Noch keine Entscheidung zu Hinterer Mult (Update)
Karlsruher Kammer nimmt Beweisaufnahme wieder auf

Die Erschließungsgegner warnten vor "Bodendiebstahl" in der Hinteren Mult. Foto: Kreutzer
Weinheim. (web) Der Rechtsstreit um das Umlegungsverfahren im Gebiet Hintere Mult geht weiter. Das bestätigte Bärbel Andres am Freitagabend im RNZ-Gespräch. Die Weinheimer Anwältin vertritt Bürger, die das 2019 endgültig beschlossene Gewerbegebiet an dieser Stelle kritisch sehen. Eigentlich hatte die Kammer für Baurechtsfragen, die am Landgericht in Karlsruhe angesiedelt ist, für Freitag eine Entscheidung angekündigt. Die Kläger hatten zuvor das Umlegungsverfahren gerügt und drei Kritikpunkte geltend gemacht: Zum einen hat die Sitzungsleitung des Gemeinderats im Frühjahr 2018 möglicherweise einen Fehler gemacht, in dem sie Offenlagebeschluss und Start des Umlegungsverfahrens nicht als getrennte Verfahren behandelt hat; zum anderen habe der Umlegungsausschuss entgegen der Gemeindeordnung nicht-öffentlich getagt und auf eine fragwürdige Kartierung zurückgegriffen.
Nach RNZ-Informationen gibt es Hinweise darauf, dass die Kammer zumindest den Vorwurf in Bezug auf die Veröffentlichungsfrage für stichhaltig hält. Fakt ist, dass die Richter die mündliche Verhandlung wieder eröffnet haben. Dafür haben sie den Prozessparteien rechtliche Hinweise erteilt. Die Beteiligten haben nun vier Wochen Zeit, um diese Hinweise zu erwidern. Anwältin Andres geht davon aus, dass es November wird, ehe eine Entscheidung fällt. Darüber hinaus haben die Gegner eines Gewerbegebiets in der Hinteren Mult eine Normenkontrollklage eingereicht. Hier sitzen die zuständigen Richter in Mannheim: beim Verwaltungsgerichtshof.
Update: Sonntag, 2. August 2020, 17.44 Uhr
Von Philipp Weber
Weinheim. Alt-OB Heiner Bernhard, Erster Bürgermeister Torsten Fetzner und Sven-Patrick Marx, Leiter des Amts für Stadtentwicklung: Sie waren nur drei Zeugen, die am vergangenen Freitag vor dem Landgericht Karlsruhe aussagen mussten. So berichten es Teilnehmer im RNZ-Gespräch. Hier Fragen und Antworten, warum die Verwaltungs- und Ratsvertreter – darunter auch mehrere frühere und heutige Fraktionssprecher – in die Fächerstadt gereist sind, was die Richter dort überprüfen und welche Konsequenzen es nach sich zieht, wenn die Stadt Weinheim Unrecht bekommt.
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Warum ist ein Gericht in Karlsruhe zuständig – und worum geht es? Bekanntlich hat der Gemeinderat vor über einem Jahr endgültig beschlossen, die Feldflur in der "Hinteren Mult" in ein Gewerbegebiet umzuwandeln. Schon damals kündigten die Gegner eines Gewerbegebiets an dieser Stelle an, die Beschlüsse gerichtlich überprüfen zu lassen. Wobei es sich hier eigentlich um zwei verschiedene Paar Stiefel handelt: Es gibt zum einen das Normenkontrollverfahren, für das der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim zuständig ist; zum anderen greifen die Gegner eines Gewerbegebiets in der "Hinteren Mult" das Umlegungsverfahren an, mit dessen Hilfe die Grundstücke in dem Gewann neu geordnet werden.
Die zuständige Kammer für Baulandsachen ist unter dem Dach des Landgerichts in Karlsruhe angesiedelt. Damit handle es sich um einen Zivilprozess, in dem aber zum Teil nach Verwaltungsprozessrecht verfahren wird, wie Bärbel Andres, Anwältin der Gegner eines Gewerbegebiets in der "Hinteren Mult", erläutert.
