Podiumsdiskussion in Siegelsbach: Deutschland ist "das größte Bordell Europas"
Bei der Diskussion ging es um das brisante Thema "Prostitution und Menschenhandel" - Die prominenten Gäste sprachen Klartext

Es ging um die "Ware Mensch", das Podium war hochkarätig besetzt, unter anderem mit der SPD-Bundestagsabgeordneten Dr. Dorothee Schlegel, dem Journalisten und Autor Franz Alt (Mitte) und dem ÖDP-Abgeordneten des Europäischen Parlaments, Klaus Buchner. Fotos: Barth
Von Christiane Barth
Siegelsbach. Von Verrohung, Sklavenhandel, von einer "Wirtschaft, die tötet", von Menschen, die als "verwertbares Material" geködert werden und von Deutschland als dem "größten Bordell Europas" sprachen hochkarätige Redner bei der Podiumsdiskussion im Bürgerzentrum in Siegelsbach. Das Thema Prostitution aus der "halbseidenen Ecke hervorholen" wolle man, verdeutlichte etwa MdB Dr. Dorothee Schlegel (SPD). "Es macht die Frauen kaputt, man muss aufstehen und etwas dagegen tun", postulierte Ordensschwester Lea Ackermann, Trägerin dreier Doktortitel und des Bundesverdienstkreuzes.
"Die sozial Schwächsten sind die Opfer", wetterte der renommierte Journalist und Bestsellerautor Franz Alt. MdEP Klaus Buchner unterstrich: "Wir sind die, die Armut erzeugen und damit Prostitution fördern." Das Prostitutionsgesetz, das 2002 verabschiedet wurde, habe die Position der Frauen erheblich verschlechtert, so Helmut Sporer von der Kripo Augsburg. "Die deutsche, selbstständige Prostituierte ist die Ausnahme. Die meisten kommen aus Südosteuropa, landen unfreiwillig in der Prostitution und werden aufs Tiefste geschädigt", verdeutlichte Sabine Constabel, Sozialarbeiterin und Vorsitzende von "Sisters", ein Verein, der sich für den Ausstieg aus der Prostitution starkmacht.
Geballte Kompetenz vor rund 100 Gästen, eine hochkarätige Diskussionsrunde, die auch zur besten Sendezeit im Fernsehen hätte laufen können, zu einem brisanten Thema: "Wenn der Mensch nur Ware ist. Moderne Sklaverei und Menschenhandel."
Was sich im "halbseidenen Milieu" wirklich abspielt, wie die Zusammenhänge sind und dass es sich bei Prostitution um ein kaum zu kontrollierendes Terrain handelt, in dem Menschenverachtung regiert und die "Ware" Frau hochtraumatisiert wird, machten die Redner mit Nachdruck deutlich. Als leuchtendes Beispiel angeführt wurde Schweden, wo Prostitution seit 1998 verboten ist - hierzulande offenbar schwer durchzusetzen, ebenso wenig wie die Altersgrenze 21.
"Es sind die Männer, die sich sperren", so MdB Dorothee Schlegel. "Es gibt so gut wie keine Regeln", beklagte der Kriminalbeamte Sporer. Und die Sozialarbeiterin, die erschütternde Berichte über den Zustand von Frauen lieferte, "die keine andere Wahl haben", und von den "Loverboys" erzählte, die Frauen abhängig machen, sprach weiter Klartext: "Die Frauen sind nicht gemeldet. Wenn 1000 von ihnen umgebracht werden, bleibt das ohne Folgen."
Ein großes Thema in einer kleinen Gemeinde. "Wer weiß, was in den Medien alles veröffentlicht wird, weiß auch, dass das Thema nicht vor unserer Haustür endet", so Bürgermeister Uli Kremsler. Froh sei er, dass es die Initiative zur Diskussionsrunde mit derart viel Prominenz gegeben habe: Sie ging von den drei Kirchengemeinden (evangelisch, katholisch und evangelische Freikirche ETG) aus. Einem "brennenden Thema" wolle man sich widmen, so auch der evangelische Pfarrer Daniel Fritsch, der als Moderator durch den Abend führte, gemeinsam mit Petra Weiss, Organisatorin der Veranstaltung. Sie bat die Bundestagsabgeordnete um Unterstützung: "Wir wollen eine Petition starten."
Zusammenhänge wurden aufgedeckt wie das gescheiterte 0,7-Prozent-Ziel des Bruttoinlandsprodukts, das in Entwicklungshilfe hätte fließen sollen - laut Bundes-Versprechen vor 50 Jahren: "Heute sind wir gerade bei der Hälfte. Das ist die größte Schande - und dann wundern wir uns über die Flüchtlingsströme", ereiferte sich Franz Alt. "Das entscheidende Problem ist die soziale Ungerechtigkeit". Er sprach vom Papst als "Kämpfer im Vatikan": "Lest seine Öko-Enzyklika, um zu verstehen, wie die Dinge zusammenhängen". In Sachen Flüchtlingsströme: "Wir töten sie". Das Mittelmeer als Massengrab. "Wir müssten nur legale Fluchtwege schaffen (Flugzeuge)". "Wir haben in vielen Dingen Schuld", argumentierte auch Klaus Buchner.
Die Gelegenheit, den Funktionären auf der Bühne Fragen zu stellen, wurde von den Gästen rege genutzt, wie etwa jene nach der Geburtenregelung. Man müsse ökonomische Entwicklung initiieren, Folge sei der Rückgang der Geburten, so Alt. Musikalisch umrahmt wurde der Abend vom Musikverein Siegelsbach. Der Spendenerlös ging zugunsten von "Solwodi" (Solidarität mit Frauen in Not).