Hoffenheimer Fanprojekt

"Jeder ist schockiert" nach dem Augsburger Böllerwurf

Mitarbeiter des Fanprojekts Hoffenheim waren mit Jugendlichen in Augsburg und ganz nah dran am explodierten Böller

15.11.2023 UPDATE: 15.11.2023 06:00 Uhr 2 Minuten, 45 Sekunden
Sarah Sagnol, Marius Kügler (Mitte) und Emre Cankurtaran sind die Mitarbeiter des Fanprojekts Hoffenheim. Das Foto entstand vor dem Spiel in Augsburg, momentan ist ihnen nicht zum Lachen. Foto: Christian Beck

Von Christian Beck

Sinsheim. "Der, der den Böller geworfen hat, stand wohl hinter uns im Block", sagt Sarah Sagnol. Die Mitarbeiterin des Fanprojekts Hoffenheim war mit mehreren Jugendlichen am Samstag in Augsburg, als nach momentanen Erkenntnissen ein Hoffenheim-Fan einen Böller in die Zuschauermenge warf und damit mehrere Menschen verletzte. Auch eine Jugendliche, die mit dem Fanprojekt in der Augsburger Arena war, wurde verletzt, berichtet Sagnol: Sie habe ein Knalltrauma erlitten, inzwischen gehe es ihr besser. Doch die körperliche Unversehrtheit sei nicht das größte Problem: "Das ist ein traumatisches Erlebnis, das niemanden kalt lässt", sagt Sagnol. Sie selbst könne das Erlebte noch gar nicht richtig greifen, wirkt geschockt.

Häufiger fahren die Mitarbeiter des Fanprojekts mit Jugendlichen zu Auswärtsspielen, manchmal wird auf dem Weg noch ein Zwischenstopp eingelegt, beispielsweise an einer Gedenkstätte. Die Fahrten seien sehr gefragt, denn für Jugendliche sei es oft schwierig, zu Auswärtsspielen zu kommen, erklärt Sagnol. Gewalt im Stadion sei kein großes Thema – das hatte sie im Gespräch mit der RNZ vor dem Vorfall in Augsburg gesagt.

Hintergrund

> Das Fanprojekt Hoffenheim befindet sich in der Trägerschaft des Internationalen Bundes (IB). In jeder Stadt, in der ein Fußballverein in der 1. oder 2. Bundesliga spielt, muss es ein Fanprojekt geben. In Sinsheim finanziert es sich aus vier Quellen: Die Stadt, der

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> Das Fanprojekt Hoffenheim befindet sich in der Trägerschaft des Internationalen Bundes (IB). In jeder Stadt, in der ein Fußballverein in der 1. oder 2. Bundesliga spielt, muss es ein Fanprojekt geben. In Sinsheim finanziert es sich aus vier Quellen: Die Stadt, der Rhein-Neckar-Kreis und das Land tragen die Hälfte der Kosten, die andere Hälfte übernimmt die Deutsche Fußball-Liga. (cbe)

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Am Dienstag meinte sie zu der Frage, ob Eltern ihre Jugendlichen nun guten Gewissens ins Stadion lassen: "Bei jedem Großereignis ist eine Gefahr vorhanden." Viele, die da waren, hätten sich aber trotzdem schon für die nächste Auswärtsfahrt gemeldet. Das sei positiv. Ihr ist es wichtig, mitzuteilen, dass die zwei mutmaßlichen Täter vermutlich nicht aus der örtlichen Fanszene kommen.

Trotzdem beschäftige das Ereignis die Fanszene momentan und überlagere alles andere. "Jeder hat das mitbekommen, jeder ist schockiert", erzählt sie. Und auch der Arbeitsalltag der mittlerweile drei Mitarbeiter des Fanprojekts sei davon berührt: Bei den kommenden Spielen werden stets alle drei Mitarbeiter des Fanprojekts vor Ort sein, sagt Sagnol. Zudem werde das Fanprojekt vor dem nächsten Heimspiel gegen Mainz, das am Sonntag, 26. November, um 17.30 Uhr angepfiffen wird, anbieten, dass alle, die über den Vorfall in Augsburg reden möchten, in die Räume des Fanprojekts in der Neulandstraße 11 kommen können. Die genaue Uhrzeit für das Treffen stehe bisher nicht fest, werde aber noch über die Instagram-Seite "IB_Fanprojekt_Hoffenheim" bekanntgegeben.

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Vom Böllerwurf einmal abgesehen, ist die Stimmung beim Fanprojekt gut, unter anderem, weil neue Leute an Bord sind. Der studierte Sozialwissenschaftler Emre Cankurtaran ist seit mehr als zwei Jahren dabei, die gelernte Erzieherin Sarah Sagnol seit Februar, im Oktober stieß Marius Kügler dazu, er hat Soziale Arbeit in Heidenheim studiert. Wer beim Namen Sagnol an Willy Sagnol denkt, einen Abwehrspieler, der von 2000 bis 2009 bei Bayern München kickte, liegt übrigens richtig: Sarah Sagnols Frau ist mit ihm verwandt, erzählt sie mit einem Lächeln. Sie hatte 15 Jahre eine Dauerkarte und wollte Hobby und Beruf miteinander vereinbaren, erzählt sie auf die Frage, warum sie nun beim Fanprojekt arbeitet. Zudem habe ihr als Erzieherin der erzieherische Aspekt gefehlt, sie habe zuletzt den Eindruck gehabt, dass es dort mehr um Kinder-Aufbewahrung geht.

Die Fanprojekt-Mitarbeiter sehen ihre Aufgabe darin, kritisch parteiisch die Interessen der Fans zu vertreten. Man sei Ansprechpartner, insbesondere für Jugendliche und junge Erwachsene, übe zusammen Choreografien, versuche, Konflikte zu klären und andere erst gar nicht entstehen zu lassen. Dazu besprechen sich die drei Mitarbeiter unter anderem auch mit dem Verein oder der Polizei. Vor Heimspielen, die um 15.30 Uhr angepfiffen werden, stehe der Treff in der Neulandstraße ab 11 Uhr offen. Außerhalb der Spieltage treffe man sich mit Jugendlichen, um auf der Playstation Fifa zu zocken oder gemeinsam in der Schulsporthalle Hoffenheim zu kicken. Momentan werde noch eine Küche in die Räume eingebaut, zudem soll eine Bibliothek zum Thema Fußball und Fankultur aufgebaut werden.

Sagnol ist es ein Anliegen, dass in der hauptsächlich von Männern geprägten Fanszene ein Frauenbild Einzug hält, das wertschätzend ist. Zudem sollen Werte transportiert werden, beispielsweise, dass alle Menschen bedeutend sind. Auf die Frage, ob man damit zu allen Fans durchdringt, gerade wenn Alkohol im Spiel ist, antwortet Sagnol: "Klar, nicht zu jedem." Hier sei Kontinuität wichtig. Und wenn man Fans darauf anspreche, dass man sich über andere nicht abfällig äußert, habe sie den Eindruck: "Es arbeitet im Kopf."

Zurückhaltend ist sie beim Thema Pyrotechnik, Sagnol bezeichnet es als "schwieriges Thema". Cankurtaran sagt: "Das ist nicht erlaubt, gehört aber irgendwie zum Fußball." Und Sagnol erklärt: "Ultras wollen Selbstwirksamkeit zeigen. Das können sie gut, indem sie Regeln überschreiten. So sieht jeder, dass sie da sind."

Info: www.fanprojekt-hoffenheim.de 

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