interviews: Matthias Kehl / Kamera und Produktion: Reinhard Lask
Im Heimatland ihrer Eltern würde sie gerne ein Auslandssemester verbringen, an der Universität Leicester. Daher hofft sie auf einen der begehrten Erasmus-Plätze. Auch das EU-weite Roaming finde sie vorteilhaft. Die am Drei-Länder-Eck aufgewachsene Studentin konnte "praktisch zu Fuß mal kurz rüber nach Frankreich oder in die Schweiz", wie sie erzählt. "Es wäre ganz schön seltsam, wenn es nicht mehr ohne Weiteres möglich wäre, die Grenze zu passieren."Große Themen wie Flüchtlings- oder Klimapolitik können nach der Meinung von Rebecca nicht nur aus nationalstaatlicher Sicht behandelt werden. "Diese Dinge sind nur im Zusammenspiel der Länder zu lösen", findet sie. Wie sich die Situation in Großbritannien nach dem Brexit verändere, ist für Rebecca "nur schwierig vorstellbar". Aus der Ferne wirken die Briten aus ihrer Sicht hilflos. "Viele wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen", so die 21-Jährige.
Fordert mehr Solidarität: Adrian Kozielski. Foto: Celine Eßlinger
Adrian Kozielski (Polen)
Starke nationalstaatliche Bestrebungen erkennt auch Adrian Kozielski in Polen, dem Heimatland seiner Eltern. "Es scheint, als hätten die Menschen den Nutzen Europas vergessen, obwohl Polen als das EU-Empfängerland schlechthin gilt", sagt der 20-Jährige. Adrian, der in Heidelberg Maschinenbau studiert, will mit seinem Kreuz auf dem Wahlzettel einen Beitrag für mehr Solidarität zwischen den europäischen Staaten leisten. "In wegweisenden Zeiten wie heute zählt jede Stimme", sagt er. Das sieht auch das nähere Umfeld des 20-Jährigen so. Gemeinsam mit seinen Kommilitonen werde er zur Wahl gehen. Adrian verfolgt das politische Geschehen in Europa in den Zeitungen. Online hat er am Wahl-O-Mat seine Interessen und Einstellungen auswerten lassen. Was Europa für ihn ausmache: "Ich finde den Gedanken schön, Gemeinschaft und Kultur miteinander zu teilen". Die Devise müsse lauten: "Nicht übereinander reden, sondern miteinander." Vor diesem Hintergrund engagiert er sich ebenfalls bei der Organisation "Pulse of Europe", die auf dem Karlsruher Schlossplatz einmal im Monat für Interessierte ein offenes Mikrofon anbietet. Hier könne jeder Themen vorbringen, erklärt der 20-Jährige, "alles nach dem Motto: ,Was immer du wählst, wähl für Europa!‘" Der Maschinenbaustudent hofft, dass die europäischen Staaten den Alleingang Großbritanniens nicht zum Vorbild nehmen. Dennoch wünscht er dem Vereinigten Königreich, "dass der Austritt so konflikt- und folgenlos wie möglich gestaltet wird - vor allem für die Menschen dort."
"Haben Pflichten", sagt Delphine Weisse. Foto: Celine Eßlinger
Delphine Weisse (Frankreich)
Über die unterschiedliche Wahrnehmung der Europawahl in Frankreich und in Deutschland weiß die Französistik- und Geschichtsstudentin Delphine Weisse zu erzählen. Während in ihrem Heimatland Frankreich die Europawahl große Beachtung fände, nimmt sie in Deutschland das Thema meist nur durch die Wahlplakate war. Zwar werde man an jeder Ecke wird mit Gesichtern konfrontiert, so Delphine, doch in den täglichen Gesprächen in ihrem Umfeld dränge sich nur selten die Europawahl als Thema auf. "Mais il faut débattre!" (Es muss mehr diskutiert werden), findet die im französischen Metz geborene Delphine, die mit 32 Jahren nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal für Europa ihr Kreuz setzen möchte.
"Wir Europäer haben nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten wahrzunehmen", ruft Delphine den Gang zur Wahlurne als wichtigen Teil der europäischen Solidarität aus. "Wir müssen dafür sorgen, dass sich die europäischen Länder untereinander besser kennenlernen." Oft herrsche noch das falsche Bild von Stereotypen, das oft nicht der Realität entsprechen würden, findet Delphine.
Dass sie als Französin an der Universität Heidelberg studieren könne, ist für Delphine auch eine Errungenschaft der Europäischen Staatengemeinschaft. "Ich fühle mich eindeutig europäisch", sagt sie. Daher sei für Delphine eine gemeinsame Politik Europas enorm wichtig. "Denn die deutsch-französische Freundschaft bringt nicht viel, wenn nicht alle anderen auch mit an Bord sind."
In Frankreich ständen vor allem die ärmeren Regionen Europa eher negativ gegenüber. Wo Armut und Arbeitslosigkeit herrschen, fänden die egoistischen Positionen von Populisten deutlich leichter Zugang. "Die Landwirtschaft profitiert nicht unbedingt von Europa, da die Europäische Union in diesem Bereich oft strengere Gesetze erlässt", versucht Delphine, die Sorgen der Menschen nachzuvollziehen. "Meist sind es schlicht und einfach Ängste, die die Menschen Europa gegenüber skeptisch stimmen", sagt sie, "Angst vor Flüchtlingen, Angst, einen Teil der Identität zu verlieren."
Hofft auf Zusammenhalt: Maria Kalpakidou. Foto: Celine Eßlinger
Maria Kalpakidou (Griechenland)
Dass nur mit Solidarität über Ländergrenzen hinweg die enorm gewachsene europäische Migration gestemmt werden kann, weiß Maria Kalpakidou. Die in Sindelfingen geborene Tochter griechischer Eltern findet: "Die europäische Gemeinschaft ist ausbaufähig". In Griechenland kommen viele Heimatvertriebene an, die sich in der Europäischen Union eine friedliche Zukunft erhoffen. Nur zusammen könne man dieser Herausforderung Herr werden, findet Maria, die in Heidelberg Französisch studiert. In Deutschland sei man über die Situation der Fliehenden wenig informiert", findet die 20-Jährige, die vorschlägt: "Wir bräuchten so etwas wie ,Europa-News‘."
Dass viele Nationen politische Parteien haben, die mehr auf Abschottung als auf Gemeinschaft aus sind, findet Maria schade. "Daher fällt es mir selbst auch manchmal schwer, mich europäisch zu fühlen", meint die Deutsch-Griechin. "Die vielen unterschiedlichen Sprachen und Kulturen, vor allem zwischen den europäischen Ländern, führen dazu, dass die einzelnen Länder zu stark auf sich selbst fokussiert sind", sagt sie und schlussfolgert, dass noch viel mehr an der europäischen Gemeinschaft zu arbeiten sei.
Denn laut Maria geht dieses Thema alle etwas an, weshalb auch jeder Europäer in Form von politischer Partizipation mitanpacken müsse. In Griechenland komme die europäische Solidarität häufig zu kurz, da die nationalen Probleme Kraft fordern. "Es muss erst einmal Ordnung geschaffen werden", sagt die 20-Jährige.
Die jüngere Generation müsse den Zusammenhalt vorleben, da ihr die Zukunft gehöre. Deshalb findet Maria: "Unser Wahlrecht darf auf keinen Fall ungenutzt bleiben."