Bürgermeister Eger ärgerten 2022 "dumme und bösartige Menschen"
Er sieht die größte Herausforderung im Haushaltsloch. "Wir haben im gefühlten Wohlstand gelebt."



Bürgermeister von St. Leon-Rot
Von Sebastian Lerche
St. Leon-Rot. Das Haushaltsloch, die Frage, was die Gemeinde noch stemmen kann, und die Sorge, wie lange die angespannte Situation anhält, überschatten das Jahr 2022 für St. Leon-Rot. Bürgermeister Alexander Eger hebt im Rückblick mit der RNZ aber auch andere wichtige Themen hervor – auf seinen Wunsch hin fand der Austausch per E-Mail statt.
Die Coronakrise ist noch nicht vorbei, die Energiekrise ist da: Was ist die größere Herausforderung?
Weder noch. Besondere Herausforderungen gehören zum Alltag und sind Teil des Lebens. Ansonsten müsste ich auch die Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Klimakrise, Fachkräftekrise, Wohnraumkrise und viele andere "Krisen" in die Entscheidung mit einbeziehen. Ich halte wenig von Panikmache und der "allerletzten Kraftanstrengung", die wir wieder machen müssen, um die "Krise" zu bewältigen.
Die Aufgaben einer Gemeindeverwaltung sind stetig und müssen immer entsprechend der jeweiligen Situation von den Beschäftigten, Bürgermeister und Gemeinderat bewältigt werden. Dabei gibt es immer Veränderungen und neue Entwicklungen, denen wir gerecht werden.
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Mit welchen Probleme haben Sie aktuell besonders zu kämpfen?
Auf meine Aufgabe als Bürgermeister bezogen oder persönlich?
Persönlich belasten meine Familie und ich üble Gerüchte und allerlei Boshaftigkeiten, die sich andere Menschen über uns ausgedacht haben. Das ist zwar nicht neu, hat mittlerweile aber eine Intensität erreicht, die schwer zu ertragen ist. Offensichtlich fehlt manchen Menschen jede Hemmschwelle und Unrechtsbewusstsein.
Auf meine Aufgabe als Bürgermeister bezogen, sind die Themen der neuen Bahnlinie, die Finanzsituation der Gemeinde, die Sanierung der Kramer-Mühle, die Ortsumfahrung St. Leon, Digitalisierung und die Suche nach einem Träger für den neuen Kindergarten große Herausforderungen.
Auf das Thema der neuen Bahnlinie hatte ich frühzeitig hingewiesen. Nach einer etwas längeren Anlaufzeit scheint es mittlerweile in der Bevölkerung und Kommunalpolitik angekommen zu sein. In vielen anderen Gemeinden gibt es bereits Bürgerinitiativen. Bei uns nicht. Meine Sorge ist, dass das als Signal an die Planer missverstanden werden könnte. Andererseits zeigt es aber auch, dass die Bevölkerung der Sacharbeit der Verwaltung und den kommunalpolitischen Aktivitäten des Gemeinderats vertraut.
In finanzieller Hinsicht wird sich die Gemeinde umstellen müssen. Vieles was früher finanziert werden konnte, kann heute nicht mehr oder nur mit erheblicher Zeitverzögerung bewilligt werden. Ob da einzelne Interessengruppen in der Öffentlichkeit für ihr Projekt "Druck machen", ändert an der Prioritätensetzung mit den Pflichtaufgaben vor Freiwilligkeitsleistungen erst mal nichts. Wir haben rückwirkend für die letzten 15 Jahre einen großen Teil unserer Einnahmen wieder zurückbezahlt. Somit haben wir die letzten Jahre in unserer Gemeinde eigentlich immer nur im virtuellen beziehungsweise gefühlten Wohlstand gelebt. Die Realität ist anders.
Gibt es Dinge, die trotz allem gut geklappt haben?
Der nahtlose Übergang weg von den corona-bedingten Herausforderungen hin zur Bewältigung der Folgen des Ukrainekrieges und unserer abrupten Verschlechterung der Haushaltslage haben gezeigt, die Verwaltung und der Gemeinderat sind in der Lage, sich schnell auf Veränderungen einzustellen und neue Aufgaben zielstrebig zu meistern.
Was geklappt hat, war das Außengelände des Jugendzentrums mit Skaterpark: Wie ist Ihr Eindruck davon? Wie ist die Resonanz der Jugendlichen?
Die Anlage ist zweckmäßig und macht einen guten Eindruck. Für eine Bewertung ist es aufgrund der erst kürzlich erfolgten Eröffnung noch zu früh.
