Deutschlands stärkste Trainingsgruppe
Schon vor der deutschen Meisterschaft am Wochenende in Berlin haben sieben Schwimmer des Heidelberger Stützpunktes ein EM-Ticket

Die Top-Schwimmer des Stützpunktes Heidelberg, vorne v.l.: Trainer Michael Spikermann, Philip Heintz, Johannes Hintze, Josha Salchow, Wassili Kuhn, Clemens Rapp, Kevin Wedel. Hinten v.l.: Lil Zyprian, Julia Hassler, Selina Hocke, Sarah Köhler, Nina Kost, Isabel Gose. Foto: vaf
Von Claus Weber
Heidelberg. So gut war Heidelberg noch nie vertreten: Gleich sieben Schwimmer des Bundesstützpunktes haben das Ticket für die Europameisterschaften in zwei Wochen im schottischen Glasgow in der Tasche. Mit etwas Glück könnte noch einer dazu kommen.
Mit einer starken Zeit über 200 m Freistil will Clemens Rapp bei den deutschen Meisterschaften von Donnerstag bis Sonntag in Berlin in letzter Sekunde auf den EM-Zug aufspringen. Der 29-Jährige war bei den Frühjahrs-Wettkämpfen in Stockholm und Bergen um sieben Zehntel an der Zeit vorbeigekrault. "Zehn Jahre lang war ich immer auf den Punkt fit", sagte er, "doch diesmal hatte ich zwei schlechte Tage."
Sechs weitere Athleten aus der Trainingsgruppe von Michael Spikermann nutzten die neue Freiheit, die ihnen der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) nach der scharfen Kritik im Vorjahr eingeräumt hatte. Damals lagen fünf Wochen zwischen deutscher Meisterschaft und WM - zu lang, um die Leistung zu konservieren, zu kurz um neu aufzubauen. Nun durften die DSV-Asse die Norm zwischen Januar und April knacken.
Hintergrund
Der Stützpunkt Heidelberg in Berlin: Sarah Köhler, Nina Kost, Lil Zyprian, Julia Hassler, Selina Hocke, Zoe Vogelmann, Liv-Kathy Göbel, Tim Kost, Philip Heintz, Johannes Hintze (alle Nikar Heidelberg), Maike Jung, Maialen Rohrbach (beide Swimteam
Der Stützpunkt Heidelberg in Berlin: Sarah Köhler, Nina Kost, Lil Zyprian, Julia Hassler, Selina Hocke, Zoe Vogelmann, Liv-Kathy Göbel, Tim Kost, Philip Heintz, Johannes Hintze (alle Nikar Heidelberg), Maike Jung, Maialen Rohrbach (beide Swimteam Heddesheim/Dossenheim), Paul Grunert (SV Mannheim), Philip Kress, Tjark Herzog, Adrian Trumpa (alle Poseidon Eppelheim), Oliver Tabor, Maik Böpple (beide Neptun Leimen), Lili Gerth (Bad Saulgau), Kevin Wedel (EWR Rheinhessen), Josha Salchow, Wassili Kuhn (beide Potsdam), Clemens Rapp (Neckarsulm), Marie Brockhaus (Paderborn), Noah Hermann (Biehl/Schweiz), Barbara Schaal (Gelnhausen), Noah Betz (Schwäbisch Gmünd), Artem Selin (neu am Stützpunkt, aus Russland).
Für Philip Heintz vom SV Nikar Heidelberg und seine Trainingskollegin Sarah Köhler (SG Frankfurt) war das kein Problem. Heintz führt über 200 m Lagen die europäische Rangliste an, hat eine Sekunde Vorsprung auf den Briten Max Litchfield und etwas mehr auf den Schweizer Jérémy Desplanches. Die deutschen Meisterschaften will der 27-jährige Sportsoldat nutzen, um noch einige Dinge auszuprobieren. "Technik und Taktik sind wichtiger als Zeiten", sagt er.
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Auch Sarah Köhler schwimmt in Berlin aus dem vollen Training heraus. Die 24-Jährige hat die EM-Normen über 800 und 1500 m Freistil deutlich unterboten, darf in Glasgow auch über 400 m und womöglich auch in der 4 x 200 m-Staffel starten.
"Ich möchte in Berlin ordentliche Rennen zeigen", sagt sie, "die Zeiten sind kein Marker dafür, wie es dann zwei Wochen später bei der EM laufen wird." Über 800 m steht sie in Europa derzeit auf Platz eins, über 1500 m auf Platz zwei, über 400 m auf Platz drei.
"Wir haben in Heidelberg die stärkste deutsche Trainingsgruppe", stellt Michael Spikermann fest. Bei der Kurzbahn-EM im vergangenen Dezember gingen vier von sieben DSV-Medaillen an den Stützpunkt. Konkurrenz belebt - kein Wunder, dass sich inzwischen weitere Topschwimmer der Gruppe angeschlossen haben.
Weil in Potsdam Norbert Warnatzsch, der einst Franzi van Almsick und Britta Steffen betreute, in Rente ging und der erfolgreiche Nachwuchscoach Marko Letz im Unfrieden schied, wechselten mit den drei 19-jährigen Johannes Hintze, Josha Salchow und Wassili Kuhn sowie der 16-jährigen Isabel Gose vier Hoffnungsträger nach Heidelberg.
Hintze war 2017 Junioren-Weltmeister und bei den Spielen in Rio mit damals 17 Jahren der jüngste deutsche Olympiaschwimmer seit Jahren. Auch wenn er nach einer Schulter-OP im vergangenen Jahr keine Prognosen abgeben und erst einmal kleinere Brötchen backen will, löste er über die nicht ganz so strenge U 23-Norm das EM-Ticket über seine Hauptstrecke 400 m Lagen.
Gose war bei den Junioren-EM Anfang Juli mit sieben (!) Medaillen beste deutsche Starterin, holte über 200 m Freistil auch das einzige Gold für den DSV. In Berlin will sie ihren mit 15 Jahren erkämpften deutschen Meistertitel verteidigen, in Glasgow hat sie einen Startplatz in der 4 x 200 m Freistilstaffel und hofft auf einen Einzelstart über 200 m.
Während sich Hintze und Gose dem SV Nikar Heidelberg angeschlossen haben, starten Freistil- und Rückenexperte Salchow, der sich für die EM-Staffel qualifiziert hat, sowie Brustschwimmer Kuhn vorerst weiter für Potsdam.
Nina Kost startet zwar weiter für den SV Nikar, doch weil ihre Bewerbung auf einen Kaderplatz trotz bester Referenzen vom DSV abgelehnt wurde, wechselte sie ins Schweizer Nationalteam - ihre Mutter ist Eidgenössin. Die Sprinterin hat das EM-Ticket ebenso gelöst wie Julia Hassler aus Liechtenstein, die sich den längeren Strecken verschrieben hat. Für beide Freistilschwimmerinnen dient Berlin nur zur Überprüfung ihrer EM-Form.
Auch wenn die EM-Normen wohl kaum zu erreichen sein werden, dürfen sich weitere Schwimmer des Stützpunktes Medaillenchancen ausrechnen. Kevin Wedel beispielsweise könnte es aufs Treppchen schaffen. Auch die Talente aus der Nachwuchsgruppe von Stützpunktcoach Sander Ganzevles und Juniorentrainerin Uta Brandl sind für Überraschungen gut.



