Weinheim

Das sagt Ex-VHS-Chef zu Benedikt XVI.

Der bekennende Katholik Adalbert Knapp plädiert trotz der schrecklichen Vorfälle für differenzierten Umgang mit der Kirche.

02.02.2022 UPDATE: 03.02.2022 06:00 Uhr 3 Minuten, 16 Sekunden
Die St. Laurentius-Kirche in Weinheim: Die derzeitigen Vorgänge rund um das Erzbistum München und Freising beschäftigen auch viele Katholiken aus der Zweiburgenstadt. Foto: Dorn

Von Philipp Weber

Weinheim. Adalbert Knapp hat 26 Jahre lang die Volkshochschule Badische Bergstraße geleitet. Im Ehrenamt setzt er sich bis heute für Bildung, Aufklärung und sozialen Ausgleich ein. Acht Jahre lang stand er auch der Bürgerstiftung Weinheim vor. Bekannt ist er zudem als engagierter Katholik: 30 Jahre lang war er Pfarrgemeinderat in der Gemeinde Herz Jesu, 25 Jahre lang wirkte er als Lektor und Kommunionhelfer. Nicht zuletzt war er einige Jahre lang Bildungsbeauftragter der katholischen Seelsorgeeinheit Weinheim-Hirschberg. Im RNZ-Interview äußert er sein Entsetzen über die jüngsten Aufdeckungen in der katholischen Kirche, plädiert aber dennoch für einen differenzierten Umgang miteinander.

Herr Knapp, wie stark beschäftigen Sie die Debatten um oberste kirchliche Würdenträger wie den emeritierten Papst Benedikt XVI. persönlich?

Wie die Stimmung an der Basis ist, kann ich kaum sagen. Aus persönlichen Gründen ist meine Arbeit in der katholischen Gemeinde derzeit eingeschränkt. Ich verfolge die Berichterstattung und schaue mir an, was in den Leserbriefspalten meiner Zeitungen steht. Insgesamt bin ich ruhig.

Aber wie ordnen Sie das Geschehen ein? Nach der Veröffentlichung des jüngsten Gutachtens aus dem Erzbistum München und Freising sind viele entsetzt.

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Adalbert Knapp. Foto: Dorn

Für mich hat die Sache durchaus zwei Seiten. Auf der einen Seite ist es eine große Schweinerei. Wie sehr dies Katholiken persönlich betrifft, erkennen Sie an meinem Beispiel: Mein Vater war der Leiter des katholischen Verlags Ludwig Auer in der Stiftung Cassianeum in Donauwörth. Die Stiftung ist inzwischen unter dem Dach der Schulstiftung des Bistums Augsburg. Er war nach dem Zweiten Weltkrieg als "Lizenzträger" in die Verlagsleitung berufen worden, da ihn keine Verbindungen zum NS-Regime belasteten. Er war sogar von den Nazis verfolgt worden. Damals arbeitete ein Priester namens Max Auer in der Leitung dieser Institution, zu der auch ein Kinderheim gehörte. Er starb als hoch geachteter Monsignore. Heute wissen wir, dass er Schutzbefohlene missbraucht hat, einige sogar in der Sakristei der Heilig-Geist-Kirche. Ich will mir nicht vorstellen, dass mein Vater diesem Mann die Hand gegeben hat. Der Fall wurde übrigens vor einigen Jahren in einem 60-seitigen Gutachten aufgearbeitet.

Wo sehen Sie angesichts derartiger Fälle die andere Seite?

Der Umgang mit der katholischen Kirche insgesamt, aber auch mit Würdenträgern wie Benedikt XVI. ist von einem Furor geprägt, wie ihn Kritiker der katholischen Kirche noch vor 60, 70 Jahren vorgeworfen haben. Dabei wird übersehen, dass es Bemühungen gibt, sexualisierte Gewalt aufzuklären und zu verhindern. Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, sah die katholische Kirche trotz aller berechtigten Kritik in einer Vorreiterrolle und wünschte sich von anderen Institutionen ein ähnliches Maß an Kooperation. Rörig hatte für klare gesetzliche Grundlagen zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt plädiert. Inzwischen hat sich auch Bundeskanzler Olaf Scholz diesen Forderungen angeschlossen.

Speziell an Benedikt XVI. entzündet sich Kritik, weil er laut dem jüngsten Gutachten die Unwahrheit gesagt haben soll.

Mich wundert es durchaus, dass er in seiner Zeit als Erzbischof im Bistum München-Freising nicht an der Ordinariatssitzung teilgenommen haben wollte, in der 1980 über den Umgang mit dem Essener Priester Stefan H. beraten wurde. Auch aus der 2020 erschienen Benedikt-Biografie von Peter Seewald geht hervor, dass der damalige Erzbischof und Kardinal Ratzinger anwesend war. Folge der Sitzung war, dass H. einen Therapieplatz in einer psychiatrischen Einrichtung im Münchner Bistum bekam. Laut Seewald wusste der Kardinal nicht, dass H. wieder als Priester eingesetzt wurde – im eigenen Bistum. Der Erzbischof ist zwar oberster Verantwortlicher, das Tagesgeschäft verantwortet in der Regel jedoch der Generalvikar.

Aber sagt es nicht auch etwas aus, wenn der "Chef" nicht Bescheid wusste?

Das hätte m. E. so sein müssen. Meiner Meinung nach sollte man von diesen Vorkommnissen nicht voreilig auf das Lebenswerk Benedikts schließen. Dabei würde untergehen, dass er in seiner Zeit als Präfekt der Glaubenskongregation in Rom ab 1981 für eine verschärfte Ahndung sexualisierter Gewalt durch Priester eingetreten ist. Dafür gibt es mehrere Beispiele. Schließlich wurde auf Initiative Ratzingers 2001 im Vatikan ein Gerichtshof für Missbrauchsfälle eingerichtet. Seither wurden etwa 3000 Priester nach Rom gemeldet, die meisten entfernte man aus dem Klerikerstand. Beobachter gehen davon aus, dass Ratzinger sich damals gegen den zögerlichen Papst Johannes Paul II. durchsetzte.

Wie nehmen Sie das Agieren Ratzingers wahr, als er selbst Papst geworden war?

Er legte zum Beispiel bei seiner Reise in die Vereinigten Staaten von Amerika 2008 Wert darauf, als Erstes mit dortigen Missbrauchsopfern zu reden und ihnen zuzuhören. Vor seinem Rücktritt 2013 hat er seinem Nachfolger Franziskus Unterlagen zu Skandalen innerhalb des Vatikans übergeben. Diese sind nie publiziert worden. Zu Franziskus ist jedoch zu sagen, dass er Geistliche 2019 verpflichtet hat, Fälle von Missbrauch zu melden. Unterlassung stellte er unter Strafe, die auch angewandt wird.

Angesichts der massiven Zahlen an Kirchenaustritten scheinen diese Bemühungen zu spät zu kommen.

Wie gesagt, es ist ein schreckliches Thema. Das will ich gar nicht abstreiten. Aber ich plädiere für eine differenzierte Auseinandersetzung und einen fairen Umgang miteinander. Die katholische Kirche in Deutschland befindet sich in einem Dialogprozess, dem sogenannten Synodalen Weg, der unter anderem auch Fragen der Ämtervergabe an Frauen oder der kirchlichen Sexualmoral behandelt. Ich halte diesen Ansatz für richtig. Man sollte die dort angesprochenen Fragen aber nicht x-beliebig mit den jüngsten Skandalen vermischen. Der sexuelle Kindesmissbrauch ist systemisch in der gesamten Gesellschaft.

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