Im Eppinger "Rössle" wurden Erinnerungen wach

Unbequemes Denkmal stieß auf unerwartet großes Besucherinteresse.

10.09.2013 UPDATE: 10.09.2013 06:00 Uhr 2 Minuten, 25 Sekunden
Im ehemaligen Kinosaal ist heute höchstens noch eine Freiluftvorführung möglich. Vor mehr als 30 Jahren wurde hier der letzte Film gezeigt. 2009 musste das Dach aus Sicherheitsgründen abgerissen werden.
Von D. Brötzmann und A. Guzy

Eppingen. So muss wohl es in besseren Tagen gewesen sein: Das "Rössle", einst unter wechselnden Besitzern mal gut frequentiertes Gasthaus, mal schummrige Bar oder beliebtes Kino, wurde am Sonntag von Besuchern fast überrannt. Und das, obwohl es inzwischen eigentlich eine Bauruine ist. Ein Klotz am Bein ihrer Besitzerin - der Stadt. Oder, wie Reinhard Ihle von den Eppinger Heimatfreunden das Rössle angesichts seines heutigen Zustands beschreibt, "eine offene Flanke" auf der Ostseite des stattlichen und mit großem Aufwand sanierten Fachwerkensembles am Marktplatz.

Vielleicht war das Interesse aber auch gerade deshalb so groß. Denn nicht viele wissen, wie es jetzt hinter der stumpfen Fassade inzwischen aussieht, in dem Gebäude mit seiner langer Tradition und ungewisser Zukunft.

Über Jahrhunderte war das Rössle eine Eppinger Institution, und bei vielen Besuchern blitzten während der Führung Kindheits- und Jugenderinnerungen auf. "Ha, da bisch au mal davor g'schtande - beim Schulmädchenreport 1", ist zu hören. Der erste Kuss? Vielleicht dort oben im Kinodunkeln, das es heute nicht mehr gibt.

Im Rahmen des bundesweiten Denkmaltages, der unter dem Motto "Jenseits des Guten und Schönen - das unbequeme Denkmal" stand, hatten die Heimatfreunde Eppingen zu drei Führungen durch das "Rössle-Areal" eingeladen. Doch der Andrang war so groß, dass Ihle deutlich mehr Führungen im Halbstundentakt abhielt.

Drinnen wurde dann auch deutlich, warum das "Rössle" dem Motto des Tages gerecht wird: Das leer stehende Gebäudeensemble ist nicht nur ein bedeutendes Zeugnis der Stadtgeschichte, sondern auch ein kommunalpolitisches Sorgenkind, da es noch kein greifbares Konzept für seine Zukunft gibt. "Es ist ein unbequemes Denkmal für die Stadt", führte Ihle aus und stellte die Frage in den Raum, wie viel Geld die Kommune in das Gebäude investieren müsste, um es zu erhalten. Die Antwort blieb aus.

Die Fassade, im nachklassizistischen Baustil mit gelben Klinkersteinen ausgeführt, wirkt zunächst schön, doch unsachgemäße Umbauten im Inneren haben Haupt- und Nebengebäude schwer in Mitleidenschaft gezogen. Das im Jahre 1706 erbaute Gasthaus wurde um 1900 herum umgebaut. Es steht am ehemaligen Zwingergraben, der vor der Stadtmauer am Pfeifferturm verlief. Im Jahr 1718 erhielt der erste Besitzer die Konzession für den Wirtschaftsbetrieb.

"Der heute noch existierende Keller unter der Altstadtstraße muss nachträglich gebaut worden sein", erklärte Ihle zur Überraschung vieler Zuhörer. Durch Wassereintritt angegriffen, ist er inzwischen zum Problemfall geworden und muss mit Stützen abgesichert werden. "Oh je", entfuhr es spontan einem der behelmten Besucher (unbequeme Denkmale erfordern mitunter unbequeme Kopfbedeckungen) beim Anblick des hölzernen Stützstrebenwirrwarrs, ohne das die Statik des Kellers inzwischen kritisch wäre.

Das Nebengebäude des "Rössle", das heute die "Kaffeemanufaktur" beherbergt, wurde 1850 als Brauhaus errichtet. Nach dem Brauereisterben von 1890 wurde es im Jahr 1900 zu einem Laden mit großen Schaufenstern umgebaut. Auch eine Wagenremise und zwei Wohnhäuser wurden zu diesem Zeitpunkt angebaut.

Wie der Keller, so präsentiert sich auch die einstige Gaststube teilweise als abgesperrte Baustelle. Zusätzlich aufgestellte Stützpfeiler tragen die Deckenkonstruktion. Die alten, mächtigen Holzpfeiler standen einst auf einer Schwelle, die jedoch entfernt wurde, als ein Betonboden eingezogen wurde. Jetzt fehlt der untere Halt, weshalb die Pfeiler praktisch in der Luft hängen. Hier sieht man noch deutlich, dass das Gebäude ursprünglich ein Fachwerkhaus war.

170 Jahre lang betrieb hier die Familie Hartmann eine Gastwirtschaft. Danach wurde das "Rössle" von einem Schwiegersohn weiter geführt, der es 1907 an Franz Zorn verkaufte. Nostalgische Gefühle bei den Besuchern weckte am Ende der Führung das legendäre Kino, das ab 1929 eine große Attraktion in Eppingen und das Umland war. 1980 lief hier der letzte Film. Von da an stand das Gebäude leer und zerfiel zusehends - 2009 musste aus Sicherheitsgründen das Dach abgenommen werden. Nun sichern schwere Bitumenbahnen das darunterliegende Stockwerk vor weiteren Schäden. "Ein Dauerzustand ist das nicht", sagt Ihle, "aber noch weiß eben niemand, was aus dem 'Rössle' noch wird."

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