Wieslochs Deportierte erhalten ein Gesicht
Schüler gestalten Gedenkfeier über die Verschleppung der jüdischen Mitbürger ins Internierungslager Gurs am Donnerstag mit

"Nicht wegschauen": Schüler des Ottheinrich-Gymnasiums (unser Bild) sowie von Gerbersruhschule, Bertha-Benz-Realschule und Pestalozzischule gestalten die Gedenkfeier am morgigen 22. Oktober zur Deportation der jüdischen Bürger nach Gurs mit. Foto: Pfeifer
Wiesloch. (hds) Es wird eine Gedenkfeier, die nicht nur Erinnerungen weckt, sondern mit der Einbindung von vier Schulen auch die Betrachtungsweise von jungen Menschen einbezieht: Am morgigen Donnerstag wird die Deportation der jüdischen Mitbürger vor 75 Jahren in Wiesloch wieder vor Augen geführt. Damals waren 45 jüdische Einwohner in das Konzentrationslager Gurs in Frankreich am Rande der Pyrenäen verschleppt worden und morgen, am 22. Oktober, jährt sich dieser dunkle Abschnitt in der heimischen Geschichte.
"Wir sind von der Stadt vor den Sommerferien angesprochen worden, ob wir uns vorstellen könnten, an dem Abend mitzuwirken", gab Carolin Gutemann, seit 2008 Studienrätin in den Fächern Geschichte und Politikwissenschaften am Ottheinrich-Gymnasium, einen Einblick in die Entstehung des Projektes. Mit dabei sind morgen auch die Gerbersruhschule, die Pestalozzischule und die Bertha-Benz-Realschule. Mit unterschiedlichen Ansätzen werden die Jugendlichen sich in der evangelischen Stadtkirche der Ereignisse in jenen Tagen annehmen.
"Wir wollen die Besucher abholen, einen Überblick über die historischen Begebenheiten in einer Art Chronologie geben, aber auch aufzeigen, wie die Schüler die durchaus schwierige Aufgabe angegangen sind", so Carolin Gutemann. Beispielsweise wird von der Gerbersruhschule ein fiktives Interview mit einem Zeitzeugen nachgestellt, seitens der Bertha-Benz-Realschule werden die Fahrtwege der Deportierten nach Frankreich nachvollzogen und immer stehen dabei die jeweiligen Einzelschicksale der Menschen im Vordergrund. All dies geschieht über Vorträge, aber auch Szenen mit wechselndem Rollenspiel sind in die Abläufe integriert. Musikalisch untermalt werden die Aufführungen vom Klarinettisten Tim Ohlsson.
"Für uns war es wichtig, eine Brücke zwischen damals und heute zu schlagen", betonte Carolin Gutemann. Die Schüler sollten während des Projektes eigene Handlungsmuster erkennen und diese kritisch reflektieren. "Nicht wegschauen, sondern sich intensiv mit der Geschichte unseres Landes zu beschäftigen, all dies hat unsere Arbeit während des Projekts entscheidend geprägt", sagte sie. Wichtig sei zudem, den Deportieren ein Gesicht zu geben, aber auch den damaligen Tätern, jenen Gauleitern, die für die "Umsetzung" verantwortlich waren. Im Ottheinrich-Gymnasium verzichtete man darauf, einen kompletten Kurs einzubinden. "Ich habe auf Freiwilligkeit gesetzt und es haben sich 14 Schülerinnen und Schüler des aktuellen Abiturjahrgangs gemeldet", freute sich die Studienrätin ob des Interesses. Mit den anderen Schulen wurde in der Anfangsphase die inhaltliche Ausrichtung der Veranstaltung besprochen, um so ein sich ergänzendes und damit vielfältiges Bild zeichnen zu können. Insgesamt werden mehr als 50 Schüler den morgigen Abend mitgestalten.
Carolin Gutemann hat mit ihrer Gruppe ein kleines Theaterstück vorbereitet, in dem ein Einzelschicksal aufgegriffen und verarbeitet wird. So viel sei verraten, es geht um eine zerbrochene Milchflasche für ein Baby. "Wir haben dabei eine kleine Szene herausgearbeitet, in der wir die Geschehnisse von damals aufarbeiten wollen", erklärte die Lehrerin.
Bei den Treffen des Projektteams wurde auch die aktuelle Situation in Deutschland reflektiert: Selbstverständlich waren die Anschläge auf Flüchtlingswohnheime mit auf der Agenda und auch die rechtspopulistische Organisation "Pegida" wurde angesprochen. "Die Jugendlichen haben heute durchaus einen Bezugspunkt zu den Ereignissen im Dritten Reich", räumte Carolin Gutemann mit dem Vorurteil auf, die Schüler würden sich nicht damit beschäftigen. "Sie nähern sich aus verschiedenen Blickwinkeln diesem Teil der deutschen Geschichte." Wichtig am morgigen Abend sind ihr zufolge nicht nur das Gedenken an sich, sondern Hintergründe und Schicksale darzulegen. "Dies, so hoffe ich, ist allen beteiligten Schulen sicherlich gut gelungen", blickt sie optimistisch der morgigen Veranstaltung entgegen.
Mit dabei sein wird auch Dominique Lafon, der Beigeordnete aus Wieslochs französischer Partnerstadt Fontenay-aux-Roses, der aus Sicht seines Landes zu den damaligen Ereignissen Stellung beziehen wird.
Info: Die Gedenkfeier zum 75. Jahrestag der Juden-Deportation nach Gurs beginnt morgen, Donnerstag, 22. Oktober, um 18 Uhr in der evangelischen Stadtkirche Wiesloch.