Vorsitzender Richter ist Andreas Staab, teilt wiederum eine Gerichtssprecherin mit: "Mit dem Umlegungsverfahren befassen sich insgesamt 31 derzeit anhängige Verfahren. Es hat bislang zwei mündliche Verhandlungen gegeben." Die Kammer hat einen Termin zur öffentlichen Verkündung einer Entscheidung bestimmt: Am 31. Juli, 10 Uhr, Saal 125, ist es soweit.

Was rügen die Gegner eines Gewerbegebiets in der Hinteren Mult? Im Prinzip greifen sie das Umlegungsverfahren an drei Punkten an. Erstens sei die Umlegungskarte nicht ordnungsgemäß veröffentlicht worden, sodass das Gebiet nicht klar definiert werden konnte. Zweitens habe der hierfür zuständige Umlegungsausschuss nicht-öffentlich getagt, obwohl er laut Gemeindeordnung die Öffentlichkeit zur Sitzung einladen müsse. Der dritte Kritikpunkt weist zeitlich am weitesten zurück: Hierbei geht es um den Verlauf der öffentlichen Gemeinderatssitzung am 18. April 2018. Damals hatten die Stadträte den Bebauungsplan für die "Hintere Mult" mehrheitlich einen Schritt weitergebracht, indem sie den Offenlagebeschluss fassten. Nur einen Tagesordnungspunkt weiter folgte die "Anordnung der Umlegung" – deren konkrete Durchführung in den dafür zuständigen Ausschuss verwiesen wurde.
Gerügt wird nun, dass dieser zweite Tagesordnungspunkt zur "Hinteren Mult" nicht wie ein eigenständiges Verfahren behandelt worden sein könnte: So hätte die Sitzungsleitung den Stadträten damals die Möglichkeit zur Aussprache einräumen müssen. Die große Frage ist nun, ob die damaligen Fraktionen freiwillig auf ihr Rederecht verzichteten oder ob es ihnen vorenthalten wurde. Wobei vor Gericht auch die Frage aufgekommen sein soll, warum die Ratsmitglieder dieses Recht nicht selbst einforderten.
Warum fällt die gerichtliche Entscheidung erst jetzt? Eigentlich wollte die Kammer den Verfahrenskomplex deutlich früher abschließen, erläutert die Anwältin. Wegen der Coronapandemie sei der Termin allerdings zwei Mal nach hinten verschoben worden. Außerdem räumte die Kammer dem Rechtsvertreter der Weinheimer Stadtverwaltung – und damit im Gegenzug auch automatisch der anderen Seite – ein, ausführlich Stellung zu nehmen zum nicht-öffentlichen Tagen des "Umlegungsausschusses". Hier liegt offenbar eine Normen-Kollision vor: Einerseits hätte der Ausschuss laut Gemeindeordnung öffentlich verhandeln müssen, andererseits schreibe die Durchführungs-Verordnung zum Baugesetzbuch eine nicht-öffentliche Sitzung vor.
Dass die sich über mehrere Stunden hinziehende Zeugenbefragung am Freitag ebenfalls auf Betreiben der Stadt Weinheim zustande kam, will Anwältin Andres nicht bestätigen: "Es ist immer die Entscheidung des Gerichts, ob eine Beweisaufnahme notwendig ist."
Ist das Gewerbegebiet gestoppt, wenn die Stadt Weinheim Unrecht bekommt? Nein. Allerdings muss die Stadt gegebenenfalls nacharbeiten, um eventuelle Fehler im Umlegungsverfahren zu heilen. Dabei müssen die Entscheidungsträger jeweils an den Punkt zurückkehren, an dem sie möglicherweise Fehler gemacht haben: je nach Sichtweise besten- oder schlimmstenfalls zur Anordnung der Umlegung durch den Gemeinderat.
Die im April 2018 ebenfalls beschlossene Offenlage des Bebauungsplans "Hintere Mult" wäre davon nicht betroffen – denn die stellte ja, wie nun alle gelernt haben, ein Verfahren für sich dar.