Eppelheim feiert Christian Lindner wie einen Popstar
FDP-Chef begeisterte seine Anhänger - Dutzende Fans wollten Autogramme und Fotos

Von Christoph Moll
Eppelheim. Christian Lindner hat eine Wette verloren - aber nicht ungern. Im Bundestagswahlkampf 2017 behauptete der nunmehrige Abgeordnete Jens Brandenburg, dass die FDP Rhein-Neckar mindestens 50 neue Mitglieder dazugewinnt. Der Parteichef hielt dagegen - und unterlag. Der Wetteinsatz: ein Auftritt im Wahlkreis von Brandenburg. Lindner löste diesen ein und kam am Dienstag in die Eppelheimer Rudolf-Wild-Halle, wo er rund 400 Besucher begeisterte.
Hintergrund
Christian Lindner in Eppelheim
FDP-Chef Christian Lindner denkt gar nicht daran, für seinen Vortrag auf die Bühne der Rudolf-Wild-Halle in Eppelheim zu steigen. Der Bartisch mit einem Mineralwasser auf der Bühne bleibt an diesem Nachmittag verwaist.
Christian Lindner in Eppelheim
FDP-Chef Christian Lindner denkt gar nicht daran, für seinen Vortrag auf die Bühne der Rudolf-Wild-Halle in Eppelheim zu steigen. Der Bartisch mit einem Mineralwasser auf der Bühne bleibt an diesem Nachmittag verwaist. Lindner diskutierte lieber auf Augenhöhe mit den Zuhörern – über, wie soll es sonst auch anders sein, Wirtschaft, die Freiheit der Gesellschaft und natürlich Bildung.
Mit dem Digitalpakt, den er maßgeblich mitverhandelte, will Lindner die Digitalisierung der Schulen vorantreiben, indem nicht nur "in Kabel, sondern in Köpfe" investiert wird. Die Entscheidung, das Grundgesetz zu ändern, ist im Bundestag zwar gefallen, doch der Bundesrat könnte in einer Woche den Daumen senken und den Vermittlungsausschuss anrufen. Ein Ärgernis für den ehrgeizigen Liberalen. Den Hauptgegner in dieser Frage hat Lindner schnell ausgemacht: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der den Widerstand im Bundesrat maßgeblich selbst organisiert.
"Der Bildungsföderalismus ist nicht mehr Teil der Lösung, sondern zum Problem geworden", sagt Lindner, der es den Ländern nicht mehr zutraut, ihre Ausgaben bildungsorientiert zu verwenden. "Auch Baden-Württemberg muss verstehen, dass wir nicht im Wettbewerb mit Bremen stehen, sondern vielmehr grenzübergreifend denken müssen", meint Lindner. Der FDP-Chef fordert mehr Autonomie der Schulen, um eine Leistungssteigerung zu ermöglichen. Erfolg durch Anreize, so das Motto. Zudem müsste eine digitale Lehrerausbildung erfolgen, um Tablets auch anwenden zu können.
Dass der Digitalpakt ausgebremst wird, glaubt Lindner indes nicht, denn die Länderfinanzminister hätten wenig davon, die digitale Modernisierung komplett aus eigener Tasche zu zahlen. Dann lieber das Angebot des Bundes annehmen, um die Hälfte der Kosten als Zuschuss zu erhalten, so ist Lindner sicher.
Heftige Kritik übt der 39-Jährige auch daran, dass die betrieblichen Ausbildungen nicht dem digitalen Zeitalter angepasst werden und Schüler oft nur an eine Universität denken. "Ich habe lieber jemanden, der als Handwerksmeister, Menschen in Lohn und Brot bringt, als jemanden, der irgendwas mit Medien studiert und am Ende gar keinen Arbeitsplatz hat", sagt Lindner, der vor einer "Überakademisierung" warnt.
In seinem rund eineinhalbstündigen Parforceritt durch die Themen der Bundespolitik gibt sich Lindner stets nahbar und eloquent. Die Ausgabenpolitik der Regierung vergleicht Lindner mit dem Kamellewerfen aus dem rheinländischen Karneval. Alle jubeln, wenn die Bonbons mit vollen Händen vom Wagen hinuntergeworfen werden. Nur mit einer nachhaltigen Entwicklung hätte die Mütterrente oder die Rente mit 63 nichts zu tun.
