Hohe Belastung bei tiefen Frequenzen
Bürgermeister Fetzner hat sich des tieffrequenten Schalls angenommen. Die Betroffenen klagen seit Jahren. Nun hoffen sie auf einen Wuppertaler Experten.

Von Marco Partner
Weinheim. Für Betroffene sind sie eine Qual, für mögliche Verursacher ein unbequemes Thema: Wummernde Geräusche von Industrieanlagen oder Blockheizkraftwerken, die nachts trotz kilometerweiter Entfernung als störender Brummton bis in die Schlafzimmer vordringen können. Das Phänomen des tieffrequenten Schalls geistert schon seit Jahren die Bergstraße entlang – und findet nur sehr langsam, aber allmählich eben doch Gehör in der Politik. "Wir suchen noch nach einer Nadel im Heuhaufen", sagt Weinheims Erster Bürgermeister Torsten Fetzner. Er möchte in Zukunft Rat und Unterstützung aus der Wissenschaft hinzuziehen.
Neu ist für den Diplom-Bauingenieur das Brummton-Phänomen nicht. "Das erste Mal schlug das Thema im April 2014 bei mir auf. Eine Bürgerin aus Lützelsachsen meldete sich und berichtete mir von ihrem Problem. Ich besuchte sie daraufhin in ihrer Wohnung, konnte den Brummton allerdings nicht wahrnehmen. Das ist auch nicht ungewöhnlich, da nur sehr wenige Menschen tieffrequente Töne hören können und diese aus wissenschaftlicher Sicht unterhalb der Hörschwelle liegen", erinnert sich Fetzner. Daraufhin beauftragte er ein Weinheimer Büro für Bauphysik mit einer Untersuchung. Zunächst stand der nahe gelegene Handymast in Verdacht, für die Geräuschemission verantwortlich zu sein. Mit negativem Ergebnis.
Das Fachbüro schloss die Mobilfunkanlage aus, bestätigte jedoch, dass ein tieffrequenter Ton vorhanden sei. Exakt orten konnte man die unterschwellige Geräuschquelle jedoch nicht. "Das war aber auch schon eine wichtige Erkenntnis, dass es diesen Schall wirklich gibt", findet Fetzner. Schließlich wird dieser von nur knapp fünf Prozent der Bevölkerung wahrgenommen. Nicht-Betroffene reagieren meist mit Unverständnis. Dass es sich aber um ein "medizinisches Problem" handle, das Phänomen also eher der sensiblen Wahrnehmung der Betroffenen, denn der Zunahme lärmverursachender Anlagen geschuldet sei, diese Auffassung teilt Fetzner ausdrücklich nicht.

Seitdem sitzt der Erste Bürgermeister zwischen den Stühlen, versucht zu vermitteln und Ursachenforschung zu betreiben, ohne dabei einen bestimmten Betrieb ins Fadenkreuz zu nehmen. Lange standen das Freizeitbad Miramar, eine Biogasanlage sowie das nahe gelegene Kühlaggregat einer Metzgerei im Fokus. Aber auch als die Anlagen abgeschaltet waren, seien Beschwerden eingegangen. "Es muss also mehrere Quellen geben", erklärt Bürgermeister Fetzner.
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Um etwas Licht ins Dunkel zu bringen, kontaktierte er bereits 2019 den Lärmforscher Professor Detlef Krahé von der Universität Wuppertal. Eine Koryphäe auf dem Gebiet. Oder andres ausgedrückt: einer der ganz wenigen Wissenschaftler, die sich des unbehaglichen Themas überhaupt annehmen. Bereits in einer vom Bundesumweltamt beauftragten Machbarkeitsstudie von 2014 warnt er vor einer Verharmlosung der Problematik und zeigt auf, dass Menschen, die den Schall wahrnehmen, körperliche Beeinträchtigungen bis hin zu bleibenden gesundheitlichen Schäden erleiden können.
Ein weiteres Problem: Die heute geltenden Grenzwerte und somit auch die Messgeräte stoppen meist bei 100 Hertz, berücksichtigen also nicht, dass es Menschen gibt, die tiefer hören als die Norm. Professor Krahé aber geht bei seinen Messungen gerade dem zwischen 20 und 90 Hertz liegenden tieffrequenten Schall auf die Spur.
Für 2020 hatte Fetzner bereits ein Vor-Ort-Treffen mit dem Fachmann vereinbart. Aber dann kamen Corona und der Lockdown dazwischen. "Wir warten derzeit auf die Möglichkeit, dass er nach Weinheim kommen kann. Er würde zunächst ein Gespräch mit den Betroffenen und mit mir führen und auch entsprechende Aufzeichnungsgeräte zur Verfügung stellen", verrät Fetzner. Denn er möchte das Brummton-Dilemma in Absprache mit Schriesheims Bürgermeister Hansjörg Höfer künftig auf eine "interkommunale Basis" stellen.
"Es tut mir leid, dass Betroffene unter der Situation leiden und wir auf der Stelle treten", fügt der Erste Bürgermeister, der selbst an doppeltem Tinnitus leidet, hinzu: "Daher liegt mir die Sache auch aus persönlichen Gründen am Herzen." Betroffenen empfiehlt er, ein Brummton-Tagebuch zu führen, um noch stichhaltiger Ursachenforschung betreiben zu können.
Gleichwohl möchte er aber auch die Seite möglicher Verursacher nicht außer Acht lassen. "Umbauten wären sehr kostspielig, und wenn sie sich an bestehende gesetzliche Vorgaben halten, ist es mit einer Verpflichtung schwierig", weiß er, dass sich erst an den großen gesetzlichen Rahmenbedingungen etwas ändern müsste, ehe in konkreten Fällen Ruhe einkehrt.