Gewichtheben

Waaler lässt die Hoffnung Obrigheims platzen

Ein Loch im Reißen führt im Spitzenduell gegen Meister Samswegen zur frühen Entscheidung - Moritz Huber brilliert bei der 713:856,6-Niederlage als bester Obrigheimer

15.12.2019 UPDATE: 16.12.2019 06:00 Uhr 3 Minuten, 30 Sekunden
Am liebsten wäre sie im Boden versunken: Sol Anette Waaler, die Norwegerin im Trikot des SV Obrigheim, sorgte mit ihrem „Loch“ im Reißen für eine frühe Vorentscheidung im Spitzenkampf gegen den SSV Samswegen. Foto: S. Weindl

Von Roland Karle

Obrigheim. Zur Pause waberte der Konjunktiv durch die Neckarhalle. Hätte der SSV Samswegen dem Druck standgehalten, wären die Gästeheber nervös geworden? Hätten die Obrigheimer Gewichtheber das Reißen gewonnen, wenn Sol Anette Waaler nicht dieses Missgeschick passiert wäre? Die norwegische Nationalheberin patzte maximal: Sie brachte keinen ihrer drei Versuche über 80 Kilo regulär zu Ende, ging also mit null Punkten von der Bühne. Die sportliche Höchststrafe für Waaler – und was für ein Schlamassel für Obrigheim, den bisherigen Tabellenführer!

Wäre der 60 Kilo leichten Athletin, die wegen der "crazy supporting atmosphere" so gerne in der Neckarhalle hebt, wenigstens ein Versuch geglückt, hätte Obrigheim 55 Punkte mehr auf dem Konto gehabt. Das wären – theoretisch – schon mal 308 Punkte im Reißen für Obrigheim gewesen. Samswegen ging mit 311,7 Punkten in die Pause. "Dann hätte der Wettkampf einen anderen Verlauf genommen, weil es für die Samswegener auch um jedes Kilo gegangen wäre und sie vermutlich anders gesteigert hätten", sagt Manuel Noe.

Moritz Huber blieb ohne Fehlversuche und war mit 150 Punkten Obrigheims Bester. Foto: S. Weindl

Im Reißen etwas reißen?

Obrigheims Sportvorstand hatte vor dem Wettkampf mit der Athletin und ihrem Trainer eingehend die Lage besprochen, nämlich: Dass Obrigheim trotz der angespannten Personalsituation gegen den Meister aus Sachsen-Anhalt im Reißen was reißen kann. "Sie hätte mit einer geringeren Last einsteigen sollen, aber im Nachhinein ist man klüger", sagt Noe. Dass Waaler, wie es im Heberjargon heißt, "geplatzt" ist, "das hat uns natürlich wehgetan". Aber der Teamchef sprach die sympathische Sportlerin von einer Alleinschuld frei: "Wir gewinnen zusammen, und wir verlieren zusammen."

Gegen den ohnehin favorisierten deutschen Meister SSV Samswegen standen die Einheimischen dadurch Waalers Malheur früh auf verlorenem Posten. Am Ende fiel die Niederlage mit 713:856,6 Relativpunkten krachend aus, auch weil jeder dritte Versuch (12 von 36) daneben ging; es war Obrigheims mit Abstand schwächstes Resultat in der laufenden Runde. Dafür gibt es einige Gründe, die bereits vor dem Wettkampf bekannt waren: Nationalheber Nico Müller bereitet sich auf ein Turnier in Doha zur Olympia-Qualifikation vor und war am Samstagabend statt im Heberdress nur in Zivil anwesend. Jakob Neufeld ist verletzt, Ruben Hofmann angeschlagen, Matthäus Hofmann und Marius Oechsle sind nach Operationen noch länger außen vor. Sprich: Fast eine komplette Mannschaft fiel aus.

Hintergrund

SV Obrigheim – SSV Samswegen

Reißen: 253:311,7 - Stoßen: 460:544,9 – Gesamt: 713:856,6 (0:3)

Moritz Huber (69,0 kg Körpergewicht): 125 kg Reißen + 155 kg Stoßen/0 Fehlversuche = 150,0 Punkte.

Alejandro Gonzales (82,7 kg): 135 kg + 175 kg/2 = 144,6

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SV Obrigheim – SSV Samswegen

Reißen: 253:311,7 - Stoßen: 460:544,9 – Gesamt: 713:856,6 (0:3)

Moritz Huber (69,0 kg Körpergewicht): 125 kg Reißen + 155 kg Stoßen/0 Fehlversuche = 150,0 Punkte.

Alejandro Gonzales (82,7 kg): 135 kg + 175 kg/2 = 144,6 Punkte.

Mohammed Hoblos (88,3 kg): 145 kg + 165 kg/2 = 136,6 Punkte.

