Weinheim

Fetzner stellt Lieferung von Waffen infrage

Rund 350 Menschen nahmen an Mahnwache im Stadtgarten teil. Berichte von Betroffenen und ein Plädoyer des Ersten Bürgermeisters.

04.03.2022 UPDATE: 04.03.2022 19:45 Uhr 3 Minuten, 12 Sekunden
Vertreter von Weinheims Stadtgesellschaft zeigten Flagge: „Ukraine, wir stehen an Deiner Seite“, lautete ein auf Deutsch und Englisch vorgetragener Slogan. Foto: Dorn

Von Günther Grosch

Weinheim. "I stand with Ukraine" und "Russland raus aus der Ukraine": Es waren nur zwei von unzähligen Plakaten, welche die bis zu 350 Menschen am frühen Donnerstagabend zur Mahnwache am Mahnmal für die Opfer von Vertreibung, Krieg und Gewalt mitgebracht hatten. Blaugelbe Fahnen sowie Dutzende brennender Teelichter setzten Zeichen der Solidarität. Eingeladen hatte das Bündnis "Weinheim bleibt bunt".

Mit der Invasion seiner Truppen ins Nachbarland habe Russlands Präsident Wladimir Putin kaltblütig einen Angriffskrieg gestartet, zeigte sich der Sprecher des Bündnisses, Stefano Bauer, "fassungslos, entsetzt und tief erschüttert". Er sprach von einer "Zeitenwende". Ukrainer erlebten Tod und Verwundung, Zerstörung und Vertreibung. Für diesen eklatanten Bruch des Völkerrechts gebe es keinerlei Rechtfertigung, so Bauer. Die Etablierung demokratischer Strukturen beuge Kriegen vor, verwies er auf den Zusammenhang zwischen Demokratie, Wahrheit und Frieden. Den sich dem "Kriegsverbrecher Putin" mutig entgegenstellenden Ukrainern rief der GAL-Stadtrat zu: "Europa steht an Eurer Seite. Ihr seid nicht alleine!".

Dieser Krieg sei kein Actionfilm, sondern Realität, verdeutlichte Stella Kirgiane-Efremidou. Junge Menschen töteten andere junge Menschen. Und das nur, weil ein "alter weißer Mann" beschlossen habe, dass es Zeit ist, wieder einmal Krieg zu führen. Viele Menschen müssten sterben, weil einer seine Machtfantasien auslebe. "Dieser Krieg ist Putins Krieg", so die SPD-Fraktionsvorsitzende im Gemeinderat. Die Menschen in Russland wollten den Krieg nicht und dürften deshalb nicht verantwortlich gemacht werden. Niemand dürfe sich mehr darauf verlassen, dass Frieden selbstverständlich ist. Stattdessen gelte es, jeden Tag solidarisch dafür einzustehen, dass der Frieden gesichert wird.

Von einer Welle der Hilfsbereitschaft aus der Bürgerschaft, welche die Stadtverwaltung erreiche, sprach Erster Bürgermeister Torsten Fetzner. Eine solche Hilfsbereitschaft habe er nie zuvor erlebt. Dies berühre ihn sehr. Er versprach, dass man sich auf die Aufnahme der geflohenen Menschen vorbereite. Man könne dabei jede Hilfe gebrauchen. Der Sting-Song "Russians" habe ihn nachdenklich gestimmt, er habe ihn just am Morgen im Radio gehört, so Fetzner vor den Protestierenden. In der Solidarität mit der ukrainischen Armee dürfe man nicht vergessen, dass auch die russischen Soldaten Kinder von Müttern sind und vielleicht selbst Frauen und Kinder haben. Es falle ihm schwer, zwischen "guten und bösen Soldaten" zu unterscheiden. In einem Krieg gebe es nur Verlierer. Leidtragende seien meist die Mütter und Kinder: "Nicht nur über die Zeit des Krieges, sondern manchmal ein Leben lang".

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Ob deutsche Waffenlieferungen richtig sind, stelle er daher für sich persönlich infrage, so der Erste Bürgermeister. Wie sollten Panzerfäuste, die Menschen töten, einen Konflikt lösen? Militärisch gesehen könnten sie nichts bewirken. Sie versperrten aber den Weg zur Aufnahme diplomatischer Gespräche.

Stattdessen müsse man versuchen, im russischen Volk Verbündete zu gewinnen. "Nur das eigene Volk kann Putin stoppen", sagte Fetzner. Man solle den Menschen in Russland durch zivilen, politischen und wirtschaftlichen Protest Mut machen – "und sie nicht totschießen". Fetzners Appell lautete, weiter für eine friedliche Beilegung des Krieges auf die Straße zu gehen. "Frieden schaffen ohne Waffen" habe schon Anfang der 1980er der Slogan gelautet. Auch die Wiedervereinigung Deutschlands und das vorläufige Ende des Kalten Krieges seien ohne Waffengebrauch geglückt.

Von einem "Vernichtungs- und Tötungswahn des wahnsinnigen russischen Präsidenten Putin" sprach Albrecht Lohrbächer vom Freundeskreis Weinheim-Ramat Gan. Er wies darauf hin, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zu den Nachfahren derer zählt, die den Holocaust überlebt hatten. "Jüdische Spuren sollen erneut ausgelöscht werden", so Lohrbächer mit Blick auf Angriffe von Kreml-Truppen auf die Gedenkstätten Babin Jar und Uman, wo die deutschen Besatzer 1941 mehr als 33.000 Juden ermordet hatten.

"Unzähligen Kindern wird die Chance auf ihre Zukunft genommen", beklagte Jugendgemeinderätin Miriam Ott. Frauen mit kleinen Kindern, "den Notfallrucksack immer an ihrer Seite", müssten in U-Bahn-Schächten der Kälte trotzen und um ihr Leben zittern. Europa dürfe sie nicht im Stich lassen, "nur weil sie keine EU-Bürger sind".

Es habe sich nie um eine Ukrainekrise gehandelt, so Alexandra Kotlyarska. "Es war und bleibt eine Russlandkrise", so die in der Ukraine geborene Viernheimer SPD-Stadtverordnete. Sie habe Angst um ihre Familie und Freunde, die in Kellern, Bunkern und Tiefgaragen ausharren. Völkerrecht sei nicht zu brechen, Grenzen nicht eigenmächtig zu verschieben. Die Stärke einer freien Gesellschaft bestehe darin, Solidarität zeigen zu können und für Frieden zu demonstrieren zu dürfen. Genau dies verabscheue Putin, ebenso wie Zusammenhalt, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit: "Ukraine, wir stehen an deiner Seite".

Von der geglückten Flucht von 167 Kindern und ihrer 32 Betreuer aus einem Heim bei Kiew nach Freiburg berichtete Monika Springer. Die Flucht habe mehr als 70 Stunden gedauert, so Hohensachsens Ortsvorsteherin. Mit ausgeschalteten Scheinwerfern seien die Busse gen Ungarn gerast. Vorneweg Polizeiautos, die russische Flugzeuge ablenken wollten. Dass das Schicksal der Kinder sie mitgenommen hat, ist Springer anzumerken. Unterstützt die Kirchengemeinde in Hohensachsen doch seit vielen Jahren die Freiburger Kirchengemeinde und deren "S´Einlädele" – und damit auch das Kiewer Kinderheim.

Das "offene Mikrofon" nutzte der Vorsitzende der Gewerkschaft IG BCE Weinheim, Helmut Schmitt. Mit der Zusage der Bundesregierung, Waffen zu liefern, drohten die Dämme zu brechen und jegliche auf Beilegung bedachte Politik wegzuspülen.

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