Amateurfußball-Debatte

Zurück zum Straßenfußball?

Die Diskussion über die Zukunft des Amateurfußballs beschäftigt die RNZ-Leser

10.02.2019 UPDATE: 11.02.2019 06:00 Uhr 3 Minuten, 2 Sekunden

Heftig prallten die Meinungen bei der Podiumsdiskussion im Kirchheimer Vereinslokal aufeinander. Auf unserem Bild v.l.: Gernot Jüllich, Joseph Weisbrod, Philipp Richter, Dimitrios Chrisafis, Wolfgang Brück, Christopher Benz, Stephan Anweiler, Johannes Kolmer und Ronny Zimmermann. Foto: vaf

Heidelberg. (RNZ) Zu unserem Beitrag "Der kleine Dicke fehlt in der C-Klasse" über die Podiumsdiskussion zwischen Vertretern des Fußball-Verbandes und der Vereine in Kirchheim erreichten uns zwei Leserbriefe, die wir in gekürzter Form veröffentlichen.

Hintergrund

Teurer Wodka

Ein Kommentar von Wolfgang Brück

Auf den Mund gefallen ist Ronny Zimmermann nicht. Wortgewaltig parierte der Anwalt aus Wiesloch die Vorwürfe, mit denen ihn Vertreter der Amateurvereine bei einer

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Teurer Wodka

Ein Kommentar von Wolfgang Brück

Auf den Mund gefallen ist Ronny Zimmermann nicht. Wortgewaltig parierte der Anwalt aus Wiesloch die Vorwürfe, mit denen ihn Vertreter der Amateurvereine bei einer Podiumsdiskussion in Kirchheim konfrontierten. Der Vize-Präsident des Deutschen Fußball-Bundes machte ein Klasse-Spiel. Als Verteidiger.

Es ging - natürlich - nicht zuletzt ums Geld. Bei den 36 Profi-Klubs sprudeln die Einnahmen, die 25.000 Amateur-Vereine werden mit Brosamen abgespeist. Der größte Sportverband der Welt hat sich von den Profis über den Tisch ziehen lassen. Gerade mal drei Prozent der Vermarktungs- und Fernsehrechte in Höhe von jährlich 1,5 Milliarden Euro beansprucht der DFB für seine Amateure.

Ein schwieriges Thema, meint Zimmermann, denn selbst wenn man die 50 Millionen verdoppeln würde, wie solle man das Geld gerecht auf die rund 150.000 Mannschaften in Deutschland verteilen? Bestünde dann nicht die Gefahr, dass der eine auf den anderen neidisch ist, weil der ein paar Euros mehr bekommen hat?

Wir beneiden die Herren in Frankfurt, wenn es ihre einzige Sorge ist, wie man Geld gerecht und sinnvoll verteilt. Aber: Wie, bitteschön, sonst soll man der Krise Herr werden als durch finanzielle Anstrengungen?

Man könnte zum Beispiel die Bolzplätze im Lande beleben. Der DFB hat Abertausende von Trainern ausgebildet, viele sind beschäftigungslos. Es wäre eine prima Sache, die Jungs und Mädels - zusätzlich zum Training im Verein - unter Anleitung kicken zu lassen. So wie früher beim Straßenfußball.

Es ist nur eine Idee und gewiss gibt es noch andere. Es wäre schön, wenn man anders als, am Donnerstag in Kirchheim, weniger über Risiken und mehr über Chancen reden würde.

Den Profis das Geld - den Amateuren die Ehre heißt es beim DFB. Doch die Zeiten haben sich geändert. Das Ehrenamt wird nicht mehr geachtet wie früher, als man als Chef des Fußballvereins noch was galt in der Gemeinde. Die neue Währung für Wertschätzung ist finanzielle Anerkennung, ob einem das nun gefällt oder nicht.

Stattdessen stöhnen die wenigen, die sich dem Gemeinwohl noch verpflichtet fühlen, unter der Last der Geldbußen und Gebühren. Der Strafen-Katalog kennt kein Erbarmen. Dabei weiß jeder Küchen-Psychologe, dass Belohnung bessere Ergebnisse erzielt als Strafen.

