Immer mehr Unternehmen bringen sich bei lokalen "Green Deal" ein
Die "Industrierevolution" hat begonnen: Die Nachhaltigkeit ist als entscheidendes Thema in der Wirtschaft angekommen.
Von Gaby Booth
Mannheim. Klimaneutrale Produktion und sparsamer Umgang mit Ressourcen – das sind Themen, die in den Chefetagen deutscher Unternehmen inzwischen zum strategischen Handeln gehören. Nachhaltiges Wirtschaften ist heute ebenso wichtig wie Digitalisierung, stellte kürzlich das Berliner Institut FUTURIST nach einer Befragung von Führungskräften großer deutscher Unternehmen fest. Immer mehr Unternehmen setzen sich ein festes Ziel, bis wann sie ihre eigenen Kohlendioxid-Emissionen auf Null reduziert haben wollen. CO₂-Abgabe und steigende Energiekosten beschleunigen diesen Prozess. Das Ganze passiert unter dem Begriff Transformation und verändert die Strukturen in den Unternehmen. Mal langsamer, mal schneller. Auch am traditionellen Industriestandort Mannheim.
In der Quadratestadt lässt sich diese "Industrierevolution" gut beobachten. Hier stellen sich die Firmenchefs von Daimler, Roche, Fuchs Schmierstoffe oder John Deere schon lange den Herausforderungen. Seit ein paar Jahren gibt es einen "Green Deal" als lokale Antwort auf die drohende Erwärmung des Erdklimas. 2014 haben sich große wie mittelständische Unternehmen in der Klimaschutz-Allianz zusammengefunden, um sich abzustimmen und zusammen mit der Stadt Mannheim eine gemeinsame Linie zu finden.
"Die vor Ort ansässigen Unternehmen spielen eine entscheidende Rolle, um die ökologisch notwendige Transformation gerecht zu gestalten", stellte Oberbürgermeister Peter Kurz Anfang November auf der Weltklimakonferenz COP26 in Glasgow fest, wo er das "Mannheimer Modell" des Green Deal vorstellte. Dort war er als einziger deutscher Oberbürgermeister vertreten und tauschte sich mit Vertretern anderer Städte aus, die in einer ähnlichen Situation sind.
Die besorgniserregenden globalen Auswirkungen des Klimawandels spüren die Menschen vor allem in den Städten. Hier entstehen 75 Prozent der globalen CO2-Emissionen, hier fallen 80 Prozent des Energieverbrauchs an. Sie tragen daher eine besondere Verantwortung. Auf dieser lokalen Ebene könnte aber auch der Schlüssel des Handelns liegen, um vielleicht noch rechtzeitig entgegenzusteuern, so das Fazit. "Das ist eine Riesenaufgabe, für die es keine Blaupause gibt", so der Mannheimer Oberbürgermeister. Aber: Nur im Zusammenspiel mit den ortsansässigen Firmen bestehe die Chance, den Transformationsprozess gerecht zu gestalten. Und die Kommunen selbst müssen ihren Bürgern nachhaltige Angebote bei Mobilität, Energie, Abfallwirtschaft und Wohnen machen.
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Bisher zählt die Mannheimer Klimaschutz-Allianz 21 Unternehmen. Alle Mitglieder dokumentieren ihren Energieverbrauch und ihren CO2-Ausstoß. Beim jüngsten Treffen wurden als neue Mitglieder Siemens AG, Gehr-Kunststoffwerk GmbH & Co sowie Fuchs Schmierstoffe GmbH aufgenommen. Im Netzwerk tauschen die Unternehmen ihre Erfahrungen und Informationen aus, um voneinander zu lernen.
Roche: Als größter Arbeitgeber Mannheims beschäftigt Roche am Standort Mannheim-Sandhofen rund 8450 Mitarbeitende aus etwa 60 Nationen. Sie entwickeln, produzieren und vertreiben Produkte für Menschen mit Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Medikamente gegen Krebs sowie Produkte für die In-vitro-Diagnostik. Ein großer Schritt zur Reduzierung von CO2-Emissionen erfolgte im September 2018 durch die Stilllegung eines eigenen Kraftwerkes zur Dampf- und Stromerzeugung.
Durch die Umstellung auf den Zukauf von 100 Prozent Ökostrom sowie den Bezug von überschüssigem Dampf aus dem MVV Heizkraftwerk für Heizung, Kälteproduktion und Klimaanlagen ergab sich eine drastische Reduzierung der CO2-Emissionen am Standort um mehr als 40.000 Tonnen jährlich. In Mannheim konnten die CO2-Emissionen (Stand Mai 2020) um 60 Prozent reduziert werden, so Werkleiter Martin Haag.
Photovoltaikanlagen auf Neubauten sind Standard, ebenso die energetischen Optimierung von Bestandsgebäuden. Der Fuhrpark wird sukzessive elektrisiert, Schnellladesäulen installiert. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter profitieren von einem Leasingangebot für Fahrräder und E-Bikes. Es gibt Job-Tickets. Im Außenbereich entstanden inmitten der Industrieflachbauten Wildblumenwiesen. Wo immer es möglich ist, gibt es Bewegungsmelder, um unnötige dauerhafte Beleuchtung zu vermeiden.
