Von André Wesche
Die Arbeitswelt muss sich im Zuge derCorona-Pandemie in Rekordzeit neu aufstellen. Viele Arbeitnehmer sind angehalten, ihren Job von zu Hause aus zu erledigen. So manches Unternehmen betritt hier Neuland. Die österreichische Unternehmerin Bettina Wittmann (31) ist Expertin auf dem Gebiet des flexiblen Arbeitens und hat nun im Internet einen kostenfreien Leitfaden veröffentlicht, der Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Selbstständigen wertvolle Tipps zum Einstieg in die Heimarbeit gibt (www.bettinawittmann.com).
Frau Wittmann, Ihr Leitfaden wurde nicht mit heißer Nadel gestrickt. Sie beschäftigen sich schon lange mit dem Thema Home-Office, richtig?
Ja. Ich habe eine digitale Marketingagentur, die ich von Anfang an so aufgebaut habe, dass wir alle zu 100 Prozent flexibel und ortsunabhängig arbeiten. Ich habe dazu auch einige Unternehmen als Mentorin beraten.
Auf was für einen Erfahrungsschatz konnten Sie dabei zurückgreifen?
Ich habe meine Marketingagentur 2016 gegründet, als ich auf einer anderthalbjährigen Weltreise durch Asien, Europa und die USA war. Im Vorfeld hatte ich mich schon intensiv mit ortsunabhängigen Unternehmen auseinandergesetzt und dabei alle Bereiche abgedeckt, von der Webseite über Online Marketing bis hin zu Mitarbeiteranwerbung, Teamaufbau und Teammanagement. Welche Ressourcen kann ich nutzen, um alles nach den Prinzipien der sogenannten "New Work" besser aufzubauen? Es war mir extrem wichtig, dass meine Mitarbeiter zufrieden sind und die Firma langlebig und nachhaltig arbeitet, entgegen dem digitalen Hype.
Inwiefern haben Sie Ihren Leitfaden auf das Thema Corona zugeschnitten?
Sehr genau. Die Heimarbeit steht im Mittelpunkt. Das Thema "Reisen & Arbeiten", das ich sonst sehr stark promote, spielt kaum eine Rolle. Es geht darum, wie ich mein Team jetzt schnell für die aktuellen Herausforderungen bereitmachen kann. Welche Werkzeuge und welches Projektmanagement kann ich dabei anwenden? Wie kann ich Meetings abhalten und Veranstaltungen wie Seminare oder Beratungen, die ich vorher offline durchgeführt habe, nun online verwirklichen? Auf der anderen Seite gehe ich auch auf den rechtlichen Rahmen ein. Man findet Links zu deutschen und österreichischen Webseiten, auf denen staatliche Informationen zu finden sind, etwa zur Frage, wie man rechtlich abgesichert ist. Natürlich spielt auch die Sicherheit eine große Rolle. Firmen fragen sich, ob sie wirklich ihre speziellen Tools und sensible Daten außer Haus zur Verfügung stellen sollen. In Zeiten wie diesen ist es wichtig, von Anfang an einen sicheren, langfristigen Ansatz zu finden, der über das Corona-Problem hinausreicht. Wir wissen ja nicht, wie lange es dauert. Es geht gar nicht so sehr darum, eine Notfalllösung zu finden, sondern um die zukünftige Ausrichtung der ganzen Firma. Der Leitfaden ermöglicht ein Handeln, ohne vorher ganze Bücher lesen zu müssen.
Sie erläutern die rechtlichen, technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Arbeit zu Hause. Welche menschlichen Probleme kommen dabei am häufigsten ins Spiel?
Auch dieser Aspekt wird mit abgedeckt. Zunächst geht es darum, wie man sich zuhause einrichtet. Wenn möglich, würde ich einen eigenen, abgetrennten Arbeitsbereich empfehlen. Vielleicht kann man im Schlafzimmer ein Mini-Büro einrichten. Man muss mit seiner Familie ganz klar kommunizieren: "Hey, ich bin zwar jetzt hier, aber von da bis da bin ich unabkömmlich, als ob ich auf Arbeit wäre." Man kann das zum Beispiel mit einer Art Warnsymbol lösen oder einem "Bitte nicht stören!"-Schild. Die Umwelt muss im Alltag verstehen, dass man arbeitet. Auf der anderen Seite muss ich mich wohlfühlen und kreativ sein. Man kann seine kreativen Zeiten viel besser nutzen. Wenn es vertraglich nicht anders geregelt ist, muss man nicht von 9 bis 5 arbeiten, sondern zum Beispiel auch abends.
