"Eine Generation muss mal damit anfangen"
Ein genauer Blick auf die Verkehrsprojekte "Querspange" und "Nordanbindung" – Von Tim Kegel und Christian Beck

Die verkehrstechnischen Herausforderungen der Zukunft in Sinsheim: Eine Anbindung an die Bundesstraße vor der Waidbachbrücke (oben) würde die Innenstadt aus nördlicher Richtung besser erschließen. Dadurch würde auch die "Z-Situation" zwischen Wilhelm-, Haupt- und Friedrichstraße (unten links) entlastet. Eine Querspange von der Verlängerung der Hauptstraße soll am Wiesental vorbei (unten rechts) in die Neulandstraße führen. Fotos: Tim Kegel
Von Tim Kegel und Christian Beck
Stau auf der Autobahn, ein Unfall wie jener am Donnerstag in Hoffenheim oder ein 1899-Spiel - die Gründe sind verschieden, die Auswirkungen stets die gleichen: In Sinsheim bricht der Verkehr zusammen. Zwei Ideen, die Situation zumindest langfristig zu verbessern, geistern seit vielen Jahren durch die Stadt: die Querspange und die Nordanbindung. Die RNZ fragte bei Baudezernent Tobias Schutz nach, was es damit auf sich hat, wo genau die Straßen verlaufen sollen und wann mit einem Bau zu rechnen ist.
Die Ausgangsproblematik
Das "Z" in der Mitte: Die Kreuzungssituation von Hauptstraße, Wilhelm- und Friedrichstraße. Auf Höhe Volksbank/Karlsplatz Z-förmig verschwenkt und über Ampeln geregelt. Über 20.000 Fahrzeuge pro Tag kommen hier durch.
Linksabbieger stadteinwärts: Linksabbieger aus der Muth- in die Friedrichstraße. Zu Stoßzeiten gibt es hier lange Rückstaus. Dasselbe gilt für Linksabbieger von der Friedrich- in die Muthstraße. Auch hier wirkt sich die Z-Situation über ihre Ampelregelung nachteilig aus. Ein Kreisverkehr scheiterte vor Jahren an der Grundstücksfrage.
Bundes- und Landesstraßen: Der Verkehr, der über die Bundesstraße aus Richtung Rohrbach und über die Landesstraße aus Richtung Weiler stadteinwärts fließt.
Stadthalle und Schwimmbadweg: Die Friedrichstraße zwischen Stadthalle und Karlsplatz/Innenstadt wirkt sich als "trennendes Element" aus. Die Freizeiteinrichtungen im Wiesental, beispielsweise das Freibad, die alla-Hopp-Anlage oder Sportstätten, erzeugen viel Verkehr. Die Fußgängerampel vor der Stadthalle dient als Verbindung für Passanten, sorgt aber für zusätzliche Verzögerungen. Linksabbieger vom Schwimmbadweg in die Friedrichstraße haben es schwer.
Dezentralität: Sinsheim hat nicht nur zwölf Ortsteile. Dezentral verhält es sich auch mit vielen Publikumseinrichtungen: Die Neuland- und Strombergstraße als "zweites Zentrum" mit Wirtschaftsbetrieben, Verbrauchermärkten, Tankstellen, Gastronomie und Spielstätten. Das Wiesentalgebiet für Freizeit, Sport, Naherholung sowie Senioreneinrichtungen. Beide liegen südöstlich. Das Behörden-, Schul- und Ämterviertel, beginnend in der Wilhelm- und Werderstraße mit Amtsgericht, Polizei, Stadtverwaltung, Bücherei, Kreis-Berufschulzentrum und Wilhelmi-Gymnasium im Norden und Nordwesten. Das alles sorgt für Zu- und Abfluss in die und aus der genau dazwischen liegenden Innenstadt, die wiederum durch die Hauptstraße geteilt wird. Park- und Lieferverkehr sowie Ampeln und die "Z-Situation" am Karlsplatz wirken sich ebenfalls aus.
