Matthäus Hofmann will bei der EM am Freitag ans Limit gehen. Foto: S. Weindl
Von Roland Karle
Obrigheim. Sein Trainer findet lobende Worte für Matthäus Hofmann. "Er hat eine starke Vorbereitung hinter sich, auch in der Schlussphase mit hohen Lasten hat er richtig gut gearbeitet. Es kann losgehen", sagt Oliver Caruso über seinen Schützling, der am Freitag bei der Europameisterschaft in der Klasse bis 109 Kilo startet.
Dabei muss der Sportsoldat zum Frühsport antreten. Bereits um 8.30 Uhr Ortszeit im georgischen Batumi (deutsche Zeit: 6.30 Uhr) wird am Freitag die Hantel in der B-Gruppe gerichtet sein. Hofmann hat sich viel vorgenommen, will genauso energisch rangehen wie zuletzt in der Neckarhalle. In der Bundesliga-Begegnung zwischen seinem SV Obrigheim und dem TB Roding hatte er 203 Kilo im dritten Versuch weggelegt und sich mächtig darüber geärgert. Sein Gedanke: "So kann ich nicht nach Hause gehen." Seine Reaktion: Er bat um einen vierten Versuch außer Konkurrenz. Das Ergebnis: Hofmann entriss die gut vier Zentner urgewaltig dem Bühnenboden und hielt das Gewicht auf ausgestreckten Armen ins Scheinwerferlicht, als sei nichts einfacher als das. Dabei hatte er gerade einen persönlichen Rekord aufgestellt. Zuvor waren ihm drei gültige Versuche im Reißen gelungen, der beste mit 170 Kilo.
Bei der Europameisterschaft will er an diese Leistung anknüpfen, möglichst in jeder Disziplin ein bisschen was draufpacken - ans Limit gehen. 21 Athleten treten im Schwergewicht an. Dass Hofmann erneut Fünfter wird wie im vergangenen Jahr in Bukarest, als er in der damals noch existenten 105-Klasse ein Zweikampfergebnis von 364 Kilo (172/192) erzielte, ist unwahrscheinlich. 2018 waren etliche Nationen und ihre Athleten wegen Dopings gesperrt, die nun wieder mitmischen. Weil Olympia-Anwärter mindestens zwei internationale Wettkämpfe pro Halbjahr absolvieren müssen, ist der Andrang größer geworden. Zudem hat der Weltverband auf Drängen des IOC die Gewichtsklassen reformiert: Bei Olympischen Spielen wird es nur noch sieben statt bisher acht Kategorien geben, dadurch kam es auch zu Verschiebungen und veränderten Abständen in den Gewichtsklassen.
Hofmann ist deshalb in die 109-Kilo-Klasse gewechselt. Er darf nun vier Kilogramm wiegen, aber das muss er eben auch in höhere Leistung umsetzen. "Ich bin ganz schön am Futtern", sagt er über seinen straffen Speiseplan. Vier klassische Mahlzeiten plus Nahrungsergänzungsmittel dreimal am Tag - Essen kann richtig zur Arbeit werden. Ein, zwei Kilo weniger Kampfgewicht wären dem 24-Jährigen lieber, aber was soll’s: "Ich muss die Bedingungen so akzeptieren, wie sie sind."
Akzeptieren musste er in der Vergangenheit auch manchen Rückschlag. Immer wieder hatte Hofmann mit Verletzungen zu kämpfen, bei der EM 2018 in Rumänien zum Beispiel rutschte er auf glatter Bühne weg und verdrehte sich das Knie. Es folgte eine Operation, an Gewichtheben war ein paar Monate lang nicht zu denken. Aber der ehrgeizige Athlet ließ sich auch dieses Mal nicht unterkriegen. Der Mann betreibt seinen Sport mit ungeheurer Passion.
Während sein langjähriger Team- und Trainingskollege Nico Müller in den vergangenen zwei, drei Jahren durchgestartet und letztes Jahr sogar Europameister geworden ist, pendelt der ein Jahr jüngere Athlet wie auf einer Schaukel: Kaum geht's einmal mit Schwung nach oben, haut es ihn bald wieder zurück. "Nico und ich, wir sind wie sportliche Blutsbrüder. Ich freue mich für ihn und gönne ihm jeden Erfolg", betont Hofmann. Er selbst hat gelernt, den Frust über unfreiwillige Pausen in produktiven Trotz zu verwandeln. "Mein Körper reagiert nicht so robust auf Belastungen, wie ich es gerne hätte. Aber das weiß ich inzwischen, damit kann ich umgehen. Ich achte bewusster auf Signale und Details, indem ich auch noch gezieltere Übungen und spezielle Physiotherapie mache."
Für einen Leistungssportler wie Matthäus Hofmann, der sensibel seine Grenzen auslotet, sind optimale Bedingungen besonders wichtig. "Ich habe 250 Meter von zu Hause bis zum Kraft-Werk, unserer Trainingsstätte, wo wir top ausgestattet und versorgt sind. Viel besser geht es nicht", berichtet der Mann, der aus Helmstadt stammt, für Obrigheim stemmt und in Schwarzach lebt.
Aktuell ist sein "Hebensmittelpunkt" allerdings 3500 Kilometer entfernt. In Batumi will Hofmann mal wieder ein Ausrufezeichen setzen. "Wir mussten nach der Verletzungspause behutsam aufbauen, das hat hervorragend funktioniert", sagt Trainer Caruso. "Matthäus ist jetzt richtig stark, er kann bei der EM einen deutlichen Schritt nach vorne machen." Dafür braucht er viel Schwung - und weniger Schaukel.