Der Arbeitgeber muss darauf trauen, dass der Arbeitnehmer daheim auch was arbeitet ...
Vertrauen und Transparenz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind extrem wichtig. Hier sehe ich zwei Szenarien. Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden sich zusammenraufen und sagen: "Wir sind ein Team und werden das Kind schon schaukeln!" Dann wird man mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter erfolgreich sein. Dann gibt es natürlich auch die Arbeitnehmer, die sagen, mein Chef ist ein Idiot und ich setze mich jetzt zuhause auf die Couch und mache nichts. Hier wird sich ganz schnell zeigen, wie Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern umgehen und wer die guten Führungskräfte sind. Wenn man beidseitig kommuniziert, dass alle im selben Boot sitzen und alle an einem Strang ziehen müssen, wird man die besten Ergebnisse erzielen.
Muss man die normalen Arbeitszeiten der Firma nicht einhalten?
Ich selbst gebe meinen Mitarbeitern nicht vor, wann sie zu arbeiten haben. Wir haben Deadlines, die eingehalten werden müssen. Der Arbeitsprozess darf nicht behindert werden. Aber ich sage ganz klar, dass es mir eigentlich egal ist, ob man morgens oder am Abend sein Pensum schafft. Damit bin ich bisher sehr gut gefahren. Meine Mitarbeiter sind in dieser Hinsicht sehr glücklich. Ich merke das auch sehr stark, wenn ich neue Leute rekrutiere. Viele finden es super, selbstbestimmt und ortsunabhängig arbeiten zu können.
Welche Elemente gehören noch zum sogenannten New Work?
Generell ein selbstbestimmteres Arbeiten. Eine stärkere Einbeziehung der Mitarbeiter, dafür ein Abbau der Hierarchien. Ein zielgerichtetes Arbeiten, kein starres 9 bis 5-Modell, bei dem vielleicht sogar mit Angst als Druckmittel gearbeitet wird. Ich glaube, dass der einzelne Mitarbeiter viel stärker in den Vordergrund rücken wird. Er wird viel mehr gefördert und wertgeschätzt werden.
Wie kann man verhindern, dass Arbeitnehmer zuhause vom Boss ausspioniert werden?
Eine gute Frage. Natürlich ist es auch eine Art von Kontrolle, wenn bei einem Projekt eine Zeiterfassung erfolgt. Ich wende dieses Tool selbst an, aber ich kommuniziere sehr klar, dass es mir nicht darum geht, meine Mitarbeiter zu überwachen. Diese Daten sind wichtig, wenn es um das Erstellen von Angeboten oder das Erkennen von Engpässen geht. Wenn wir in den Bereich der Überwachung mittels Webcam kommen, sollte man sich aber schon eine Rechtsberatung einholen.
Gibt es Lösungen für Heimarbeit auch mit schlechter Internet-Verbindung?
Dann wird es schwierig. Man kann sich nach einem neuen Anbieter umsehen. Es gibt auch spezielle Wlan-Verstärker. Ich muss sagen, dass ich da noch nie Schwierigkeiten hatte. Ist das in Deutschland ein weit verbreitetes Problem? Krass!
Sie prognostizieren, dass das Konzept Home Office die Corona-Pandemie überleben und sich dauerhaft etablieren wird. Werden wir durch die Krise zu unserem Glück gezwungen?
Genau. Natürlich ist die Situation jetzt ganz schrecklich, aber ich plädiere schon seit Jahren für neue Konzepte. Nun hat die Arbeitswelt einen Tritt in den Allerwertesten bekommen. Wir müssen unsere alten Konzepte überdenken und zukunftsorientierter arbeiten. In dieser Hinsicht wird sich in diesem Jahr sehr viel tun, leider unter traurigen Vorzeichen.