Weinheim

Das sagt Alt-OB Kleefoot im Interview zum 80. Geburtstag

"Das war eine große Ausnahme"– Im Interview äußert er sich zu offen gezeigter Sympathie für BI Breitwiesen, Erfolg der Grünen und Olaf Scholz

04.09.2020 UPDATE: 05.09.2020 06:00 Uhr 6 Minuten, 19 Sekunden
Uwe Kleefoot und seine Familie sind bislang gut durch die Virus-Krise gekommen: „Wir hatten keine Probleme.“ Er wisse aber, dass dies nicht selbstverständlich ist, so der überzeugte Sozialdemokrat. Foto: Dorn

Von Philipp Weber

Weinheim. Das Interesse an Uwe Kleefoot ist immer noch groß. Etliche Weinheimer wollen dem Alt-OB (1986-2002) immer noch zum 80. Geburtstag gratulieren, den er Mitte August im Kreise seiner Familie gefeiert hat. "Vielleicht wird es ja wieder ruhiger, wenn ich 81 Jahre alt werde", scherzte Kleefoot, als ihn die RNZ in seinem paradiesisch anmutenden Garten besuchte.

Was dem Weinheimer Ehrenbürger und Sozialdemokraten jedoch viel wichtiger ist als Glückwünsche, ist die Entwicklung seiner Heimatstadt. Diese verfolgt er bis heute mit großem Interesse. Im Gespräch mit der RNZ berichtet Kleefoot, warum er vor einigen Jahren das Bürgerbegehren gegen eine gewerbliche Entwicklung in den Breitwiesen unterstützt hat, weshalb er die Praxis der Flüchtlingsunterbringung ab 2015 als vergleichsweise positiv empfand – und auf welche Errungenschaften seiner Amtszeit er bis heute stolz ist.

Herr Kleefoot, wie sind Sie bislang durch die Corona-Zeit gekommen?

Gut. Meine Frau und ich hatten bisher keine Probleme. Aber wir gehören auch zu einem privilegierten Kreis, der mit einem eigenen Haus und einem großen Garten genug "Auslauf" hatte und sich keine Sorgen um ein geregeltes Einkommen machen musste. Das ging und geht nicht jedem so, und deshalb habe ich Verständnis dafür, dass die Sehnsucht nach Normalität zunimmt.

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Gab es in Ihrer Amtszeit je eine annähernd vergleichbare Situation?

Nein. Selbst zu meinen Lebzeiten haben wird das nicht erlebt in Deutschland. Wir wissen aus der Historie, dass es Epidemien und Pandemien gegeben hat. Aber ein solcher Lockdown, wie wir ihn hier und in vielen anderen Ländern hatten, das ist etwas, das man sich historisch kaum vorstellen konnte. Ich hoffe, dass dies auch nicht mehr notwendig wird. Insgesamt kann man aber sagen, dass sich die entschlossene Handhabung dieser Krise durch die Regierungen bewährt hat. Wir in Deutschland sind gut durch diese Krise gekommen.

Das sieht nicht jeder so, auch in Weinheim. Haben Sie eine der sogenannten Querdenken-Demos im Schlosspark beobachtet?

Wir haben einmal im Schlosspark gesehen, dass sich Menschen mit Schildern auf der Wiese breitgemacht haben – beziehungsweise sich nicht so breitgemacht haben, wie man es eigentlich sollte. Man kennt ihre Argumente und Theorien aus der Presse. Ich habe dafür wenig Verständnis. Wir sollten im Moment alle an die Gesundheit unserer Kinder und Nachbarn denken. Dabei dürfen persönliche Einschränkungen keine derart große Rolle spielen.

Hohe Auszeichnung: 2005 wurde Uwe Kleefoot (vierter Erwachsener v.l.) im Beisein seiner Angehörigen und politischer Weggefährten zum Ehrenbürger ernannt. Foto: Dorn

Aktuell gibt es in Hirschberg Auseinandersetzungen um die Entwicklung von Gewerbeflächen, aber auch in Weinheim ist das eines der großen lokalpolitischen Themen. Neigen Sie eher dazu, Impulse zu setzen, zugunsten der Wirtschaft? Oder zählen Sie eher zu denen, die landwirtschaftliche Flächen für kommende Generationen erhalten wollen, auch vor der eigenen Haustür? Oder ist das alles zu einfach gedacht?

