So wurden die Störche wieder heimisch
Als Störchin Astoria im Maisfeld verloren ging - Vortrag von Günter Keim - Altbürgermeister Heinz Merklinger als "Storchenvater"

Ende der 1960 Jahre verschwanden die Störche aus dem Ortsbild Walldorfs - wie es zunächst schien für immer. Seit 2007 sind hier aber wieder 29 Störche aufgewachsen, auch dank der "Storcheneltern" Günter Keim und Heinz Merklinger (v. li.). Fotos: Hebbelmann
Walldorf. (heb) Zu einem "ganz typischen Walldorfer Thema" begrüßte Wolfgang Högerich im gut gefüllten Sängersaal des Pfälzer Hofes auch Altbürgermeister Heinz Merklinger. "Wir wissen alle, dass er die Wiederansiedlung der Störche ins Leben gerufen und geleitet hat und unser Vogelwart Günter Keim war aktiv daran beteiligt", sagte der Vorsitzende des Nabu Walldorf-Sandhausen.
Und so bezog Keim den Altbürgermeister in seinen mit zahlreichen Fotos illustrierten Vortrag über die Entwicklung der Störchepopulation in Walldorf mit ein. Der 78-Jährige berichtete, dass es einst zwischen Walldorf und Sandhausen einen großen See gegeben habe, den Leimbachsee. Mit der Zeit sei dieser durch Wasserentnahme immer kleiner geworden. "Ich kann mich an die Zeit erinnern, als es noch Feuchtwiesen gab und der Storch zum alltäglichen Bild gehörte", sagte Keim, der Gründungsmitglied der Nabu-Ortsgruppe ist. Er selbst sei hier nach dem Krieg noch Schlittschuh gelaufen.
Merklinger hatte 1957 als Lehrling im Walldorfer Rathaus angefangen. Von seinem Schreibtisch aus hatte er direkten Blick auf ein Storchennest und es gehörte zu seinen jährlichen Aufgaben, dem Regierungspräsidium die Ankunft der Störche zu melden. Ab 1968 blieb das Nest leer. Und nicht nur in Walldorf machte sich das Wappentier des Nabu rar. In den 1980er Jahren gab es in Baden-Württemberg nur noch wenige Brutpaare und der Storch wurde zum Vogel des Jahres 1984 gekürt.
Die Idee, Meister Adebar in der Astorstadt wieder heimisch werden zu lassen, hatte Robert Finger. Dass der ehemalige Lehrer der Waldschule in direkter Nachbarschaft zu einem alten Kamin mit Storchennest (in der Hirschstraße) aufgewachsen war, mag dabei eine Rolle gespielt haben. Bürgermeister Merklinger war gleich begeistert, doch die Umsetzung gestaltete sich schwierig. Ein auf der heutigen "Storchenwiese" aufgestellter Turm mit vorbereitetem Nest wurde zunächst nicht angenommen.
Merklinger besuchte ein Seminar der angesehenen Vogelwarte Radolfzell und bekam wertvolle Hinweise, etwa den, das Nest mit Holzhackschnitzeln auszukleiden und mit Kalkbrühe zu behandeln, damit es benutzt aussieht. Als Lockvogel diente ein Storch aus dem Storchenzentrum Bornheim, der in einer Voliere neben dem Horst platziert wurde. Günter Keim, der den Vogel versorgte, drängte darauf, dass Teiche ausgehoben werden. Die Feuchtwiesen waren nämlich längst trocken gefallen und Maisfelder dehnten sich in der Umgebung aus. Wo sollte ein Storch da Frösche finden?
Das Wasser für die Teiche stammte aus dem Hardtbach. Da es zunächst aber nicht recht fließen wollte, musste mit einem kleinen Damm nachgeholfen werden. Der Lockstorch bekam in seiner Voliere Gesellschaft und bald stellten sich auch neugierige Besucher in Form frei lebender Artgenossen ein. 2007 machte sich der erste Storch daran, den Horst weiterzubauen. Ein Weibchen wurde freudig begrüßt und noch im selben Jahr konnte der Nachwuchs, Jungstörchin "Astoria", beringt werden.
Seitdem brüten jedes Jahr Störche in Walldorf. Im zweiten Jahr waren bereits vier Junge im Nest. Auf den Fotos von der Beringung liegen sie da wie aufgereiht. "Die stellen sich tot", sagte Keim. Er hat nachgezählt: Seit 2007 sind 29 Störche in Walldorf aufgewachsen. "Einer ist runtergefallen, den hat der Fuchs geholt."
Die Fotos aus verschiedenen Jahren belegen auch, dass die Störche, die sich zu Beginn des Vogelzugs auf der Wiese sammeln, immer zahlreicher werden und sich weitere Vogelarten dazu gesellen. Erst 2017 waren erstmals drei der vier Horste der Stadt belegt. Keim erläuterte, dass ein einzelnes Brutpaar sein Revier energisch verteidigt, doch ist erst einmal eine Kolonie entstanden, so leben Störche friedlich miteinander.
Durch den Bergbau sei der Bereich des einstigen Sees seit der Römerzeit mit Schwermetallen belastet und es dürfe kaum etwas angebaut werden, sagte Keim und schickte hinterher: "Ich fände es gut, wenn man die Storchenwiese unter Naturschutz stellen würde."
Dieser Anregung schloss sich auch Merklinger an. Daneben erzählte er zahlreiche Anekdoten, etwa wie "Astoria" in einem Maisfeld verloren ging und einen Rettungseinsatz auslöste oder wie sie einst unmittelbar vor seiner Windschutzscheibe auftauchte. "Ich habe an die Schlagzeile in der Zeitung gedacht, ‚Bürgermeister tötet ersten Walldorfer Storch‘ und gleich veranlasst, dass ein Tuch gespannt wird", schmunzelte Merklinger. Später wurde dann eine Allee an der Straße gepflanzt. Eines Tages habe eine Redakteurin des Regionalsenders angerufen und gefragt, ob die Rückkehr der Störche Auswirkungen auf die Geburtenrate in Walldorf habe.
Er sei stolz darauf, dass er als Storchenvater bezeichnet werde, so Merklinger. Doch viel wichtiger sei die Storchenmutter: mit Liebe, Leidenschaft und großem Sachverstand betreue Günter Keim die Walldorfer Störche. "Um ihre Zukunft ist mir überhaupt nicht bange, solange Günter sich um sie kümmert."