Jede Menge Ausweichverkehr: Das Gesamtgefüge bringt massig Ausweichverkehr mit sich. Stadtauswärts sind der enge Schwimmbadweg parallel zur Neulandstraße sowie in entgegen gesetzter Richtung die Werderstraße parallel zur Hauptstraße die gängigsten Schleichwege. Beide Bereiche sind für Fußgänger wichtig und zu weiten Teilen verkehrsberuhigt.
Schulverkehr und Schüler: Die Schulen bringen tausende Fußgänger und Fahrzeuge aus dem gesamten Umland mit sich. Als Folge strömen Massen über verschiedenste Querungen entweder in Richtung Bahnhof, in die Innenstadt oder zu den Freizeiteinrichtungen. Neuralgische Punkte sind hier die Querungen Haupt-, Muth- und Friedrichstraße. Der Kraftverkehr, der Sinsheim über die B 292 aus Richtung Waibstadt/Odenwald ansteuert, ist nur stadteinwärts effektiv angebunden, belastet stadtauswärts aber so gut wie alle genannten Problemstellen.
Lösungsansätze
Nordanbindung: Die Idee geistert schon seit mindestens 15 Jahren durch die Köpfe der Stadtplaner. Tobias Schutz sieht sich als Teil "einer Generation, die das anpacken muss". Der Weg vom Berufsschulzentrum stadtauswärts würde am Friedhof vorbei in Richtung Krebsgrund führen, übers Feld verschwenkt. Und kurz vor der Waidbachtalbrücke an die B 292 angebunden. Damit wäre es möglich, das Schul- und Behördenviertel und damit das Zentrum von Nord und Nordost direkt anzusteuern und zu verlassen. Die ursprüngliche Kulturlandschaft im Krebsgrund sowie bei den Reiterhöfen stadtauswärts blieben davon unberührt. Die sensible Z-Situation an der Wilhelm- und Friedrichstraße würde nachhaltig entlastet.
Querspange: Der Horror mancher Wiesental-Freunde ist definitiv keiner. Eine Querverbindung von der Hauptstraße/B39 zwischen Rohrbach und dem Stadtzentrum würde ungefähr auf Höhe der Mittelmühle/altes Reinig-Gelände über die Elsenz geführt und vorbei am städtischen Jugendhaus auf den Schwimmbadweg treffen. Von dort würde eine Stichstraße gebaut, die den Ilvesbach über- und die Bahnlinie unterquert, bevor sie auf Höhe der Gutenbergstraße auf die Neulandstraße trifft. Der Schwimmbadweg soll mittelfristig aus dem Zentrum kommend nur noch bis etwa auf Höhe des Freibads befahrbar, seine Verlängerung nur für den Verkehr der Querspange nutzbar sein.
Neuland-Kreisel & "Schutz-Entwurf": Im Dezernat 2 der Stadt gibt es Planungen, die eine Querspange noch effektiver machen würden. Ein ohnehin zur Erschließung des künftigen Kauflands nötiger Kreisverkehr würde auf Höhe der Gutenbergstraße gebaut. Dadurch öffnen sich Perspektiven zum besseren Verkehrsfluss aus und in Richtung der Landesstraße L 550 in Richtung Weiler. In der Gutenbergstraße, einer Sackgasse, liegen Firmen mit Anlieferverkehr und die publikumsstarke Sinsheimer Moschee. Diese Ziele werden oft von Lkw-Fahrern angesteuert, die wiederum beim Abbiegen in die Neulandstraße zum Problem werden. Die Zukunftsvision von Baudezernent Schutz bindet die Gutenberg- und dadurch die Neulandstraße direkt an die L 550 an: Ein Durchbruch würde auf das Gelände der Autobahnmeisterei führen, die in absehbarer Zeit nach Bonfeld abwandert. Die Stadt müsste die Flächen im Bereich des Betriebshofs/Schwarzwaldstraße kaufen. Dort besteht bereits eine Anbindung an die L 550, die lediglich ausgebaut werden müsste. Im Flächenerwerb sieht Schutz weiteres Entwicklungspotenzial der technischen Infrastruktur Sinsheims. "Es gibt schon Ideen", sagt er.
