Hohe Hürden auf dem Weg zur WM
Wer sich für Budapest qualifizieren will, muss bei den deutschen Schwimm-Meisterschaften in Berlin Bestzeit schwimmen

Mit diesem Aufgebot nimmt der Stützpunkt Heidelberg an den deutschen Schwimm-Meisterschaften teil. Vorne v.l.: Stützpunkttrainer Sander Ganzevles, Maike Jung, Sarah Köhler, Selina Hocke, Julia Hassler, Lil Zyprian, Clemens Rapp, Felix Ziemann, Kevin Wedel, Landestrainer Dr.Michael Spikermann. Hinten v.l.: Zoe Vogelmann, Martina van Berkel, Oliver Tabor, Noah Beetz, Torsten Rau, Philip Heintz, Juniorentrainerin Uta Brandl, Paul Reither, Nina Kost, Tim Kost, Judith Baumeister und Tebea Mose. Foto: vaf
Von Claus Weber
Heidelberg. Man kann nicht behaupten, der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) hätte nicht schon alles probiert, um seine Athleten flott zu machen. Die Crux: Oft waren sie zwar bei den deutschen Meisterschaften auf dem Zenit - doch bei WM und Olympia schwammen sie hinterher. Zuletzt wurde deshalb sogar eine zweite Qualifikationshürde unmittelbar vor dem Saisonhöhepunkt eingebaut.
Jetzt allerdings macht der DSV die Rolle rückwärts - und hat die Normen für die Weltmeisterschaften vom 23. bis 30. Juli auf der Margareteninsel in Budapest gewaltig nach oben geschraubt. Wer sich bei den deutschen Meisterschaften von Donnerstag bis Sonntag in Berlin für die WM qualifizieren will, muss schon im Vorlauf mindestens so schnell sein wie der Achtplatzierte der Olympischen Spiele in Rio.
"Neun der geforderten Normen liegen sogar unter dem deutschen Rekord", sagt Badens Landestrainer Dr. Michael Spikermann, der die Vorgaben von Bundestrainer Henning Lambertz kritisch hinterfragt. "Das Problem mit den hohen Normen hatten wir schon mal", sagt er, "es wird sich kaum einer für die WM qualifizieren, ohne die deutschen Meisterschaften top vorzubereiten." Und dabei jene Körner zu verschießen, die dann fünf Wochen später bei der WM fehlen.
Kritik kam auch von Paul Biedermann. Lambertz versuche, allen eine Doktrin aufzudrücken, von der nur er selbst überzeugt sei, erklärte der Ex-Weltmeister in der Süddeutschen Zeitung. "Meiner Meinung nach kann man einen Weg nur gemeinsam mit einer Mannschaft beschreiten", sagte Biedermann und beklagte neben einem neuen Kraftkonzept und der zunehmenden Zentralisierung die Verschärfung der Normen. Dabei hat es Michael Spikermann sogar noch vergleichsweise gut. Nur drei deutsche Athleten haben die knackigen Zeiten im Vorfeld der WM unterboten: Mit Philip Heintz und Sarah Köhler kommen zwei davon aus der Heidelberger Trainingsgruppe.
"In Berlin muss ich 100-prozentig da sein", glaubt Heintz. Seine Bestzeit über 200 m Lagen hat er in Rio geschwommen und mit 1:57,47 Minuten den sechsten Platz erreicht. Die WM-Norm ist nur 1,4 Sekunden langsamer. Dennoch ist der 26-jährige Sportsoldat optimistisch. "Ich war dieses Jahr nicht länger krank, es läuft bei mir ganz gut." Dabei hat er rund 700 Trainingskilometer weniger in den Knochen als vor Olympia 2016. "Dafür habe ich umso mehr Wettkampferfahrung gesammelt, denn nach den Spielen bin ich viele Weltcuprennen geschwommen."
