Zukunftssorgen in Sinsheim

Zu wenige Helfer bei Dorf- und Vereinsfesten

4500 Maultaschen hat die evangelische Kirchengemeinde bis vor wenigen Jahren von Hand gerollt, heute sind es etwa 1000

25.06.2017 UPDATE: 26.06.2017 06:00 Uhr 3 Minuten, 8 Sekunden

Die Ortsbüttelrede beim Hoffenheimer Dorffest hatte viel mit der Sorge um dessen Fortbestand zu tun: "Wer im Dorf hätt’s wohl gedacht, dass Hoffe noch die dreißig schafft?" Foto: Tim Kegel

Von Tim Kegel

Sinsheim-Hoffenheim. Das Freibierfass war halb voll - eine Stunde nach dem Anstich. Ein Häufchen Vereine und Gruppen - neun an der Zahl - anstelle von einst dem Doppelten davon. Und eine Dorfbüttelrede ins Gewissen der Festgäste und -macher. Beim Dorffest am Wochenende kam die Frage auf, ob dessen 30. Auflage tatsächlich die letzte gewesen sein könnte. Der Zeitenwandel machte sich bemerkbar.

4500 Maultaschen hat die evangelische Kirchengemeinde bis vor wenigen Jahren von Hand gerollt, heute sind es etwa 1000. Die Festmeile, die sich früher durch die ganze Ortsmitte zog, ist ausgedünnt. Alles konzentriert sich rund um eine Freifläche an der Kirchenmauer. Dieses Mal bekamen alle Stände neue Plätze zugewiesen, große Leerstände zwischen den Zelten wollte man vermeiden. Das hatte zeitweise Stromprobleme, geplatzte Sicherungen und eine angespannte Stimmung zur Folge. Die TSG, der große Verein im Dorf, begnügte sich mit einem Bierstand. Das Freibier stammte aus dem Nachbarort, die größeren Zelte belieferte ein anderer Hersteller. All das drückte die Stimmung ein wenig, hörte man von Helfern.

"Wer im Dorf hätt’s wohl gedacht, dass Hoffe noch die dreißig schafft?" Die Einleitung in Horst Heinleins erster Rede als Ortsbüttel war symptomatisch. Erstmals war die Rede nicht von Hartmut Riehl verfasst worden, der aus Altersgründen an Elke Gehrig und Birte Wielage als Texterinnen übergab. Horst Heinlein, den viele als TSG-Stadionsprecher kennen, erinnerte an Zeiten, als das Dorffest noch um 10 Uhr morgens eröffnet wurde, es jährliche Löschwagenrennen, eine Bimmelbahn und eine Dorffestzeitung gab. Neun Vereine bekämen "den Hintern hoch", hieß es. "Jammern" beim Rest. "Beim Dorffescht helfe? Des ah’ noch."

Doch die, die mitmachten, ließen sich von den Schwierigkeiten hinter den Kulissen nichts anmerken: Eine Straßenolympiade, einen Kinder- und einen Bücherflohmarkt, Tanz, Bingo, Fliegerbasteln, Rockband, tatsächlich auch ein Spritzenwagenrennen stellten sie auf die Beine. An Organisatorin Michaela Netzer von den Ortsvereinen ging auch von Verwaltungsseite ein großes Lob.

Und es wurde aufgekocht: Schnitzel, Kartoffelsalat, Räucher- und Backfisch, Steaks, Würste, Maultaschen, Döner und "Nudeln to go" - keiner musste satt nach Hause gehen. Und zur Eröffnung in den Reihen der Sänger, selbst des Männergesangvereins: Einige junge Gesichter aus der Generation "Ü-30". Ein Hoffnungszeichen?

Zu ihnen gehören Markus Hess und Markus Fischer: Beide um die 30, gehen sie trotz Familie, Haus und viel Arbeit im Beruf "in die Singstund’", schätzen das Dorfleben, Zusammengehörigkeitsgefühl, "das Ländliche", sagt Markus Fischer. Beim Thema Dorffest sind sie skeptisch: "Dass nicht mal das Freibier leer wird", sagt Markus Fischer trotzig, "das gibt’s nur hier." Hess und Fischer wünschen sich, dass auch in zwei Jahren ein Dorffest gefeiert wird, bleiben aber skeptisch: Vielleicht hat sich das Modell überlebt, schließlich mache "einer nach dem anderen die Schotten dicht", wie etwa der Wanderverein. "Ein generelles Problem" sei das, "ähnlich ist’s in Steinsfurt, in Ehrstädt, Zuzenhausen."

"Es ist ein Stück Kultur, das fehlen würde", sagt Wilhelm Straub, im Alter von 32 feierte er sein erstes Dorffest. Und feiern, das hieß für ihn auch helfen. Und das in einem Zeitalter, als samstags noch regulär gearbeitet wurde: "Du bist abends hin, bis zwei Uhr nachts; und hast am nächsten Tag mit dem Posaunenchor im Gottesdienst gespielt." Wunderschöne Zeiten seien das gewesen. Heute ist Straub doppelt so alt. "Ich will der Jugend nichts unterstellen", sagt er, "aber es fehlt am Zusammengehörigkeitsgefühl." Auch sieht Straub einen Zusammenhang zwischen dem Internet mit dessen Einsilbigkeit "und dem mangelnden Willen, sich persönlich zu treffen und zu unterhalten." Glaubt Straub an ein 31. Dorffest? "Nein, leider nicht."

Dabei klingt er ähnlich wie Markus Fischer und Markus Hess: "Manche Dinge fahren an die Wand - dann muss man was Neues machen." Viele im Ort hofften jetzt, dass sich im neu gemachten Hof des Heimatmuseums mehrere kleinere Vereinsfeste etablieren ließen. Oder dass das Dorffest im neuen attraktiven Rahmen neu aufleben könnte - "in kleinerem Rahmen, vielleicht." Ähnliches plane man ja auch im Nachbarort Zuzenhausen. Auch dort war das "Dachsenfranzfest" aus Überalterungsgründen und Nachwuchsmangel beerdigt worden.

Doch auch die gesetzlichen Auflagen bereiteten den Ehrenamtlichen Frust: "Die Vereine können das nicht mehr wuppen", sagt Petra Neu. Sie kennt sich gut mit Lebensmittelrecht aus und berichtet, dass inzwischen "spezielle Schläuche für die Wasserleitungen" vorgeschrieben wären. Bei Kuchenspenden müsse "jeder Kuchen deklariert werden", etwa zum Schutz von Allergikern. Läuft ein Kühlschrank seien stündliche Protokolle über dessen Temperaturkonstanz zu führen." Und wer ein größeres Zelt stelle, müsse dieses mit 80 Zentimeter langen Nägeln im Boden verankern: "Mach’ das mal in der Ortsmitte", sagt Petra Neu.

Zuletzt hatte das Rote Kreuz seine Teilnahme am Jubiläumsdorffest abgesagt. Ortsvorsteher Karlheinz Hess gibt sich dennoch optimistisch, verliert nach außen kein Wort davon, dass die Festzukunft gefährdet wäre. Auch Oberbürgermeister Jörg Albrecht glaubt das 31. Dorffest herbei: "Was ich sehe, hat Bestand", sagt er. Die Helfer seien "zu engagiert und motiviert", um aufzugeben. Im Rathaus suche man nach Möglichkeiten, "das Hoffemer Dorffest in irgendeiner Form zu unterstützen."

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