Wolfgang Brück. Foto: rnzVon Wolfgang Brück
Heidelberg. Früher gab es keine "Hater" und keine "Shitstorms". Nicht weil die Menschen besser waren, sondern weil Wutausbrüche nicht den Weg aus den Wirtshäusern fanden und Beleidigungen nicht um die halbe Welt gingen. Damals gab es noch kein Internet.
In der Zeit vor den sozialen Medien hätte Jörg Dahlmann wie geplant das Zweitliga-Spiel zwischen Sandhausen und Düsseldorf kommentiert.
Nun aber hat Sky den Fernsehreporter, der seit 40 Jahren am Mikrofon ist und mit dem Deutschen Journalisten-Preis ausgezeichnet wurde, fristlos gefeuert, weil eine kleine, aber radikale Minderheit Rassismus-Vorwürfe erhoben hat. Sein letztes Tor habe Sei Muroya von Hannover 96 erzielt, als er noch im "Land der Sushis" war, hatte der Reporter gesagt. Es half nicht, dass ihm japanische Freunde beisprangen und versicherten, sie seien nicht beleidigt, sondern stolz, weil Sushi ein Teil der nationalen Identität ist – und schmeckt.
Vielleicht hilft es aber, näher hinzuschauen. Wer von Dahlmanns Aussage Rassismus ableitet, der muss auch den Begriff "Weißwurstäquator" auf den Index setzen. Man darf Menschen nicht nach ihren Essgewohnheiten bewerten.
Dahlmann hat für eine Kirchenzeitung geschrieben, er war elf Jahre mit einer Kubanerin zusammen. Ist Mitglied der SPD. Weltoffen und liberal. Ihn in die rechte Ecke zu stellen, ist zutiefst ungerecht. Beleidigend.
Man kann über vieles diskutieren, aber mal ganz ehrlich: Manchmal fühlt es sich auch einfach nur gut an, sich auf die richtige Seite zu stellen, um – moralisch legitimiert – Dampf abzulassen. Empörung kann eine Form von Narzissmus sein.
Dahlmanns Berichte sind bildhaft und bunt, er gilt als verrückter Vogel. Er könne damit leben, dass ihn nicht alle mögen, sagt er.
Zuletzt war’s ein bisschen viel Feuer. Regelrecht eingeschossen haben sich die Entrüsteten. Erst Sexist, jetzt Rassist. Dabei hat sich der Reporter nach dem "Kuschelnacht"-Spruch sogar Absolution vom "Opfer" geholt. Sophia Thomalla hat gelacht und beteuert, dass sie nirgends ein Problem sehe. Für die Schauspielerin war die durchs Netz wabernde Aufregung keine schlechte Werbung.
Skandalös sind nicht Dahlmanns Aussagen, beschämend ist, dass sich der schwankende Riese Sky dem Diktat von Sprach- und Gesinnungs-Polizist:innen gebeugt hat.
Nikolas Beck. Foto: rnzVon Nikolas Beck
Wie sensibel dieses Thema ist, zeigt schon die Tatsache, dass ich um ein Haar in genau jene Falle getappt wäre, um die es hier gehen soll. Schließlich wollte ich eine Weisheit der indigenen Völker Nordamerikas zitieren. Und hätte dabei beinahe ignoriert, dass der Begriff "Indianer" ähnlich umstritten ist wie das "Zigeunerschnitzel" oder der "Mohrenkopf". Nur weil er für mich persönlich nie ein Problem dargestellt hat.
"Man sollte erst über die Maßnahmen eines Menschen urteilen, wenn man einen Tag lang seine Mokassins getragen hat", lautet besagtes Sprichwort. Das hat zugegebenermaßen wenig mit Sushi und Sushis zu tun. Aber es zeigt, warum es sich Jörg Dahlmann zu einfach macht, seinen Spruch als flapsige Bemerkung abzutun.
Dahlmann jetzt als Rassist in die rechte Ecke zu stellen, ist natürlich Blödsinn. Völlig überzogen.
Das macht seine Aussage aber nicht weniger problematisch. Ob sich Japaner an einer Bezeichnung für sie stören dürfen, entscheidet nun mal nicht ein deutscher Fußballkommentator.
So wie Donald Trump (und übrigens auch Joe Biden) nicht beurteilen können, wie sich das Leben als junger, nicht privilegierter Afroamerikaner in den USA anfühlt. Und auch wenn eine Assistentin kichern muss, weil ihr Chef sie "Schätzchen" oder "Süße" nennt, darf eine andere das als sexistisch verurteilen.
Kurzum: Man muss kein Rassist sein, kann etwas durchaus lustig gemeint haben – und trotzdem kann sich davon jemand diskriminiert fühlen.
Zumal Dahlmann vom Land der Sushis und nicht des Sushis sprach. Für die einen mag es eine grammatikalische Kleinkariertheit sein. Für die anderen aber der entscheidende Unterschied. Geht es ums Essen oder um die Menschen?
Der Sturm der Entrüstung wäre vermutlich nur ein laues Lüftchen gewesen, hätten seine Kollegen Wolff Fuß oder Kai Dittmann dasselbe gesagt.
Dahlmann polarisiert. Und er stand spätestens nach seinem misslungenen Kompliment für Sophia Thomalla unter besonderer Beobachtung. Der 62-Jährige sollte Profi genug sein, um zu wissen, in welch sprachbewussten Zeiten wir leben.
Dennoch hat er sich in den Augen seines Arbeitgebers "bei seinen Kommentaren nun mehrfach unsensibel und unpassend verhalten". Es ist Dahlmanns gutes Recht, sich gegen die Vorwürfe zu wehren, wie er sagt mit "Händen und Füßen". Im Idealfall nimmt er den Kopf für ein bisschen mehr Selbstreflexion noch dazu.