16.000 Mannschaften hat der DFB in den letzten fünf Jahren verloren. Auch in Kirchheim wurde deutlich, wie schlecht die Stimmung bei den Amateuren ist. Ob das die Verbandsspitze, die komplett angereist war, was man ihr hoch anrechnen muss, gemerkt hat? Der DFB, sagt Engelbert Kupka, sei eine geschlossene Gesellschaft ohne Streitkultur. Der CSU-Politiker ist der Kopf der Außerparlamentarischen Opposition. Eine interne Opposition gibt es nicht, zumindest keine wahrnehmbare.

Wenn es stimmt, was der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, werden die Männerbünde bei feuchtfröhlichen Gelagen und teueren Ausflügen geschmiedet. Von Geburtstagsfeiern für 20.000 Euro ist die Rede, von Reisen für mehr als 370.000 Euro, von Champagner für 248 Euro und Wodka für 358 Euro auf der Spesenrechnung. Steuerberater warnen den Deutschen Fußball-Bund, dass die Gemeinnützigkeit gefährdet sei. Wohl gemerkt, Zimmermann wird in dem Spiegel-Beitrag nicht erwähnt. Es gibt keine Zweifel an seiner Redlichkeit. Aber etwas mehr Offensivgeist zu Gunsten seiner Amateure würde man sich wünschen vom früheren Stürmer des VfB Wiesloch.

Es heißt, dass das Amt den Menschen verändert und nicht der Mensch das Amt. Donald Trump hat das Gegenteil bewiesen. Was der amerikanische Präsident kann, könnte - im positiven Sinne - sicher auch der badische Fußballchef.

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Den großen Wurf gibt es nicht

"Volle Arena, heftige Zweikämpfe, gefährliche Konter, verbale Alleingänge, emotionale Grätschen, Nachspielzeit, Verlängerung, Elfmeterschießen, ein cooler Schiedsrichter (Moderator Christopher Benz), ein kritisches, engagiertes Publikum - aber wenig Tore in Form von konkreten Lösungen: So der Eindruck von der Podiumsdiskussion im Clubhaus des hervorragenden Gastgebers FT Kirchheim mit Initiator Philipp Richter.

Wolfgang Brück, RNZ-Stimme des Amateurfußballs, spielte nicht nur selbst mit in dieser zweieinhalbstündigen Partie. Er schrieb unmittelbar danach seinen "Spielbericht" für die RNZ. Ein Schnellschuss? Bei zehn Diskussionsteilnehmern (inklusive Brück) ist es wohl unvermeidlich, Inhalte verkürzt und plakativ wiederzugeben. Allerdings sollten Aussagen der Teilnehmer schon authentisch veröffentlicht werden.

Ein Beispiel: "Vielfach seien auch die Eltern Schuld, meint Joseph Weisbrod. ’Sie träumen davon, dass ihr Sohn mal in Hoffenheim spielen wird’, sagte der Vize-Präsident des aufstrebenden Vereins ASC Neuenheim." Das habe ich so nicht gesagt! Im Originalton wies ich vielmehr darauf hin, dass vom letztjährigen Badischen Hallenvizemeister ASC Neuenheim drei U 13-Junioren von 1899 Hoffenheim, Eintracht Frankfurt und SV Sandhausen abgeworben wurden und es in solchen Fällen eine angemessene Entschädigung bzw. Ablöse für den Ausbildungsverein geben sollte.

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Zum Reizthema "Haus des Geldes", von dem der DFB angeblich zu wenig für den Amateurfußball und die Jugendförderung übrig hat, habe ich die 6 Millionen Euro erwähnt, die die Wirtschaftskanzlei Freshfields für die bis heute nicht erfolgte Aufklärung der WM-Schmiergeldaffäre als Honorar kassiert hat - exakt die Summe, um die es bei den verschollenen Beckenbauer-Millionen ging.