Die Haubenlerchen haben nach Walldorf auch St. Leon-Rot erreicht: Welche Herausforderungen stellt der Artenschutz für das Gewerbegebiet "Schiff II" oder auch für andere Vorhaben in der Gemeinde dar?
Ich hoffe, dass wir mit unserem erweiterten Konzept für alle Grundstücke im "Schiff II" eine Bebauung möglich machen können. Die Erweiterung mit einem, wie im Flächennutzungsplan vorgesehenen weiteren Abschnitt "Schiff III", halte ich für wenig aussichtsreich.
Für dieses Jahr wurde ein Nachtragshaushalt verabschiedet: Welchen Effekt hat der gehabt?
Der Nachtrag selbst hat ja erst mal keine konkreten Auswirkungen. Der Ausgabenstopp und die Aufgabenkritik, was können wir uns noch leisten, schon. In Zahlen sehen wir das aber erst im Jahresabschluss. Leider sind wir hier aufgrund verschiedener interner Störungen in der Vergangenheit in starkem Verzug. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass unser neues Kämmerei-Team, das seit zwei Jahren hart an der Aufarbeitung arbeitet, die Sache in den Griff kriegt.
Auch im kommenden Jahr ringt die Gemeinde mit dem Haushaltsloch: Wie schwierig ist die Aufstellung des Haushaltsplans für 2023?
Ich denke, wir sind auf einem guten Weg. Die nicht-öffentlichen Vorberatungen mit dem Gemeinderat waren sehr konstruktiv und zielführend. Wenn der Gemeinderat bei dem Ergebnis der Vorberatung bleibt, sollten wir für 2023 einen genehmigungsfähigen Haushalt hinbekommen. Das letzte Wort dazu hat aber das Landratsamt als Genehmigungsbehörde.
Ist absehbar, wann sich die finanzielle Lage bessert?
Nein.
Sanierung und Umbau der Kramer-Mühle dürften im erhofften Tempo nicht zu machen sein, der Fokus liegt aktuell auf der Sicherung des Gebäudebestands. Aber steht das gemeinsam mit der Bürgerschaft entwickelte Mühlenkonzept insgesamt auf dem Prüfstand? Müssen Abstriche gemacht werden, wird beispielsweise der Neubau für die Mediathek in Frage gestellt?
Die Sanierung und den Umbau der Kramer-Mühle werden wir zeitlich strecken und eventuell abspecken. Wichtig ist aber, dass wir dran bleiben und das Ensemble mit Leben füllen. Wir arbeiten an dem, was die Bürgerschaft uns als Wünsche und Aufgaben ins Pflichtenheft geschrieben hat. Der Neubau der Mediathek war ohnehin als letzter Bauabschnitt geplant.
Wir wollen die bewilligten, sehr erheblichen Fördermittel erhalten. Deshalb werden auch für 2023 größere Beträge im Haushalt eingestellt sein. Der Sanierungsabschnitt und vor allem die Substanzsicherung haben Vorrang. Dass aufgrund der klimatischen Veränderungen und vor allem Austrocknungen im Untergrund seit Jahrhunderten stabil stehendes Mauerwerk brüchig wird, war für niemanden abzusehen.
Die Finanzlage zwingt auch zum kritischen Hinterfragen der freiwilligen Leistungen der Gemeinde. Vereinszuschüsse fallen beispielsweise nicht mehr so leicht wie früher. Was kann die Gemeinde hier noch an Unterstützung leisten? Raten Sie den Vereinen, größere Projekte lieber zu verschieben?
Die Substanz und Vorhandenes sollten erhalten bleiben. Bei Neuem wird es künftig schwierig werden. Im Haushaltsentwurf für 2023 sind noch keine größeren Kürzungen der laufenden Zuschüsse enthalten. Lediglich eine vor zwei Jahren befristet bewilligte Erhöhung des Jugendzuschusses von 40 auf 50 Euro wird nicht weiter verlängert. Es bleibt also bei den 40 Euro pro Jugendlichem. Wenn das Landratsamt uns aber für den Haushalt Auflagen erteilt, werden wir die vor einigen Jahren im Glauben an eine gute Finanzlage beschlossenen Erhöhungen wieder etwas zurücknehmen müssen.
Was hat Sie 2022 besonders geärgert?
Dumme und bösartige Menschen.
Was war Ihr persönliches Highlight?
Die Wiederwahl als Bürgermeister und das Abitur meiner Tochter.