"Wir alle beten zu demselben Gott"
Elisabeth Hilbert, Vorsitzende des Vereins, sprach bei der Kolpingsfamilie über das "Judentum heute"

Die Referentin des Abends über das "Judentum heute", Elisabeth Hilbert (re.), hatte für das interessierte Publikum zahlreiche jüdische Kultgegenstände mitgebracht. Foto: Pfeifer
Mühlhausen. (rka) Jüdische Symbole und Kultgegenstände lagen ausgebreitet auf einem Tisch in der Mühlhäuser Bernhardushalle und konnten von den Besuchern bei einem Infoabend der Kolpingsfamilie bestaunt werden: Ein Tallit (Gebetstuch), ein Tefillin (Gebetsriemen), ein Schofar (Widderhorn), ein Ziset, Quasten aus langen weißen Wollfäden, ein Davidsstern, eine Kippa, die Kopfbedeckung der Juden, eine Mesusa, eine Schriftkapsel am Türpfosten, die Nachbildung einer Thora, der Schriftrolle sowie eine Menora, ein siebenarmiger Leuchter. Mitgebracht hatte diese religiösen Gegenstände die Vorsitzende des Vereins "Jüdisches Leben im Kraichgau", Elisabeth Hilbert, die über das Thema "Judentum heute" referierte. Sie selbst ist keine Jüdin, hat aber bei mehr als 30 Aufenthalten in einem Kibbuz, wo sie auch gearbeitet hat, diese Religion hautnah erlebt.
Gleich zu Beginn machte die Referentin klar, dass die Entstehung des Judentums vor über 3000 Jahren - beginnend mit Abraham ("Ich will dich zum Stammvater eines großen Volks machen") - einer religiösen Revolution gleichkam. Erstmals glaubten die Menschen nicht mehr an eine Vielzahl von Gottheiten, sondern nur noch an einen einzigen Schöpfer. Damit beginnt die Zeit der Schriftreligionen. Obwohl sie nur ein kleines Volk sind, begründeten die Stämme Israels eine Weltreligion, die Ausgangs- und Anknüpfungspunkt für Christentum und Islam sind.
Zunächst ließ die Referentin einige Zahlen sprechen: So gibt es weltweit zwölf bis dreizehn Millionen Juden. Ein Grund für die geringe Expansion ist, dass Juden nicht missionieren, also keine Anhänger für ihre Religion werben. In Deutschland gibt es momentan 570.000 Juden, die vor allem in Großstädten wie Berlin, Frankfurt oder Düsseldorf insgesamt 120 Gemeinden bilden. In Baden leben 5100 Juden, es gibt aber nur zehn Gemeinden, da man für das Bestehen einer Gemeinde zehn Männer braucht. Im Kraichgau erinnern nur noch Synagogen und Friedhöfe an die Vergangenheit, in der im 19. Jahrhundert in jedem zweiten Dorf Juden wohnten.
Was glauben die Juden heute? Wie praktizieren sie ihren Glauben? Diese Frage beleuchtete die Referentin von verschiedenen Seiten. Die grundlegende Frage, wer eigentlich Jude ist, lässt sich einfach beantworten: Jude ist man, wenn man als Jude geboren wird, also eine jüdische Mutter hat, oder hineinkonvertiert. Im Mittelpunkt steht der eine Gott, der Gott Abrahams, der so heilig ist, dass man seinen Namen nicht aussprechen und keine Bilder von ihm fertigen darf. "Mit Abraham beginnt eine neue Zeit. Eine kleine Gemeinschaft hat die Welt verändert, ein kleines Volk mit großer Wirkung", so die Referentin.
Mittelpunkt und Quelle des jüdischen Lebens ist die Thora. Sie umfasst die fünf Bücher Mose. Es sind nach dem jüdischen Glauben die Worte Gottes, die er vor mehr als 3000 Jahren auf dem Berg Sinai an Mose weitergab. Zudem regelt die Thora viele Fragen des jüdischen Alltags. Sie wird stets mit Ehrfurcht behandelt, ein Grund, warum die Referentin nur eine kleine Kopie nach Mühlhausen mitbringen konnte. Zu Rollen zusammengeheftet wird sie im Wortgottesdienst in der Synagoge hervorgeholt.
