Edingen-Neckarhausen

Seine Bilder aus der umkämpften Ukraine gingen um die Welt

Der ukrainische Fotograf Alexander Chekmenev präsentiert seine Ausstellung "Citizens of Kyiv" (Einwohner von Kiew).

25.07.2022 UPDATE: 25.07.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 51 Sekunden
Organisatorin Yana Hrytsai (l.) sprach bei der Benefizveranstaltung über die Ukraine. Die belarussische Musikerin Valentina Batura spielte das Zymbal. Fotos: Dorn

Von Katharina Schröder

Edingen-Neckarhausen. Da ist die junge Kellnerin, die plötzlich eine Waffe trägt, die Lehrerin, die in der U-Bahn ausharren muss, oder der über 80-Jährige, der die Besatzung der Deutschen in Kiew im Zweiten Weltkrieg überlebt hat und jetzt in Irpin ausharrt: Der ukrainische Fotograf Alexander Chekmenev hat ihre Gesichter, ihre Geschichten festgehalten. Sein Projekt "Citizens of Kyiv" (Einwohner von Kiew) erschien im New York Times Magazine, jetzt war ein Teil der Fotos als Ausstellung in Edingen-Neckarhausen zu sehen.

Matthias Loose und seine Frau Yana Hrytsai organisierten am Samstag eine Benefizveranstaltung für die Ukraine im Gemeindehaus St. Michael und konnten den namhaften Fotografen dafür gewinnen. Musikalisch gestalteten die belarussische Mezzosopranistin Darya Lenz, die belarussische Zymbal-Spielerin Valentina Batura und der georgische Pianist Paata Demurishvili das Programm. Ursprünglich sollte auch der ukrainische Schriftsteller Mykola Zymomrya dabei sein, er erkrankte jedoch. Aus seinen Werken las der Schauspieler Sebastian Anton vor.

Alexander Chekmenev

Mit dem Einmarsch der russischen Armee hat der 24. Februar die Welt zu einer anderen gemacht. 24 Kerne, 24 Sonnenblumen-Gestecke und 24 ausgestellte Fotos sollen bei der Benefizveranstaltung daran erinnern, sagte Organisatorin Hrytsai, die selbst Ukrainerin ist. Das Paar organisiert seit Jahren immer wieder Kunstveranstaltungen an verschiedenen Ort in Deutschland und der Schweiz. Anfang des Jahres zogen die beiden mit ihren Kindern von Worms nach Edingen-Neckarhausen. "Viele sind erstarrt, als der Krieg ausbrach, wir wollten etwas tun", sagt Loose.

Die beiden organisieren seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 und dem Überfall auf den Donbass immer wieder Veranstaltungen zugunsten der Ukraine, und die Ausstellung am Samstag soll nicht die letzte gewesen sein. Rund 1500 Euro Spenden kamen zusammen. Sie gehen an Initiativen "TUN – Vereinigung der Nicht-Gleichgültigen" in Charkiw und an die "Freunde der Erziehungskunst" für notfallpädagogische Einsätze in der Ukraine.

Die Benefizveranstaltung sollte auch ein Zeichen der Hoffnung sein, das betonten alle Beteiligten. Valentina Batura spielte Zymbal, das belarussische Nationalinstrument, das auch in der Ukraine genutzt wird. Ihren Auftritt beendete sie mit einem Lied, in dem es darum geht, dass Männer die Pferde frei lassen sollen. "Es ist ein fröhliches Lied über ein normales Leben. Ich wollte mit einem Happy End aufhören, denn das wünschen wir uns für die Ukraine", sagte die Musikerin. Ähnlich sah es Darya Lenz. Ihr lag das Lied "Dwa kolory" am Herzen, das von den traditionellen Stickmustern – genannt Wyschywanka – handelt, die in der Ukraine verbreitet sind. "Es geht dabei um die Farben der Wyschywanka. Sie haben die Farben der Liebe, der Hoffnung und der Trauer", erklärte Lenz. "Das sind die Phasen im Leben, die sich abwechseln, und auch die schwarze Phase wird vorbeigehen."

Das Programm kam an bei den zahlreichen Besuchern. "Ich bin erschüttert von den Bildern, sie sind so ergreifend", sagte etwa Brigitte Schulze-Hartung, die eigens aus Mannheim kam. Ein anderer Besucher fand: "Es ist wichtig, dass so etwas gemacht wird. Die Öffentlichkeit muss an der Ukraine interessiert bleiben." In der Pause kam eine Besucherin mit Tränen in den Augen zu Chekmenev, dankte ihm für seine Arbeit, von der sie so gerührt war.

Auch der Fotograf selbst ergriff das Wort. Übersetzt hat Sergiy Lebedynskyy. Er ist Kurator, Fotograf und Ingenieur. Seine Sammlung von Fotos osteuropäischer Fotografen sollte das Herzstück eines Museums für moderne Fotografie in Charkiw werden, das ursprünglich im September eröffnen sollte. Dies hat der Krieg nun verhindert, die Werke mussten evakuiert werden. Zu der Sammlung zählen auch die Bilder Chekmenevs. Bekannt wurde der Künstler mit Porträts, die er von Obdachlosen schoss, seine Fotos von Menschen in den ersten Tagen des Kriegs in Kiew gingen um die Welt. Es war ein Auftrag der New York Times, doch das Projekt wurde immer größer. Das New York Times Magazine druckte 24 von ihnen, inzwischen sind fast 100 entstanden.

Er liebe die Menschen, sagt Chekmenev, Jahrgang 1969. Fotografie sei die Waffe, mit der er umgehen könne, und die Sprache, die jeder versteht. Es sei schwierig gewesen, in den ersten Wochen des Kriegs überhaupt Menschen in Kiew zu finden. Die Stadt war belagert, viele Menschen geflohen. Die Bilder seien sehr persönlich. "Ich sehe meine Tochter, meine Mutter, mir nahestehende Leute", sagte er. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist der einzige Politiker in dem Projekt. Die Porträts gestaltete Chekmenev im selben Stil wie die der Obdachlosen. Denn der Krieg hat viele Ukrainer heimatlos gemacht, sie sind geflohen, wurden vertrieben oder deportiert. Die Porträtierten treten aus dem Dunkel ins Licht. Ihre Augen zeigen eine Schwere, die Blicke gehen tief. Trotzdem stehen und sitzen sie aufrecht, mit Haltung. Sie strahlen Hoffnung und vor allem Stärke aus, in der U-Bahn, im Schutzkeller, mit dem Gewehr oder ihrem Kind im Arm.

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