Weinheim

Die Bauern-Botschaft: Es reicht!

Landwirte aus Region legten Verkehr am "Ebert-Knoten" vier Stunden lang lahm. Auto- und Lastwagen-Fahrer zeigten Verständnis.

09.01.2024 UPDATE: 08.01.2024 20:24 Uhr 3 Minuten, 40 Sekunden
Ein Hauch Frankreich: Warnwestenträger blockierten am frühen Montagmorgen mit ihren Zugmaschinen die „Ebert-Kreuzung“ zwischen Ortsumgehung und Autobahnzubringer. Foto: Dorn

Von Philipp Weber

Weinheim. Sie blinken hinaus in die Dunkelheit und die Kälte, weithin sichtbar. Die Warnlichter der Zugmaschinen tauchen die Kreuzung von B38, Viernheimer Straße und Westtangente in einen Mix aus Gelb und Orange. Landwirte und Fuhrunternehmer aus der ganzen Region haben den "Ebert-Knoten" – benannt nach dem benachbarten Autohaus – gegen 6 Uhr morgens aus allen vier Himmelsrichtungen in Angriff genommen.

Nun steht die Blockade. Die Auto- und Lastwagenwagenfahrer dahinter versuchen Wendemanöver. Wer die nicht schafft oder von Leitplanken am Umdrehen gehindert wird, ist auf der Asphaltpiste gefangen.

Die Beamten des Polizeireviers Weinheim schätzen, dass 120 Traktoren und 15 Lastwagen den Verkehr aufhalten. Wie viele kleine Trekker von Winzern und Obstbauern sich zwischen den riesigen Ackerbaumaschinen verstecken, ist nicht ganz einfach zu sagen. In Sachen Lastwagen wirkt die Einschätzung der Polizei jedoch arg optimistisch: Es braucht keine 15 Kipper, um die von der A5 aus anrollenden Pendler zu stoppen.

Die Dieselmotoren knattern und knattern

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Bei der Protestaktion handle es sich um eine nicht angemeldete Versammlung, erklärt Michael Schnell, stellvertretender Leiter des Polizeireviers. "Die Wegfahrt über Flucht- und Rettungswege ist zu gewährleisten." Daran halten sich die Landwirte. Sie lassen neben Krankentransporten etwa Fahrzeuge der Lebenshilfe passieren.

Auch eine junge Frau, die sich als Krankenpflegerin vorstellt, wird durchgelassen. Die Dieselmotoren der Zugmaschinen knattern und knattern. Das passt zum Anlass: Bekanntlich protestieren die Landwirte gegen die Rücknahme von Steuererleichterungen für Treibstoff.

Das ist nur der vordergründige Aspekt, so der Schriesheimer Bauer Matthias Heberle. Er sei keineswegs Initiator oder Organisator betont er, fasst die Stimmung dann aber prägnant zusammen. "Wir haben alle zu kämpfen, aber in den letzten Jahren traf es wieder und wieder nur Teile der Branche. Jetzt ist jeder betroffen, der ein Fahrzeug mit grünem Kennzeichen hat." Dass sich die Politik zuletzt kompromissbereit gezeigt hat, versöhnt ihn nicht. "Unser Bundesminister muss ja weiter eine Milliarde Euro einsparen. Die will er sich jetzt bei den Fischern holen."

Hans Mayer aus Großsachsen regt sich über die ausufernde Bürokratie auf. Die Fristen seien starr, die Regelungen unterlägen dafür ständigen Neuerungen. Werner Fath aus Leutershausen gibt sich ebenfalls kompromisslos: "Sehr bildlich gesprochen ist es doch so, dass man der Landwirtschaft zehn Peitschenhiebe angedroht hat; jetzt soll sie dankbar dafür sein, dass es nur fünf werden."

Er und der Schriesheimer Heberle erläutern, wie sich die Globalisierung auf die Branche auswirkt. Neben dem Risikofaktor Wetter sei man den Schwankungen des Weltmarkts ausgesetzt. "Und wenn wir die Preise erhöhen, kommt die Ware eben per Containerschiff aus Neuseeland." Nachhaltig sei das nicht.

Die drei Bergsträßer Bauern distanzieren sich von Rechtsradikalen. "Wir wissen, dass diese Art von Protest ein Ritt auf der Rasierklinge ist", sagt Mayer mit Blick auf etwaige Trittbrettfahrer. "Aber wir wollen nicht zu Hause sitzen und uns selbst vorwerfen, dass wir nichts tun", so Fath.