Mannheimer Ausstellungs-GmbH: Lange vor dem Green Deal spielte das Thema Umweltschutz für die MAG eine zentrale Rolle. "Wir haben schon in den 80er Jahren das Thema Solarzellen in den Sonderschauen aufgegriffen, als kaum jemand davon sprach", berichtet Stefany Goschmann, Chefin der Ausstellungsgesellschaft, die unter anderem den Maimarkt ausrichtet. Die Messe-Besucher sollten schon damals für das Thema Umweltschutz sensibilisiert werden.
Daher wurde beispielsweise auch der bekannte "Rheinschwimmer" Professor Andreas Fath auf Deutschlands größte Regionalmesse eingeladen, wo er vor zwei Jahren über die schädliche Wirkung von Mikroplastik aufklärte. Ein Stoff, der nicht verrottet, über 500 Jahre in den Meeren bleibt und über den Verzehr von Fisch wieder im menschlichen Körper landet. Auf dem Ausstellungsgelände selbst wurde der Fuhrpark auf Elektro umgestellt, im Fertighauscenter Solardächer angebracht, es gibt nur noch Ökostrom und das Thema Recycling wird mit konsequenter Mülltrennung angepackt.
FDT FlachdachTechnologie GmbH & Co. KG: Das Unternehmen hat das Thema Umwelt- und Klimaschutz sehr früh zur Leitlinie seiner Produktion erklärt. Produktdeklarationen dokumentieren die umweltorientierte Produktion der verschiedenen Dachbahnsysteme. Das Kunststoffprodukt ist ressourcenschonend, die Rohstoffe kommen von regionalen Lieferanten, um unnötige Umweltbelastungen durch den Transport auf ein Mindestmaß zu reduzieren.
Bei der Produktion selbst treten keine Abfälle auf. Der bei jedem neuen Produktionsanlauf anfallende unbrauchbare Produktanteil wird zu 100 Prozent wieder dem firmen-eigenen Rohstoffkreislauf zugeführt. Die Rhepanol-Dachbahnen erlauben es, problemlos Gründächer anzulegen und damit große Dachflächen zu renaturieren.
EvoBus GmbH: Das Tochter-Unternehmen der Daimler AG experimentiert mit Wasserstoffantrieben, mit Diesel-Elektro-Hybridantrieben und mit Fuel-Cell-Hybridantrieben für Stadtbusse. Seit 2019 werden vollelektrische Stadtbusse des Typs eCitaro in Serie gefertigt. EvoBus produziert am Standort Mannheim, wo über 4800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten, Stadt- und Reisebusse. Mit einem systematischen Energie- und Umweltmanagement kontrolliert das Unternehmen in Mannheim-Waldhof die Prozessoptimierung, Gefahrstoffsubstitution und Entsorgungsoptimierung im Werk. Ziel ist die Reduzierung der CO2-Emissionen in diesem Jahr um 30 Prozent.
Mannheimer Congress GmbH m:con: Die Geschäftsleitung des Kongresszentrums im Rosengarten hat den Ehrgeiz, Veranstaltungen und Messen möglichst ressourcenschonend durchzuführen. So wird beim Caterer, dem benachbarten Dorint-Hotel, auf saisonale Küche und Bioprodukte geachtet. Getränke kommen in Mehrwegflaschen auf den Tisch, Kongressteilnehmer erhalten dank der Kooperation mit der Rhein-Neckar-Verkehrsgesellschaft bei Buchung ein Ticket, das die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs bietet. Bei der Brandschutzsanierung des Hauses wurde gleichzeitig die Bausubstanz energetisch aufgerüstet.
Stadtmobil Rhein-Neckar AG: Ein Carsharing-Auto ersetzt bis zu 20 private PKW. Das bedeutet, wer auf ein eigenes Auto verzichtet und bei Bedarf ein Fahrzeug von Stadtmobil bucht, leistet einen wertvollen Beitrag. Denn ein großer Teil der CO2-Emissionen eines Fahrzeugs entsteht bereits bei der Produktion. Vorrangiges Ziel von Stadtmobil ist es, den privaten Autobesitz zu verringern und die Städte vom Autoverkehr zu entlasten, heißt es in der Satzung – für eine nachhaltige Mobilität und eine gesteigerte Lebensqualität im urbanen Raum.
SV Waldhof Mannheim 07 Spielbetriebs GmbH: Der SV Waldhof hat vor allem den Getränke-Einwegbechern den Kampf angesagt. Laut einer Schätzung der Deutschen Umwelthilfe landen in Deutschland pro Jahr etwa 2,8 Milliarden Einwegbecher im Müll, etwa 40.000 Tonnen Abfall, der größtenteils verbrannt wird.
Nach der Umstellung von Plastik- auf Papiertüten im SVW-Fanshop nutzt der SV Waldhof Mannheim seit der Saison 2019/2020 zudem im gesamten Carl-Benz-Stadion 50.000 Mehrwegbecher. Diese werden mit Pfand ausgegeben. So werden beim Spielbetrieb große Mengen Abfall vermieden und Ressourcen geschont. Der Verein möchte seine Fans durch Projekte für Umwelt- und Klimaschutz sensibilisieren und zu umweltfreundlichem Handeln wie einer CO2-freien Anreise motivieren. Wer zusätzlich etwas Gutes tun möchte, kann die Becher in Spendenboxen werfen und damit das Pfand an soziale Einrichtungen spenden.