Ostfahrzeuge haben eine besondere Faszination (plus Fotogalerie)
Dickes Blech und Anekdoten hinterm Eisernen Vorhang: Beim Ostalgie-Treffen des Auto- und Technik-Museums

Willi Kurles frühere Staatskarosse "Tschaika". Foto: Tim Kegel
Von Tim Kegel
Sinsheim. "Den kannst’ anner Stoßstange aufbocken", sagt Jonny Lemke mit dem Zungenschlag des waschechten Mecklenburgers. In jungen Jahren habe einer seiner Kumpels mit einem solchen Wolga M21 "eine Kuh" überfahren - "tot umgefallen" sei diese, "so massiv sind die".
Die Lemkes, Jonny, Tochter Peggy und Sohn Sven, sind im Grunde alle Motoristen. Mit dem Zweitaktgemisch Ostdeutschlands großgeworden, einer alltagsnahen, robusten Technik, mit der sie lange lebten und die sie lieben lernten.
Peggy erinnert sich noch an den Weg über die Grenze im Trabant-Kofferraum kurz vor Maueröffnung, da war sie sieben Jahre alt und fand alles "spannend". Jonny war in der Ex-DDR Taxifahrer, ist gelernter Kfz-Schlosser, schmuggelte mit dem Trabbi-Modell, das sie damals "Kugelporsche" nannten, schwarzgefischte Ostsee-Aale ins 120 Kilometer entfernte Berlin - "eintauschen gegen Apfelsinen". Jonny lebt schon seit Jahrzehnten in Sinsheim; lange Zeit hat er hier den Jungs im Jugendtreff das Schrauben beigebracht. "Ohne Schrauben werd’ ich verrückt", sagt er. Und fährt ein Trabant, ein Wartburg oder ein Lada an ihm vorbei, dann kann er es hören, ob die Blattfedern richtig eingestellt sind und ob "das große Zahnrad abgenutzt" ist. Die rund 210 Fahrzeuge auf dem Platz - Wahl-Hilsbacher Jonny, er kennt sie alle.
Den Spatz, den Sperber, den Star und die Schwalbe - sie hätten die Zweiräder von Simson Suhl "immer nur die Vogelserie" genannt; den russischen Moskvich, den Wartburg 311, die Lada, viel seltener dann die bis heute ziemlich schicken Rally-Skoda 110, bisweilen stand auch mal ein seltener Tatra 603 mit seinem Achtzylinder V-Motor im Heck in einer Garage. "Man konnte", sagt Jonny vieldeutig, "allerhand tauschen. Manche hatten auch ein paar Westmark." Das Trabbi-Einheitsbild auf den Straßen - bei der vierten Auflage des Ostalgietreffens auf dem Museumshof war davon jedenfalls wenig zu spüren.
Die russischen GAS der 13er- und 14er-Baureihe, die als Staatskarosse konzipierte "Tschaika", waren die Könige auf dem Platz. Letztere bewegt Willi Kurle aus Möckmühl, nachdem er sie 1995 in seiner früheren russischen Heimat gefunden hat. Inzwischen werden die Straßenkreuzer zum Liebhaberpreis von rund 70.000 Euro gehandelt. "Aber jeden Tag steht ein dummer auf, der so etwas verkauft und ein zweiter, der es kauft", sagt Kurle mit russischem Mutterwitz.
Die "Tschaika", über die hier jeder staunt, hat Heckflossen, Peggy Lemke muss "sofort an Kennedy" denken, wenn sie diese Autos mit dem silbernen Hirsch als Kühlerfigur sieht. Wer schlendert, erblickt Lada, die manchem Fiat zum Verwechseln ähnlich sehen, den Skoda 110 mit deutlichem Opel-Manta-Flair, die vielen Wartburg 311 auf dem Platz, "die aussehen wie Euer Borgward", wie Jonny Lemke es ausdrückt. Eigenständig dagegen: Die Simson "Schwalbe", längst ein beliebtes Vehikel der jungen urbanen Szene. Und auch der Trabbi ist natürlich ein Original.
Viele der Teilnehmer des Ostalgie-Treffens sind mit der gezeigten Technik aufgewachsen, kennen sie aus einem früheren Leben zu Zeiten des Eisernen Vorhangs. Manch einer fährt heute mit einem Polizeiauto gleichen Typs herum, das ihn früher, wenn er zu schnell unterwegs war, geblitzt hat - Eugen Gepting zum Beispiel. Seinen Lada im Polizeilook hat er mit einer originalen Radarpistole von damals versehen. Doch wer ist der grimmige Mann in Uniform hinterm Steuer? "Ach", sagt Eugen Gepting, "das ist nur Opa. Der durfte heut mal mit."