Ausbau des Schwimmbadwegs: Zwei Varianten sind auf dem Tisch, die im Bündel aber auch einzeln effektiv sind. Eine Version sieht eine weitere Direktverbindung zur Neulandstraße vor, die ab der bestehenden Bahnunterführung zwischen dem Gelände Messehalle 6 und "Kentucky Fried Chicken" direkt zur Autobahnauffahrt führt. Das Reststück des Schwimmbadwegs, welches auf Höhe "Hotel Sinsheim" auf die Neulandstraße stößt, würde ebenfalls ausgebaut. So ließe sich von der Autobahn/aus Richtung Steinsfurt kommender Verkehr abfangen und Richtung Waibstadt leiten.
Kreisverkehre Dührener Straße und Ortsende Nord: Als wesentlichen Teil der Verkehrsentwicklung in der Innenstadt betrachtet die Verwaltung den Kreisverkehr Ecke Hauptstraße/Dührener Straße. Der Bau soll im kommenden Jahr im Gemeinderat beraten werden, ein genauer Zeitpunkt steht noch nicht fest. Die Möglichkeit eines zweiten Kreisverkehrs am äußersten Stadtrand wird gerade geprüft. Er würde die Abfahrt B 292, die Verlängerung der Hauptstraße/B39 und die Magdeburger Straße mit einander verbinden.
Der Zeitplan
Mit dem Ausbau des Schwimmbadwegs wurde bereits in dieser Woche begonnen. Wie es ab der Bahnunterführung weiter geht, ist laut Schutz im Moment noch nicht klar (siehe Artikel links). Ein erster Teil der Querspange, nämlich zwischen B 39 und Schwimmbadweg, soll im Jahr 2022 fertig sein. Die Verbindung zwischen Neulandstraße und L 550 könnte ebenfalls in fünf Jahren fertig sein. Der schwierigste Teil ist der dazwischen, denn hier sind Bahnlinie und Ilvesbach im Weg. Eine Brücke darüber ist keine Option, in Frage käme ein Tunnel. Und bis dieser gebaut werde, dauere es laut Schutz noch mindestens zehn Jahre. Für diesen Bereich sowie für die Nordanbindung werden gerade Machbarkeitsstudien ausgearbeitet.
Die Kosten
Sowohl für die Querspange als auch für die Nordanbindung nennt der Baudezernent einen "zweistelligen Millionenbetrag". Für genauere Zahlen müssten erst Studien und Pläne ausgearbeitet werden. Klar sei deshalb: "Sinsheim kann sich nur eines nach dem anderen leisten." Und das auch nur, wenn die Wirtschaft weiterhin für hohe Steuereinnahmen sorge. Denn den überwiegenden Teil der Kosten muss die Stadt selbst tragen.
Kritik und Bedenken
Schutz hält den Eingriff in die Natur für "sehr sanft", da die Pläne hauptsächlich bereits versiegelte Flächen für den Bau vorsehen. Das Wiesental werde nicht zugebaut, der Flugsportring sei nicht betroffen.
Machbarkeit und Möglichkeiten
"Ich glaube daran, dass die Projekte kommen. Sonst würde ich in der Zeit etwas anderes machen", erklärt Tobias Schutz. Aufwand und Kosten wirkten vielleicht abschreckend, doch die Verkehrssituation zeige, dass man Nordanbindung und Querspange schon früher hätte angehen müssen: "Eine Generation muss mal damit anfangen." Denn beide Projekte lassen laut Schutz eine Vision in greifbare Nähe rücken: "Dann wäre es nämlich möglich, die Hauptstraße als Fußgängerzone zu gestalten."