Gravierender sind jedoch die dem DFB durch mysteriöse Deals im Grundlagenvertrag mit der DFL entgangenen etwa 50 Millionen Euro. In der Diskussion von mir erwähntes Zitat aus Zeit online: "Mit einer solchen Summe könnte der DFB die Amateurvereine von den rund 30 Millionen Euro entlasten, mit denen sie pro Jahr die Landes- und Regionalverbände tragen."

Der Appell von Gernot Jüllich, "den Straßenfußball in die Vereine zu bringen", ist das eine - die Umsetzung das andere. Den großen Wurf gibt es nicht. Es gilt der Weg der kleine Schritte. So sollte die Saison mit den Kreis- und Pokalspielen nicht schon vor den Sommerferien, sondern frühestens Ende August beginnen. Kleine Vereine, Trainer, Schiedsrichter und Ehrenamtliche müssen nicht nur ideell durch Lobeshymnen, sondern auch finanziell bedarfsgerecht unterstützt werden.

Geld sollte ja genügend in der Kasse sein, wenn der große DFB-Hund mit seinen 26.000 Mitgliedsvereinen sich nicht vom gierigen Schwanz DFL (1,8 Milliarden Einnahmen!) vor der Nase herumwedeln lässt. Andererseits, so die Redebeiträge von Ex-Kreisboss Alfred Lampert und Claus-Beter Bach, Vizepräsident des Badischen Sportbundes, werden viele Zuschüsse von den Vereinen gar nicht in Anspruch genommen."

Joseph Weisbrod, Stellvertretender Vorsitzender des ASC Neuenheim


Griezmann wäre unentdeckt geblieben

"Anhand von zwei Beispielen aus der Vergangenheit versuche ich die Entwicklung, die der Fußball in den letzten Jahrzehnten genommen hat, zu beschreiben. In den 50-er und 60-er Jahren tummelten sich zahlreiche Kinder auf den Neckarwiesen in Neuenheim und jagten dem Leder hinterher. Es fanden sogar selbst organisierte "Auswahlspiele" gegen die Altstadt oder die Weststadt statt. Die Neckarwiese war eine Fundgrube für die Heidelberger Fußballvereine. So manches Talent wurde hier entdeckt.

Heute wird das Bild von Volleyball- und Frisbee-Fans, Hunde-Ausführern, Smartphone-Süchtigen sowie Grill- und/oder Trinkfreudigen beherrscht.

Die älteren Semester werden sich mit Wehmut an die Zeiten erinnern, als vor großen Spielen im Südwest-Stadion oder im Wildparkstadion Jugendmannschaften vor großer Zuschauerkulisse Vorspiele bestreiten durften. In fast jedem Spiel war ein kleiner Knirps dabei, mit einer Hose, die bis zu den Knien reichte und das viel zu große Trikot war mit der Nummer 10 versehen. Aber dieser Steppke war dank seiner Technik und seines Spielwitzes immer der umjubelte Liebling.

Heute hätte er in den sogenannten Fußballschulen und -internaten nicht den Hauch einer Chance. Wir brauchen da nur nach Frankreich schauen, da wurde der spätere Weltmeister Antoine Griezmann für zu klein und zu schmächtig befunden. Er wechselte deshalb nach Spanien und ist heute ein absoluter Weltklassestürmer. Ich möchte nicht wissen wie viele "Griezmänner" in Deutschland unentdeckt geblieben sind.

Selbst ich als unverbesserlicher Fußballromantiker weiß, dass jede Zeit Veränderungen mit sich bringt, aber trotzdem habe ich den (leider unerfüllbaren) Wunsch, der schnöde Mammon möge nicht mehr so drastisch im Vordergrund stehen, die Fesseln der taktischen Vorgaben würden gelockert und die Technik sowie die Offensive mehr gefördert. Ich träume von Offensivfestivals, wie bei der WM 1954 in der Schweiz als Ergebnisse wie 9:0, 7:5, 7:2, 6:1 an der Tagesordnung waren oder dem Endspiel der Landesmeister 1960 in Glasgow zwischen Real Madrid und Eintracht Frankfurt, das 7:3 endete. Aber Träume sind ja bekannterweise Schäume."

Ralph-Peter Fischer, Bammental

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
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