"Die Menschen, die ich heute früh getroffen habe, hatten Verständnis für uns", sagt Heberle. Ein Spaziergang durch den Stau bestätigt seine Beobachtungen. Der Mörlenbacher Bernd Hellinger lässt die Seitenscheibe seines Mercedes herunter. Er ist auf dem Weg zu seiner Arbeitsstelle in Ladenburg. Er hat seine Firma erreicht, sein Chef weiß Bescheid. Er versteht die Bauern. "Wenn ich mir die Zugmaschinen anschaue, muss ich zwar davon ausgehen, dass sie keine armen Schlucker sind", meint er.

Die Trekker standen Rad an Rad. Wer konnte, suchte sein Glück in Wendemanövern. Foto: Dorn

Aber er glaube den Landwirten, wenn diese das Jo-Jo-Spiel beklagen, das die Politik mit ihnen treibe. "Schließlich brauchen sie über Jahrzehnte hinweg Planungssicherheit." Die Politik habe gewusst, dass Geld fehlt, lasse aber die Bauern die Zeche zahlen.

August Preis hat einen gefüllten Kühlschrank an Bord. Eigenen Angaben zufolge könnte er im Führerhaus seines Lkw tagelang überleben, Standheizung und Koje sei Dank. Er kommt aus Fürth, soll in Mannheim Ladung aufnehmen und diese nach Speyer transportieren. Jetzt kann er seinen Disponenten nicht erreichen. "Der steht wohl auch im Stau. Die Politik hätte früher reagieren können, statt zu warten, bis die Bauern auf der Straße stehen".

Andere Fuhrunternehmer unterstützen den Protest der Bauern aktiv. Sie fühlen sich von der Maut-Politik der Bundesregierung über den Tisch gezogen. Bei einem Lkw mit vier Achsen zahle man 56 Cent pro Kilometer, sagt einer. Von 2023 auf 2024 sei die Maut um 83 Prozent gestiegen. Man rackere sich sechs Tage die Woche ab, übrig bleibe nichts. Die Bundespolitik nehme dann die Einnahmen, "um den Rest der Welt zu retten".

Letzteres sehen nicht alle so. Aber ein signifikanter Teil der Menschen, die an diesem Morgen protestieren oder im Stau stehen, schlägt ähnliche Töne an. Das mit dem Bundeshaushalt 2024 verbundene Streichkonzert verbittert viele. Die witterungsbedingte Kälte kriecht einem derweilen von Zehen und Fingerspitzen aus in den Körper. Die nahe Filiale eines Bäckerei-Betriebs bietet Gelegenheit, sich aufzuwärmen. An den Tischgarnituren stärken sich andere "Gestrandete".

Man sinniert über verlorene Arbeitszeit, die Erreichbarkeit der Firma und den (Un-)Sinn des Plans, das eigene Auto am Rand der Bundesstraße stehen zu lassen und die letzten Meter zum Arbeitsplatz in Weinheims Gewerbe- und Industriegebieten zu Fuß zurückzulegen. Doch hier mag keiner riskieren, dass sein Auto abgeschleppt wird.

In einem Autohaus ein paar Schritte weiter stoßen die Landwirte ebenfalls auf Verständnis. Ein Aspekt ruft hier jedoch Kopfschütteln hervor: "Die lassen ihre Motoren laufen, und in vielen Zugmaschinen sitzt niemand. Wenn ich mit leerem Auto und laufendem Motor erwischt werde, muss ich Strafe zahlen", meint ein Mann. In Bäckerei-Café und Autohaus fragt man sich, wie lange die Blockade wohl noch dauert. Die Finsternis ist längst dem Tageslicht gewichen.

Es ist kurz vor 10 Uhr, als Wolfgang Guckert, Vorsitzender des Kreisbauernverbands Rhein-Neckar, anhand einer Reihe von Zahlen erklärt, dass die Bauern "keine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich" verlangen, sondern lediglich sinnvoll wirtschaften wollen. Um 9.59 Uhr ertönen erste Hupen. Ein paar Augenblicke später dröhnt die ganze Kreuzung. Und dann setzen sie sich in Bewegung: die "Zwergentrekker" der Winzer, die "Riesenräder" der Ackerbauern, die Kipper der Fuhrleute. Ihre Protestfahrt geht weiter gen Heddesheim.

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