Heintz, der früher mehr Starts hatte, konzentriert sich auf die 200 m Lagen am Freitag und wird am Sonntag entweder über 100 m Schmetterling oder 200 m Freistil starten. "Beide Strecken werden kurz hintereinander geschwommen", erklärt er, "ich muss mich entscheiden."
Sein Kumpel Clemens Rapp hat’s noch schwerer. Der 27-jährige Student der SRH Wieblingen muss sich über 200 und 400 m Freistil um eine bzw. zwei Sekunden steigern, um in Ungarn ein Einzelrennen bestreiten zu dürfen. "Die Messlatte hängt schon sehr hoch", sagt Trainer Spikermann, "zumal er die Zeiten schon im Vorlauf bringen muss."
Frohnatur Rapp ist dennoch optimistisch. "Bei mir läuft es ganz gut", sagt der künftige Wirtschaftsingenieur, "ich habe mir nach den Olympischen Spielen eine Pause gegönnt und drei Monate kein Wasser gesehen - der Abstand hat mir gut getan." In Rio wurde er Sechster mit der 4 x 200 m-Freistilstaffel.
Auch Sarah Köhler hat sich wegen der knackigen Zeiten spezialisiert. Die frühere Vielstarterin nimmt in Berlin die 200, 400 und 800 m Freistil in Angriff. Schon acht deutsche Titel auf der Langbahn hat sie mit ihren ersten 22 Jahren erkämpft. Über 400 und 800 m ist sie Titelverteidigerin. Die besten Chancen rechnet sich die Sportsoldatin über die längste Strecke aus, auf der sie 2016 Olympia-Achte geworden war. Die 800 m-Zeit hat sie im Frühjahr in Stockholm schon unterboten. Über 400 Meter müsste sie den 28 Jahre alten deutschen Rekord von Anke Möhring knacken und dabei eineinhalb Sekunden unter ihrer eigenen Bestzeit bleiben. "Die Trainingsergebnisse sind besser als im letzten Jahr vor den Spielen", macht sich Köhler Mut, "zur Abwechslung bin ich mal ohne Probleme oder Erkrankungen durchgekommen."
Die am Stützpunkt Heidelberg trainierenden Martina van Berkel aus der Schweiz und Julia Hassler auch Liechtenstein haben sich bereits für die WM qualifiziert. Nina Kost vom SV Nikar Heidelberg könnte das Ticket über die U 23-Regelung knacken. Für die 22-jährige sind die Normzeiten über 50 und 100 m Freistil nicht ganz so streng. "Sie müsste sich dennoch um drei Zehntel bzw. eine halbe Sekunde steigern", sagt Spikermann. Und auch der in Heidelberg trainierende Kevin Wedel von der EWR Rheinhessen könnte - falls er über sich hinaus wächst - die Fahrkarte nach Budapest über 400 m Lagen lösen.
Von Lil Zyprian, Felix Ziemann und Selina Hocke erhofft sich Spikermann einen weiteren Leistungssprung. Und auch die Talente aus den Trainingsgruppen von Stützpunktcoach Sander Ganzevles und Juniorentrainerin Uta Brandl sind gut für die B- und sogar die A-Finals.
Das DM-Aufgebot des Stützpunktes Heidelberg: Philip Heintz, Nina Kost, Martina van Berkel, Julia Hassler, Selina Hocke, Lil Zyprian, Alexej Amosov, Tim Kost, Judith Baumeister, Zoe Vogelmann (alle Nikar Heidelberg), Clemens Rapp, Felix Ziemann (Neckarsulmer SU), Sarah Köhler (SG Frankfurt), Kevin Wedel (EWR Rheinhessen), Meik Böpple, Paul Reither, Oliver Tabor, Torsten Rau (alle Neptun Leimen), Maialen Rohrbach, Luisa Gadzali, Maike Jung, Sirintana Beune (alle Swimteam Heddesheim/Dossenheim), Tabea Mose (Villingen), Noah Beetz (Bad Saulgau).