Auch die dunklen Wolken am Konjunkturhimmel treiben den Liberalen um. "Statt die Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen, werden wir bald Weltmeister der Steuerbelastung sein", sagt Lindner, der die Abschaffung des Solidaritätszuschlages notfalls mit einer Klage am Bundesverfassungsgericht durchsetzten will.
Die Dieseldebatte mit bevorstehenden Fahrverboten ist Lindner ebenfalls ein Dorn im Auge. Statt wahllos Fahrverbote in deutschen Städten zu verhängen und damit die Bürger massiv einzuschränken, wäre es an der Zeit, die Messstationen auf den Prüfstand zu stellen: "Mir kann doch keiner erzählen, dass in Neapel bessere Luft herrscht als in Stuttgart", echauffiert sich Lindner, der fordert, Busse zu elektrifizieren und Heizungen schnell zu modernisieren.
Lindners Anekdoten kommen beim Publikum an – auch dass Lindner Nachfragen zulässt und selbst das Mikrofon im Saal verteilt, bringt ihm Sympathiepunkte ein. Doch aus der Opposition heraus Forderungen zu stellen, fällt leicht. "Es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren", so beendete Lindner vor mehr als einem Jahr die Jamaika-Träume im Bund. Die Chance, in Regierungsverantwortung selbst Probleme anzugehen, hat Lindner verpasst – doch das nehmen ihm die Besucher an diesem Nachmittag nicht übel. (aub)
Um 16.04 Uhr brandete Applaus im vollbesetzten Saal auf, einige Besucher mussten sich sogar mit Stehplätzen begnügen. Lindner - dunkles Jackett, hellblaues Hemd, dunkelrote Krawatte - betrat schnellen Schrittes den Saal durch den Seiteneingang, begrüßte die Besucher in der ersten Reihe per Handschlag - darunter der FDP-Kreisvorsitzende Alexander Kohl aus Heiligkreuzsteinach und der Karlsruher FDP-Bundestagsabgeordnete Christian Jung, der früher in Neckargemünd zu Hause war. Eine Reihe dahinter saß der Leimener Oberbürgermeister Hans D. Reinwald. Sie alle erlebten einen brillanten Redner.
"Mit einem so vollen Saal haben wir nicht gerechnet", gestand Jens Brandenburg. Auch Lindner räumte ein, dass er skeptisch war: Ein Auftritt an einem Dienstagnachmittag vor Weihnachten in Nicht-Wahlkampfzeiten - ob da überhaupt jemand kommt? Nun sei er überwältigt, so Lindner. Denn er werde immer gefragt, wie er mit dem nachlassenden Interesse an der FDP zurecht komme. Alle 400 Gäste seien nun Zeugen dieses nachlassenden Interesses, so Lindner.
Brandenburg hatte den Auftritt eingefädelt, als er vor einigen Wochen hörte, dass Lindner in die Region kommt. "Er hat sofort zugesagt", erzählte der Walldorfer. Der RNZ verriet Lindner, dass er einen privaten Abendtermin in Heidelberg hat. Zu diesem brach er gegen 17.57 Uhr mit einer Flasche Riesling als Dankeschön von Brandenburg auf. Aber erst, nachdem er wie ein Popstar unzählige Autogramm- und Fotowünsche von Besuchern erfüllt hatte.
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Die Wild-Halle scheint bei Spitzenpolitikern beliebt zu sein: Erst im vergangenen Bundestagswahlkampf trat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hier auf. Aber warum Eppelheim? Die Stadt liege sehr zentral in der Kurpfalz, so Brandenburg. Und ein Pluspunkt der Halle sei die Tiefgarage. Anders als beim Auftritt von der Leyens war die Sicherheitsstufe am Dienstag deutlich niedriger: keine Kontrollen, keine Personenschützer, keine Sprengstoffspürhunde.
Lediglich zwei Beamte des Polizeipostens schauten nach dem Rechten. Auch einen Eintrag ins Goldene Buch der Stadt gab es nicht - weil laut Brandenburg die Zeit dafür fehlte. Bürgermeisterin Patricia Rebmann hatte die Einladung erst sehr kurzfristig erreicht, wie zu hören war. Sie war nicht anwesend.
Für die lokale FDP war es ein Feiertag. Über 15 Jahre ist es her, dass mit Guido Westerwelle, damals Generalsekretär, ein FDP-Spitzenpolitiker in Eppelheim war, erinnerten sich die Vorstandskollegen Peter Schib und Peter Bopp. "Mein Sohn hat mich beauftragt, ein Lindner-Autogramm zu besorgen", schmunzelte Bopp. Er bekommt es.



