So lief die Badische Revolution ab
Die Freischärler standen vor verschlossener Tür am Schloss Neuhaus. In Heidelberg kamen sie zu spät an, vermutlich weil sie sich zuvor Mut antrinken mussten.

Von Hans-Ingo Appenzeller
Sinsheim-Steinsfurt. Die Tage um Ostern 1848, ziemlich exakt vor 175 Jahren: Die Badische Revolution im Großherzogtum spitzte sich zu. Aufgepeitscht durch unerträgliche Lebensbedingungen wurde nach Veränderungen gerufen. Friedrich Hecker startete vom Bodensee aus seinen Revolutionszug. Mitstreiter scharten sich zusammen. Sie exerzierten in Gemmingen. Oder riefen in Sinsheim gar die Republik aus. Auch in Steinsfurt herrschte Aufruhr.
Von Nöten und Unmut gekennzeichnet war dieser Zeitabschnitt. Die alte Zuversicht, das Leben in Baden würde nach der Ablösung der Leibeigenschaft, des Zehnt und anderer Lasten gegenüber dem Adel leichter werden, war der Ernüchterung gewichen: Die finanziellen Belastungen verringerten sich nicht, die Versorgungsgrundlage blieb schlecht.
Im Gegenteil: Das Zehntablösegesetz von 1833 verlagerte den Steuerempfänger nur, die Abgaben stiegen. Viele konnten die Ablösesummen der Feudallasten nicht aufbringen. Die Verschuldung wuchs und mit ihr die Empörung – forciert durch große Missernten. Unzufriedenheit und Verdrossenheit gegenüber den politisch Verantwortlichen machten sich in demonstrativen, revolutionären Aktionen Luft.
"Die revolutionäre Bewegung der Jahre 1848/49 fand hier lebhaften Widerhall und eine beträchtliche Zahl begeisterter Anhänger", schrieb der Steinsfurter Alt-Ochsenwirt Hugo Schwab 1948 in der Rhein-Neckar-Zeitung, als er auf die Ereignisse vor damals 100 Jahren blickte. Eine Berg- und Talfahrt der Gemüter nahm Geschwindigkeit auf. Überwiegend junge Bauern, Handwerker und Landarbeiter hatten sich zu einer örtlichen Freischar zusammengefunden. Peter Wild – sein Bruder Philipp errichtete 1852 die Brauerei und die Gaststätte Wild neben dem Rathaus – war Organisator und Hauptmann der Freischärler.
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Doch deren erste Aktionen verliefen alles andere als vielversprechend: "Am Gründonnerstag – damals der 20. April – begannen die Steinsfurter Freischärler ihre revolutionären Unternehmungen mit einem Zug auf das etwa eine Stunde entfernt liegende Schloss Neuhaus, das damals den Freiherrn von Degenfeld gehörte, notierte Schwab. Diesen warfen sie vor, "ihre einflussreiche Stellung am Kurpfälzer Hof in Heidelberg ausgenutzt und sie hintergangen zu haben". Der Degenfelder hätte bei der allgemeinen Ablösung der Frondienste in Aussicht gestellt, die Fronen dem Dorfe abzulösen, wenn als Gegengabe ihm das Gewann Melkschlag überlassen werden würde. Daraus wurde bekanntlich nichts, aber der Groll der Bauern umso heftiger. Sie erkannten, dass ihnen das Fell über die Ohren gezogen worden sei. "Diese Verbitterung war im Bewusstsein der Revolutionäre von 1848 lebendig, darum der Zug auf das Schloss und die Forderung auf Rückgabe des Waldes", schloss Schwab vor 75 Jahren.
Vor 175 Jahren jedoch blieb für die Steinsfurter das Tor des Schlosses Neuhaus verschlossen: "Durch einen Diener wurde den Bauern mitgeteilt, die Herrschaft sei verreist."
Das hinderte Wild und seine Leute nicht, am Ostermontag – damals der 24. April – in aller Frühe aufzubrechen, um den "Zug der Kraichgauer Bauern und Bürger" zu unterstützen: "Angetan mit Heckerhut, Säbel und Karabiner" führte Freischar-Hauptmann Wild hoch zu Ross mit seinen Leutnanten Goos und Emmerich seine Mannen nach Heidelberg. Die Ausrüstung war schlecht, nur wenige hatten Flinten, das Gros trug Sensen und Heugabeln, die zum Stechen geradegebogen und zum Beiziehen gekrümmt waren. Der Zug wurde durch den Hauptmann angefeuert mit den Worten "Kameraden, nur standhaft, komme, was kommen mag – und damit basta!"
Doch als die Revoluzzer am Karlstor in Heidelberg ankamen, erfuhren sie, dass die Sinsheimer Bürgerwehr bereits entwaffnet war und es höchste Zeit zum Umkehren sei. "Sie machten dann auch schleunigst kehrt!", heißt es. Der Grund, warum die Steinsfurter zu spät nach Heidelberg gekommen waren, ist nicht bekannt. In Sinsheim war laut Heimatforscher Hans Appenzeller später berichtet worden, die Freischärler hätten zuvor zu viel Bier zu sich genommen, weil sie sich erst Mut hätten antrinken müssen.
Im Zuge der strafrechtlichen Aufarbeitung wurde die Wildsche Wohnung durchsucht, aber nichts gefunden. Deshalb blieb Peter Wild eine Verhaftung erspart. Chronist Schwab merkte 100 Jahre später an, es sei überliefert, dass Wilds Schwester bei der Hausdurchsuchung den Karabiner unter ihren Kleidern verborgen hatte. Georg Zink, ehemaliger Sinsheimer Stadtbibliothekar, zählte Wild 1948 in dem RNZ-Artikel "Vor 100 Jahren – Revolutionäre Ereignisse in Sinsheim 1848" jedoch zu jenen Sinsheimern, die mit August Mayer und Eduard Speiser "in Haft genommen" worden wären.
Dass der Steinsfurter auch anschließend mit juristischen Folgen rechnete, kann aus Wilds Flucht mit einigen Gleichgesinnten nach Amerika gefolgert werden. Eine Auswanderungserlaubnis, wie sie seinerzeit erforderlich war, hatte er laut Archiv-Akten nicht bekommen – im Gegensatz zu seinem Verwandten Philipp Wild, der 1849 offiziell auswandern durfte. Acht Steinsfurter bekamen 1848 die offizielle Genehmigung zur Auswanderung nach Amerika. 1849 waren es neun.