In der Grube tummelt sich jede Menge Leben
Mühlhausen-Rettigheim. Führung der Firma Wienerberger durch die Rettigheimer Tongrube. Seltene Amphibien, Fledermäuse und Vögel leben dort

Mühlhausen-Rettigheim. Ein intensiv genutztes Abbaugebiet, kahle Hänge, karger Boden: Aber die Tongrube in Rettigheim ist nur scheinbar lebensfeindlich. Manche Tiere brauchen genau diese Bedingungen, weil sie sich an extreme Standorte angepasst haben. Sie kennenzulernen, war hochinteressant und erstaunlich für die über 200 Besucher der Führung durch die Grube, die von der Firma Wienerberger angeboten wurde. Gerade für die vielen Kinder war es ein Riesenspaß, auf Entdeckungsreise in den Amphibientümpeln zu gehen und im schwindenden Licht nach den schnell dahinhuschenden Fledermäusen Ausschau zu halten.
Vom Standpunkt eines Naturschützers aus betrachtet, brauche man freilich keine Tongruben, erläuterte der Diplom-Biologe Andreas Ness vom Heidelberger Institut für Umweltstudien, einem Landschafts- und Umweltplanungsbüro. Aber wenn sich so viele schützenswerte Arten darin tummeln und die Firma sich aufgeschlossen zeigt, gelte es, die Gelegenheit beim Schopfe zu packen. "Während meines Studiums an der Universität Heidelberg habe ich mich schon hier herumgetrieben", erzählte der 49-Jährige, der bei der Führung von seinen Mitarbeitern Gunnar Hanebeck und Martin Schmitteckert unterstützt wurde.
Tonabbau und Tierschutz sind dank geschickter Planung vereinbar. Nicht jeden Tag wird in der rund neun Hektar großen Grube Ton abgebaut, sondern nur für einige Wochen im Jahr. Das angehäufte Gestein wird dann nach und nach von Lkw abtransportiert. In der Zwischenzeit kann sich das Leben entfalten. Wie Andreas Ness einräumte, sind auch Fehler passiert, beispielsweise seien im Zug der Grubenerweiterung Laichgewässer verschüttet worden.
Werkleiter Jürgen Förderer von Wienerberger in Malsch und seine Mitarbeiter haben im März zwölf neue Amphibientümpel ausgebaggert. Eine vielfältige Gestaltung, was die Neigung der Ufer, Wassertiefe oder auch Gefälle angeht, war dabei wichtig. Die flacheren Tümpel können durchaus mal austrocknen, aber das ist gewollt: So kann der räuberische Nachwuchs von Libellen sich nicht breit machen. Einige der Amphibien wiederum können für einige Tage, mitunter sogar Wochen, in einer Art Kokon im Boden überdauern, bis der nächste Regen fällt. Andere Amphibien können ihre Entwicklung beschleunigen, wenn ein Gewässer auszutrocknen droht, und rechtzeitig Beine und Lungen entwickeln, um weiterzuziehen.
Das Ausbaggern war laut Förderer mit einigem Aufwand verbunden, "aber dann haben wir der Natur ihren Lauf gelassen". Kaum hatte sich Regenwasser in den Kuhlen gesammelt, war das Interesse der Amphibien geweckt. "Wir machen so wenig", zeigte Biologe Martin Schmitteckert sich fasziniert, "und so viele Tiere nehmen es so schnell an."
Die Kröten, Frösche und Molche wanderten aus der Umgebung der Grube ein, aus hunderte Meter oder bis zu zwei Kilometer entfernten Gewässern. Hier finden sie Ness zufolge einen "idealen Lebensraum", der in einer dicht besiedelten Gegend wie dieser sonst kaum zu finden ist. Springfrosch, Wechselkröte und andere seltene Arten kommen in der Grube vor. "Bei denen hat man in Baden über Jahrzehnte hinweg einen dramatischen Rückgang verzeichnet." Die Kinder, die sich mit Feuereifer auf Spurensuche in den Tümpeln begaben, fanden auch Gelbbauchunke und Teichmolch, die ebenfalls als gefährdet gelten. Die Grube ist quasi zum "Trittstein" für die Amphibien geworden: Von hier aus kann die nächste Generation sich weiter verbreiten, den Tümpeln kommt damit laut Andreas Ness eine "zentrale Funktion für die Migration der Arten" zu.
Während der Besichtigung kam auch die Frage auf, wieso eigens Tümpel angelegt wurden, obwohl sich doch an der tiefsten Stelle der Grube, am Ostende, ein kleiner See gebildet hat. Andreas Ness erläuterte, dass sich Amphibien dort nicht entwickeln können: Irgendwie sind nämlich Fische hineingeraten, unter anderem Rotauge und Hecht, und das in einer Dichte, dass sich kein "natürliches Gleichgewicht" einstellt. Laich und Kaulquappen haben dort keine Chance.
Die Tongrube bietet aber nicht nur Amphibien einen Lebensraum. Vögel wie der Neuntöter oder die Dorngrasmücke brüten am Waldrand, an den steilen Hängen leben zahllose Zauneidechsen. Und in der Dämmerung kommen kleine Jäger aus dem Wald und gehen über der Grube auf Beutefang. Hier haben sie freie Bahn und finden Nahrung, vor allem Insekten, in Hülle und Fülle. Sie heißen Großes Mausohr, Großer Abendsegler oder Zwergfledermaus. Die Tiere wurden anhand ihrer Ultraschall-Rufe, hörbar gemacht durch spezielle Detektoren, von den Biologen identifiziert. Zehn Arten wurden in der Tongrube beobachtet (in Deutschland kommen rund 20 vor).
Wie es in fernerer Zukunft mit den Amphibientümpeln weitergeht, ist nicht ganz sicher. Wienerberger wird laut Jürgen Förderer mit der Erweiterung der Tongrube auch neue Tümpel anlegen. Doch hat sich das Unternehmen auch verpflichtet, die Grube zu renaturieren, das hieß ursprünglich, sie sukzessive zu verfüllen und wieder einen Eichenwald anzulegen. Jetzt jedoch, wo schützenswerte Amphibien hier vorkommen, lautet die Aufgabe, Aufforstung und Erhalt der Tümpel unter einen Hut zu bringen. "Da darf man keine Erde draufkippen", so Andreas Ness. Das wird rechtlich und praktisch nicht einfach. Aber alle Beteiligten arbeiten Hand in Hand.
Nächstes Frühjahr findet wieder eine Begehung der Rettigheimer Tongrube statt, dann können die Besucher die Amphibien auch hören, die dann auf Brautschau sind, und mehr über die hier vorkommenden Vögel erfahren.