Adrian Müller (64,8 kg): 110 kg + 129 kg/2 = 121,0 Punkte.

Philipp Hülser (77,9 kg): 110 kg + 129 kg/2 = 85 Punkte.

Sol Anette Waaler (60,0 kg): 0 kg + 104 kg/4 = 79,0 Punkte.

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Nachrücker im Einsatz

So rückten mit Adrian Müller und Philipp Hülser zwei zwar bundesligakundige, aber aktuell im Kader der zweiten Mannschaft etablierte Athleten ins Team, die noch vor zwei Wochen mit einer Berufung überhaupt nicht gerechnet hatten. Beide kämpften klasse, brachten jeweils vier gültige Versuche in die Wertung und vor allem Müllers Auftritt mit am Ende 121 Punkten ließ Betreuer Ingo Fein darüber staunen, "was der Adrian ohne viel Training aus seinem Körper alles herausholen kann".

Wie Hülser und Müller ist auch Mohammed Hoblos als ambitionierter Freizeitheber unterwegs. Der in diesem Sommer nach Obrigheim gewechselte 88-Kilo-Athlet absolviert eine Ausbildung zum Erzieher, was ihn aber nicht davon abhält, bemerkenswerte Auftritte in der Bundesliga zu zeigen. "Ich war noch etwas müde von der deutschen Meisterschaft in der vergangenen Woche, das habe ich gespürt", befand Hoblos nach fehlerfreiem Reißen (145 kg) und einem etwas übermütig geratenen Stoßen. Nach gelungenen 165 Kilo blieb er an 170 Kilo hängen, ließ im dritten aber sogar fünf Kilo mehr auflegen. "Ich habe mir 175 Kilo zugetraut und wollte es einfach probieren", sagt Hoblos. Teamchef Noe ließ ihn gewähren, weil der Wettkampf ohnehin entschieden war. Es ging schief. "Mo ist ein ehrgeiziger Athlet, der sich durch das Publikum pushen kann. Bei einem engen Duell hätten wir anders entschieden", so Noe.

Umgekehrt machte es Alejandro Gonzalez: Hielt sich Hoblos im Reißen schadlos und fabrizierte zwei Fehlversuche im Stoßen, lief es bei dem knapp 83 Kilo schweren Spanier im ersten Durchgang nicht wie gewünscht. Er brachte nur einen Versuch in die Wertung und somit nur 135 statt der geplanten 145 Kilo. Im Stoßen gelangen dem länger verletzt gewesenen Gonzalez allerdings 175 Kilo, die nach Relativpunkten (92,3) drittbeste Leistung in dieser Disziplin unter allen Athleten des Wettkampfs.

Huber ohne Fehl und Tadel

Zum Obrigheimer Teambesten in der Bundesliga avancierte erstmals Moritz Huber. Der 21-Jährige präsentierte sich stark, selbstbewusst, kämpferisch. Neben Samswegens Robert Joachim, dem vor dem Wettkampf durch Bundestrainer David Kurch verabschiedeten Vize-Europameister von 2018, war Huber an diesem Abend der einzige Athlet, der ohne Fehlversuch blieb. Der 69 Kilo schwere Sportler riss 125 Kilo und stieß 155 Kilo – mit so wenig Körpergewicht hatte er so viel noch nie gestemmt. 150 Relativpunkte waren der Lohn dafür. Der Neuzugang aus Lörrach übertraf damit seinen bisherigen persönlichen Rekord, den er im Sommer 2018 beim Pokal der Blauen Schwerter in Meißen aufgestellt hatte. "Ich habe mir heute überhaupt keinen Druck gemacht und hatte richtig Spaß am Heben. Es lief einfach super gut, ich bin megahappy über meinen Wettkampf", resümierte Huber, der seit diesem Semester an der Uni Heidelberg studiert und dadurch weniger oft trainieren kann als zuvor.

Nach Punkten besser als der Obrigheimer war lediglich Jiri Orsag. Der brachte am Samstag 132 Kilo Lebendgewicht auf die Waage – und im Stoßen 230 Kilo über Kopf auf die ausgestreckten Arme. Im letzten Versuch des Abends mussten die fleißigen Scheibenstecker dann so richtig schweres Gerät zubereiten: 241 Kilo bestellte der tschechische Superschwergewichtler und wollte damit einen Landesrekord aufstellen. Eine Last, die selbst in hunderten von Wettkämpfen in der Neckarhalle erst ganz selten bewegt wurde. Orsag schnallte den Bauchgürtel so eng es ging, aber es nutzte nichts. Er fand keinen rechten Zugriff, die Hantel entglitt ihm, noch ehe er sie der Bodenhaftung entrissen hatte.

Das passte ins Bild an einem Gewichtheber-Abend, der einige Aha-Erlebnisse bot, aber an dem auch einiges daneben ging.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
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