Natürlich haben sich im Laufe der Jahrhunderte verschiedene Richtungen des Judentums herausgebildet. So kennt das Judentum heute eine Vielfalt verschiedener Strömungen und Auffassungen der Frömmigkeit. Denn die kritische Auseinandersetzung mit dem althergebrachten Traditionsgut jüdischer Kultur liefen in eine konservative, eine liberale und eine weiterhin orthodoxe Richtung. Genau geregelt ist im Judentum die Rolle von Mann und Frau, die beide als "gleichwertig" betrachtet werden. Doch ergibt sich innerhalb der Familie eine Rollenverteilung. Während die Frau ihre Familie nach innen vertritt, als "Herrin im Haus", ist der Mann "Vertreter nach außen".
Neu und deshalb sehr interessant waren für viele Besucher die Informationen über jüdische Feste, Bräuche und Lebensregeln. Der erste und wichtigste Feiertag im Festkalender ist der Schabbat, der siebte Tag der Woche. Er erinnert an die Schöpfung, nach deren Vollendung Gott ruhte, wie es in der Bibel heißt. Zu Ehren des Schöpfers unterbleibt an diesem Tag die Arbeit bei Mensch und Tier. Noch mehr als die Synagoge ist die Familie an allen Festtagen das Zentrum der jüdischen Religion. Deshalb sind viele Feste vor allem auch Familienfeste. Beim Neujahrsfest (Rosch Haschana) wird im Gottesdienst das Widderhorn geblasen als Aufruf zur Besinnung. Mit Neujahr beginnen zehn Bußtage, an deren Ende der Versöhnungstag (Jom Kippur) steht, ein strenger Fast- und Bußtag. Fünf Tage später folgt das Laubhüttenfest (Sokkot), ursprünglich ein Erntedankfest. Beim Lichterfest (Chanukka) zündet man am siebenarmigen Leuchter jeden Tag eine weitere Kerze an.
Im jüdischen Frühlingsmonat Nissan wird Pessach gefeiert, das Gedächtnis an die Befreiung aus ägyptischer Knechtschaft, dem Kernstück biblischer Heilsgeschichte. Die Referentin Elisabeth Hilbert hob auch deutlich hervor, dass in der jüdischen Religion Glauben und Handeln zusammengehören. Das Bestreben, alle Lebensbereiche gottgefällig zu gestalten, habe zu einer Anhäufung von gesetzlichen Bestimmungen geführt. In der Thora werden 613 Pflichten erwähnt. Die Summe aller religiösen Gebote und Verbote nennt man "Halacha". Neben der Einhaltung der Zehn Gebote beinhaltet sie beispielsweise Speisevorschriften, Reinheitsgebote, Ehe und Scheidung, die Pflicht, Armen, Witwen und Waisen zu helfen, Kranke zu besuchen, einen Teil des Einkommens zu spenden, Kindern die Thora zu lehren, Feiertage zu halten.
Was die Ernährung betrifft, gibt es im Judentum bestimmte Vorschriften. Das hebräische Wort "koscher" bedeutet so viel wie "geeignet" oder "rein". Die wichtigste Speiseregel ist, dass Fleisch- und Milchprodukte voneinander getrennt gehalten werden. Sie dürfen nicht zusammen gegessen, gelagert oder verarbeitet werden. Jüdische Haushalte benutzen sogar getrenntes Geschirr für Fleisch- und Milchprodukte. Obst, Gemüse und Getreide gelten als neutral und dürfen mit anderen Lebensmitteln eingenommen werden. Außerdem dürfen Juden nur bestimmte Fleischsorten essen. So gelten nur Tiere, die sowohl Paarhufer als auch Wiederkäuer sind, als koscher. Zu diesen Tieren gehören zum Beispiel Kühe, Schafe und Ziegen.
Der Gruß "Schalom" werde oft mit "Friede" gleichgesetzt, sei aber viel weiter zu fassen, so die Referentin. Schalom bedeute auch Glück, Erfüllung, Paradies, Gesundheit, Wohlstand, ein Leben ohne Sorgen. Schalom umfasse auch den göttlichen Frieden für die Menschen, den weltlichen Frieden und den inneren Frieden eines Menschen. So könne man mit dem Wort "Schalom" mehr Wünsche ausdrücken als mit jedem anderen Wort. "Wir Christen können viel vom Judentum lernen", so die Referentin abschließend. "Vor allem beten wir alle zu demselben Gott".



