Die Schwimmer sitzen auf dem Trockenen
Trainer Michael Spikermann muss neue Wege einschlagen - Philip Heintz und Julia Hassler wollen ein Jahr verlängern

Von Claus Weber
Heidelberg. Was macht ein Schwimmer, wenn er nicht ins Wasser darf? Dr. Michael Spikermann denkt gerade über Konzepte nach für den Fall, dass die Coronavirus-Krise länger anhalten sollte. "Trainingsmethodisch müssen wir neue Wege einschlagen", sagt der Coach des Bundesstützpunktes Schwimmen in Heidelberg. Seine Athleten sitzen auf dem Trockenen. Eigentlich sollten sie an diesem Wochenende im schwedischen Stockholm ihre Form überprüfen. Es wäre der Abschlusswettkampf des zurückliegenden Trainingszyklus gewesen. Stattdessen mussten sie früher als geplant in die Pause.
Die Schließung der Bäder trifft Europameister Philip Heintz und seine Kollegen (noch) nicht ganz so hart. Eine kurze Regenerationsphase war jetzt ohnehin vorgesehen. Ab Montag und zumindest bis zum 20. April sollen sich die Sportler individuell fit halten. Mareike Rittweg, die Athletiktrainerin des Olympiastützpunktes Heidelberg, hat dazu Hausaufgaben verteilt. "Wir haben ein Training zusammengestellt, das alle Bereiche wie Ausdauer, Kraft, Beweglichkeit, Schnelligkeit und Schnellkraft beinhaltet", sagt Spikermann, "die Athleten müssen schauen, wie sie das in ihrem privaten Umfeld umsetzen können."
Die Verschiebung der Olympischen Spiele ins nächste Jahr war auch ein Wunsch des Deutschen Schwimm-Verbandes. Schon vor der Entscheidung des IOC hatten sich 80 Prozent der deutschen Schwimmer in einer Umfrage für eine Verlegung ausgesprochen. "Unter den gegebenen Umständen wäre es völlig irrelevant gewesen, ob wir dort diesen Sommer schwimmen", sagt Spikermann, "im Moment gibt es ganz andere Probleme."
Dabei sind die Spiele das absolute Highlight, schließlich gelten Leichtathletik und Schwimmen als d i e olympischen Kernsportarten. Heidelberg hat schon immer starke Athleten entsandt. Die Bekannteste ist Ursel Wirth-Brunner. Die 27-fache deutsche Meisterin kehrte 1960 mit zwei Bronzemedaillen aus Rom zurück. In der jüngeren Vergangenheit sorgten Marc Pinger, Josef Hladky, Simone Weiler, Petra Dallmann, Philip Heintz, Martina van Berkel, Julia Hassler, Clemens Rapp und Sarah Köhler für olympischen Glanz.
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Mit Heintz und Hassler haben zwei Athleten des SV Nikar Heidelberg das Ticket für Tokio schon in der Tasche. Vier weitere dürfen sich Chancen ausrechnen, auf den Zug für 2021 aufzuspringen. Josha Salchow, der mit dem 4 x 100 m-Freistilquartett als WM-Elfter das Ticket schon gelöst hat, muss seinen Staffelplatz noch verteidigen. Auch Junioren-Europameister Artem Selin aus Ziegelhausen war schon nahe an der Quali, hat die Norm im letzten Jahr unterboten und muss sie nochmals bestätigen. Die Junioren-Europameisterinnen Isabel Gose (17) und Zoe Vogelmann (16) sind ebenfalls Olympia-Kandidaten – die Verschiebung der Spiele verschafft den jungen Sportlerinnen sogar ein Jahr mehr Zeit.
Doping bleibt ein großes Thema
Bei Heintz (29) und Hassler (27) ist es allerdings umgekehrt. Sie wollten eigentlich nach Tokio ihre Karrieren beenden. Die Verschiebung um ein Jahr wirft neue Fragen auf. "Sie sind jetzt in einem Alter und in einem Prozess, in dem sie über andere Dinge nachdenken müssen", sagt Spikermann. Heintz ist Sportsoldat, studiert Wirtschaftswissenschaften an der SRH und arbeitet bei einer Anlageberatung, Hassler schließt ihr Psychologiestudium in Mannheim ab. Beide benötigen weiterhin Freiräume fürs Training. "Wir müssen schauen, ob das alles nun weiterhin Bestand hat", sagt Spikermann. Derzeitige oder künftige Arbeitgeber hätten positive Signale gegeben.
Und doch wird viel davon abhängen, ob und wann ein geregeltes Training in Deutschland wieder möglich sein wird, sprich, wann die Bäder wieder freigegeben werden. Dabei, so Spikermann, sei das Wasser nicht das größte Problem, weil die Zusätze Keime und Viren abtöten. Doch wie lassen sich Abstandsregeln im Bad wirkungsvoll einhalten? "Diese Entscheidung liegt nicht in unserer Hand", sagt Spikermann, "diese Entscheidung müssen die Behörden treffen." Und das ist von Bundesland zu Bundesland, aber auch von Nation zu Nation verschieden. "Ich gehe davon aus, dass die Top-Athleten in vielen Ländern weiterhin trainieren", sagt der 60-jährige Coach aus Rimbach.
Und: Die Problematik der ausgesetzten Dopingkontrollen wird durch die Verschiebung der Spiele allenfalls abgemildert, aber nicht gelöst. "Durch die Pause bei den Dopingkontrollen können sich Sportler einen Vorteil verschaffen, der sich auch noch auf die nächste Saison auswirken kann", befürchtet Spikermann: "Man darf nicht so naiv sein zu glauben, dass sich in diesem Bereich nichts tut."