Natürlich gibt es bei dieser Thematik nicht nur Schwarz und Weiß. Aber als es bei uns in Weinheim um die Entwicklung von Gewerbe-Flächen in den Breitwiesen ging, habe ich die Gegner dieser Erweiterung mit meiner Unterschrift unterstützt. Das war eine große Ausnahme, da ich mich seit dem Ende meiner zweiten Amtszeit eigentlich heraushalte aus den lokalpolitischen Streitereien. Doch letztlich habe ich Verständnis für all diejenigen – nicht nur für die Landwirte –, denen die Entwicklungen in Bezug auf Boden und Klima Sorgen bereitet. Zu den Hirschberger Auseinandersetzungen will ich mich an dieser Stelle nicht äußern. Aber Sie sehen, dass der ehemalige Weinheimer OB immer darauf geachtet hat, dass die Dinge im Rahmen bleiben.

Ein anderer früherer Weinheimer OB, Heiner Bernhard, galt als glühender Befürworter einer Gewerbe-Entwicklung in den Breitwiesen. Eines seiner Argumente ist, dass ein solches Gebiet die Stadt sorgenfrei machen würde, jedenfalls in Bezug auf Einnahmen aus Gewerbesteuern. Diese Position teilen Sie nicht.

Nein. So viel dazu, viel mehr will ich eigentlich gar sagen (überlegt). Man muss beim Thema Gewerbeentwicklung immer auch die Arbeitsplätze sehen und die Frage, wofür Gelände entwickelt wird. Das ist viel entscheidender, als möglichst große Flächen an Firmen zu verbrauchen, die hier möglicherweise gar keine Gewerbesteuern zahlen. Deshalb sollte man vorher wissen, was man will – und wer sich ansiedeln möchte. So läuft es im Augenblick ja auch bei uns in Weinheim, in kleinerem Umfang.

Sie meinen das geplante "Gewerbegebiet Nord" gegenüber dem Hauptfriedhof?

Ja, zum Beispiel. Ich bin prinzipiell schon für eine Gewerbeentwicklung. Die brauchen wir in Weinheim. Aber ich präferiere Flächen, die an den Industriepark mit der Firma Freudenberg anschließen.

Stichwort Integration. Würden Sie Angela Merkel fünf Jahre nach der Grenzöffnung zustimmen und sagen: "Wir haben es geschafft."?

Das haben wir inzwischen geschafft, zum großen Teil jedenfalls. Integrationsprobleme- und anforderungen wird es noch eine Weile geben. Aber es ist 2015 und in den Folgejahren deutlich besser gelaufen als in den 1990er Jahren, als die Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien zu Hunderten hier in Weinheim ankamen.

So wie ich es 2015 miterlebt habe, kamen Maßnahmen wie die Belegung der Winzerhalle in Lützelsachsen ziemlich abrupt, jedenfalls hat es sich so angefühlt. Wie war’s in den 1990ern?

Wir als Kommune hatten damals nicht den Rhein-Neckar-Kreis als Puffer. 2015 hat ja zunächst der Kreis die Aufnahme der Geflüchteten gestaltet. Wir hatten in den 1990er Jahren manchmal chaotische Verhältnisse, wenn wieder ein Bus mit 50 Flüchtlingen ankam und wir über Nacht zusehen mussten, wo wir die unterbringen. Angesichts dieser Situation haben wir am Sepp-Herberger-Stadion ein ganzes Containerdorf aufgebaut. Darüber hinaus haben wir – wenn es irgendwie ging – Flüchtlinge in Privatunterkünften untergebracht, also dezentral. Wir haben uns damals auch bemüht, die Aufnahme human zu gestalten. Aber es lief 2015 deutlich geordneter ab, auch aus den vorhergehenden Erfahrungen heraus. In den 1990er Jahren war gar nicht daran zu denken, kleinere Unterkünfte für Flüchtlinge zu planen – so wie es der Kreis und die Kommune in Weinheim in den letzten Jahren gemacht haben.

Wissen Sie, was aus den Menschen geworden ist, die in den 1990er Jahren gekommen sind?

Ich weiß es von niemandem persönlich; aber ich weiß, dass viele wieder in ihre Heimat zurückgekehrt sind, nachdem der Krieg im früheren Jugoslawien beendet werden konnte. Aber ich kenne auch einige, die hiergeblieben sind und sich gut integriert haben.

Sie sind Sozialdemokrat. Die Bundes-SPD hat ja nun einen Kanzlerkandidaten. Was halten Sie von Olaf Scholz?

Ich schätze ihn sehr und hätte ihn mir auch als Parteivorsitzenden gewünscht. Nachdem er nun zum Kanzlerkandidaten ausgerufen worden ist, hoffe ich, dass die Unterstützung aus der Partei so stark ist, dass Scholz die Chance hat, die SPD wieder über die 20-Prozent-Marke zu bringen. Das ist die Voraussetzung dafür, um überhaupt von einem Kanzlerkandidaten zu reden. Er hat sich nicht nur als Erster Bürgermeister in Hamburg, sondern gerade jetzt als Bundespolitiker in der Pandemie-Krise bewährt. Das haben die Menschen ja auch gesehen.

