Wenn sich die Löwen ärgern, freut sich Marius Steinhauser. Der Flensburger Rechtsaußen sorgte am Samstagabend für Furore. Foto: vaf
Von Tillmann Bauer
Mannheim. Holger Glandorf hatte noch Energie. Schließlich war der schlaksige Linkshänder der SG Flensburg-Handewitt im Verfolger-Duell der Handball-Bundesliga am Samstagabend, das die Rhein-Neckar Löwen mit 22:24 verloren, rund 20 Minuten vor dem Abpfiff aufgrund einer rüden Abwehraktion mit der Roten Karte vom Feld geflogen und durfte sich den Rest der Begegnung von den Presseplätzen direkt am Spielfeldrand anschauen – für einen beherzten Wurf reichte seine Kraft, trotz seiner schmächtigen Oberarme, also allemal. Glandorf wickelte sich, nachdem er mit seinen Mannschaftskollegen den Freudentanz auf dem Parkett in der ausverkauften SAP Arena aufgeführt hatte, die Tape-Reste von seinen Fingern, knüllte sie zu einer kleinen, weißen Kugel zusammen und nahm, als er sich in den Katakomben befand, noch einmal genau Maß. Zack, feuerte er die Kugel wie einen kleinen Schneeball auf seinen Mannschaftskollegen Marius Steinhauser. Der ehemalige Außenspieler der Löwen war gerade dabei, die Fragen der Medienvertreter zu beantworten; er duckte sich geschickt weg, dann gab es einen anerkennenden Schulterklopfer von Glandorf für den Mann des Abends – beide lachten. Bei den Norddeutschen war Zeit für Späße. "Steini", wie Steinhauser gerufen wird, hatte in seinem alten Wohnzimmer für eine schöne Bescherung gesorgt.
"Ich war extrem heiß und motiviert", grinste er. Mit acht Treffern war der Linkshänder, dem das Kunststück gelang, in den vergangenen vier Jahren viermal Deutscher Meister zu werden, entscheidend daran beteiligt, dass die Löwen nicht nur die erste Heimniederlage in dieser Bundesliga-Saison hinnehmen mussten, sondern auch noch mit nachdenklichen Gesichtern unterm Weihnachtsbaum sitzen werden. Steinhauser: "Für mich war es die erste Rückkehr nach Mannheim, bei der ich auch wirklich spielen durfte – das Gefühl ist einfach richtig geil." Doch Freude und Trauer liegen nah beieinander.
Schließlich haben die Löwen nun zwölf Minuspunkte auf dem Konto. Die Zebras vom THW Kiel haben vier Minuspunkte weniger, selbst im Kampf um den zweiten Platz, der zur Teilnahme an der Champions League berechtigt, muss man sich aktuell bei der Konkurrenz hinten anstellen. "Es fehlt die Harmonie in unserem Spiel", sagte Andy Schmid. Weil das gerade in der Vorweihnachtszeit keine schöne Feststellung ist, schüttete sich der Schweizer Spielgestalter bei dieser Aussage prompt aus Versehen den heißen Kaffee über die eigenen Finger: "Die Zahnrädchen greifen einfach noch nicht ineinander." Wie wahr. Die Deckung wirkt leicht ausrechbar, der Positionsangriff ideenlos. Dass den Badenern aktuell ein Rückraumspieler mit großer Torgefahr auf den Halbpositionen gut zu Gesicht stehen würde, wurde sicherlich auch Ex-Löwe Kim Ekdahl du Rietz klar, der aus Paris angereist war, um seine ehemaligen Kollegen mental zu unterstützen. Konkret fehlte einer wie er.
Bei Flensburg merkte man, dass der amtierende Titelträger mit Wut im Bauch kam. Schließlich hatte man noch am Donnerstag überraschend in Ludwigshafen bei den Eulen verloren. Steinhauser bekam eine seiner seltenen Chancen, weil Lasse Svan mit einer Schulterverletzung passen musste. So übernahm er bei den Siebenmetern die Verantwortung und entschied sich für schwierige Würfe in entscheidenden Situationen: "Für die Löwen-Fans tut es mir auch ein bisschen leid, weil das hier meine Heimat ist."
Dass das keineswegs hochklassige aber hochspannende Duell zwischen den Rot-Blauen und den Blau-Gelben überhaupt auf einen echten Handballkrimi hinauslaufen sollte, wurde in der zweiten Spielhälfte klar. Plötzlich standen die beiden Schlussmänner, die noch am Anfang der Partie kaum einen Finger an den Ball bekamen, im Fokus. Andreas Palicka (30 Prozent gehaltene Bälle) lag teilweise quer in der Luft und glänzte dort mit spektakulären Paraden, auf der anderen Seite brachte Benjamin Buric (39 Prozent), der Flensburger Strahlemann, die Löwen-Schützen zur Verzweiflung. Schmid ergänzte, nachdem er den Kaffeebecher auf die Seite gestellt hatte: "Nach der Europameisterschaft im Januar müssen wir uns ernsthaft zusammensetzen und uns einen Plan schmieden, wie wir zukünftig agieren wollen." Die Mannschaft, der Trainer, das ganze Umfeld sei nun gefragt – zuvor steht aber noch am zweiten Weihnachtstag (16 Uhr) der Jahresabschluss in Düsseldorf beim Bergischen HC an.
Am späten Samstagabend war aber erst einmal "Steini" gefragt. Der Mann des Abends unterhielt sich noch mit den Fans und posierte für Erinnerungsfotos, als bereits die Putzkolonne durch den Arenabauch kreiste. Man konnte ihm irgendwie doch nicht böse sein.
Löwen: Schmid 4, Gensheimer 5/1, Kirkelokke 3, Lagarde 2, Mensah Larsen 1, Groetzki 2, Kohlbacher 5.
Flensburg: Jeppson 1, Steinhauser 8/5, Zachariassen 2, Sogard 6, Gottfridsson 7.
Stenogramm: 1:2, 3:4, 5:5, 7:5, 10:8, 12:11, 13:14 (Halbzeit), 16:16, 18:18, 20:22, 22:23, 22:24 (Ende).
Zuschauer: 13.200.( ausverkauft).