In den 1990ern stritten sich noch CDU und SPD um die Position der stärksten politischen Kraft. Inzwischen haben die Grünen stark aufgeholt. Worin sehen Sie die Gründe für diesen grünen Boom? Und werten Sie ihn eher positiv oder skeptisch?

Viele Menschen sehen, dass der Klimawandel Realität ist. Diejenigen, die das ernsthaft bestreiten, werden weniger. Die Einsicht, dass wir etwas gegen den Klimawandel und seine zum Teil, ja insgesamt gesehen negativen Auswirkungen tun müssen, hat dazu geführt, dass die grüne Partei mehr Zulauf bekommen hat. Wie das auf die Dauer wird, hängt sicher davon ab, wie die anderen Parteien auf die Thematik Klimawandel reagieren.

Heißt das im Umkehrschluss, dass die anderen Volksparteien den Klimaschutz verschlafen haben?

So pauschal kann man das sicherlich nicht sagen. Aber man hätte wohl schon deutlich früher eine Industriepolitik anpacken müssen, die klimafreundlicher ist. Inzwischen haben das alle gemerkt, fast alle.

Auf was sind Sie im Rückblick auf Ihre beiden Amtszeiten als OB stolz? Und wo waren die Herausforderungen unerwartet groß?

Ich kann da nicht nur einen Punkt nennen. Gut gelungen ist das Thema Stadtentwicklung. Wir haben die Innenstadtsanierung vorangetrieben, Weinheim ist schöner und lebenswerter geworden – nicht nur, was den Tourismus am Marktplatz betrifft, sondern in der gesamten Altstadt. Wir haben schöne und lebenswerte Baugebiete entwickelt, etwa Lützelsachsen West, Hohensachsen West und das Römerloch. Ein Schwerpunkt war die Konversion ehemaliger Werksgelände.

Im Gorxheimer Tal?

Nicht nur im Tal. Zunächst betraf es den Hang, das heutige Wohngebiet an Fabrikweg und Kopernikusstraße war komplett von Freudenberg belegt gewesen. Das war ein Riesen-Werk damals. Die Umwandlung dieses Industrieareals in ein Wohngebiet ging schrittweise vonstatten, bis in die letzten Jahre. Es ist darüber hinaus gelungen, im Schul- und Kindergartenbau Erfolge zu erzielen. Die Multschule (DBS) wurde in den 1990er Jahren für einen erheblichen zweistelligen Millionenbetrag saniert. Ich freue mich immer, wenn ich vorbeifahre und alles intakt vorfinde. Aber wir haben auch die anderen Schulen nicht vernachlässigt – und im Zweijahrestakt Kindergärten gebaut. Abseits städtebaulicher Fragen ging es im kulturellen Bereich voran, etwa mit der Begründung des Kultursommers. Das alles hat viel Engagement gefordert, aber ich bin froh darum, dass ich das erreichen durfte.

Wo gab es noch große Herausforderungen?

Die gab es in Bereichen, die nicht im engeren Sinne stadt- oder entwicklungspolitischer Art waren. Ich denke da an den Verkauf des Miramar. Ich stand ein halbes Jahr nach meiner Wahl vor der Entscheidung, ob wir das kommunale und hoch verschuldete Bad in den Konkurs gehen lassen, was hohe Verluste für die Stadt bedeutet hätte. Dass es gelungen ist, einen privaten Käufer zu finden, war eine große Befriedigung und auch Beruhigung. Drei Jahre, bevor ich als OB aufgehört habe, gab es die Probleme mit der Sparkasse Mannheim, die wir mithilfe der Sparkassen-Verbände gelöst haben, indem wir über die Sparkasse Weinheim die Sparkasse Mannheim übernommen haben. Das war letztlich erfolgreich, auch wenn es mit viel nervlichem Aufwand verbunden war.

Sie haben das Miramar angesprochen. Die Anwohner sind aufgrund der Parksituation beinahe auf die Barrikaden gegangen. Braucht es ein Parkdeck – und wer zahlt es?

Die Besucherzahlen des Miramar haben sich so positiv gestaltet, dass in der Umgebung katastrophale Parkverhältnisse bestanden, etwa wenn auch im Strandbad Hochbetrieb herrschte. Meines Erachtens führt nichts daran vorbei, das Problem dauerhaft zu lösen. Das wäre etwas, das auf Kosten des jetzigen Eigentümers gehen müsste.

Herr Kleefoot, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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