Bürgermeister Oeldorf wünscht sich 2023 "normale Probleme"
Das erste Amtsjahr war durch unerwartete Herausforderungen geprägt. Der Fachkräftemangel macht auch im Rathaus Sorgen.



Bürgermeister von Schriesheim
Von Micha Hörnle
Schriesheim. 2022 war Christoph Oeldorfs erstes Amtsjahr: Am 1. Februar wurde er wegen zwei Wahlanfechtungsklagen "nur" als Amtsverweser ins Amt eingeführt; erst als diese zurückgezogen oder abgewiesen worden waren, konnte er am 20. September regulär als Bürgermeister verpflichtet werden. Und doch zog mit dem "Neuen" im Rathaus keine Ruhe ein: der Ukrainekrieg samt Flüchtlingswelle und der Hackerangriff kurz nach Ostern stellten die Stadtverwaltung vor gewaltige Herausforderungen. So musste sich der 44-Jährige als Krisenmanager bewähren, auf dessen "Handschrift" man aber weiter wartet.
Herr Oeldorf, man kann es nicht anders sagen: Ihr erstes Frühjahr im Amt war schon ziemlich wild: Wahlanfechtungen, eigene Corona-Infektion, natürlich der Hackerangriff nach Ostern und schließlich die Unterbringung ukrainischer Flüchtlinge. Das alles hatten Sie wohl nicht auf dem Schirm …
In diesem Maße natürlich nicht. Am 1. Februar, bei meinem Amtsantritt, waren wir ja noch mitten in der Pandemie. Aber was danach gekommen ist, das war wirklich nicht vorherzusehen.
Wie ist jetzt nach dem Hackerangriff die Lage? Ist alles wieder in Ordnung?
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Wir haben alles im Griff, auch wenn wir immer noch Dinge abarbeiten. Da geht einfach Sicherheit vor Schnelligkeit. Aber Zug um Zug kommen wir wieder in die Normalität. Natürlich nutzen wir die Gelegenheit, um veraltete Strukturen zu ersetzen.
Gibt es denn im Moment noch Einschränkungen?
Noch ist nicht alles auf die neuen Server umgezogen, und auch der Zugriff durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von außerhalb auf das Rathaus-Netzwerk ist nur eingeschränkt möglich. Ich kann beispielsweise von meinem Handy aus keine dienstlichen E-Mails abrufen oder in den Kalender schauen – auch wenn ich vom Laptop aus darauf Zugriff habe. Das ist schon eine Umstellung.
Lässt sich denn schon abschätzen, wie viel dieser Hackerangriff die Stadt gekostet hat?
Zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Aber eine Gesamtabrechnung ist auch nicht so einfach. Denn wir haben ja auch die Gelegenheit genutzt, unseren Standard zu verbessern und eine modernere, digitale und doch sichere Infrastruktur in den städtischen Einrichtungen zu schaffen.
Gab es denn noch Ärger von Personen, deren sensible Daten von den Hackern veröffentlicht wurden?
Die Betroffenen waren sicher nicht begeistert, und es gab natürlich auch Rückfragen. Insgesamt haben wir versucht, auf die individuellen Fragen der Betroffenen einzugehen, und mittlerweile ist das Prozedere auch weitestgehend abgeschlossen. Mit der neuen digitalen Infrastruktur ist die Wahrscheinlichkeit auch sehr gering, dass sich so etwas wiederholen wird. Auch wenn ich gelernt habe: Sag niemals nie.
Konnte man denn rekonstruieren, wie sich die Schadsoftware im städtischen Computernetzwerk verbreiten konnte? Also zum Beispiel, wer einen infizierten Anhang geöffnet hat …
Nein, und ich glaube, wir werden das auch nie herausfinden. Einmal abgesehen davon, dass es viele Wege gibt, sich mit Schadsoftware zu infizieren.
Gut, 2022 war also ein Jahr im Krisenmodus. Wird sich das 2023 ändern?
Ich hoffe es, auch wenn wir natürlich nicht wissen, wie es in der Ukraine weitergeht – zumal die Entwicklungen schon große Auswirkungen auf die Stadtverwaltung und die Stadtgesellschaft haben. Aber insgesamt hoffe ich auf ein normales Jahr mit alltäglichen Problemen.
Können Sie für 2023 denn auch "Duftmarken" setzen, also die "Handschrift" des Bürgermeisters Christoph Oeldorf, der bisher immer nur Krisen managen musste?
Das meiste ist ja, allen voran im baulichen Bereich, bereits angestoßen: die Talstraßensanierung, die Sanierung des Kurpfalz-Gymnasiums, der Neubau des Kindergartens – alles in allem doch ein sehr anspruchsvolles Programm. Insofern haben wir gut zu tun, und es wäre schwer, da noch eigene Akzente zu setzen. Zumal das auch die Verwaltung überlasten würde.
Ich dachte auch eher an die Frage, ob im neuen Jahr über das Neubaugebiet entschieden wird.
Bei der Klausurtagung mit dem Gemeinderat haben wir uns darauf verständigt, zunächst einmal eine Analyse über die Vor- und Nachteile eines Neubaugebiets und die Möglichkeiten der Innenverdichtung in Schriesheim zu erstellen. Erst dann können wir uns entsprechend damit befassen. Und natürlich wird es auch um die Frage gehen, ob hier ein Neubaugebiet entsteht oder beispielsweise nur ein neuer Standort für das Feuerwehrhaus.
Sie haben es eben angesprochen: Schulen, Kindergärten, Rathaus, Feuerwehrhaus und auch das DRK-Heim: Man hat den Eindruck, dass jede städtische Liegenschaft einen gewaltigen Sanierungsstau vor sich herschiebt. Wie wollen sie das alles abarbeiten, zumal der Kämmerer längst nicht alles finanzieren kann?
Stück für Stück. Wir müssen jede Gelegenheit eines Förderprogramms nutzen und dann schnell zuschlagen – auch wenn das bedeutet, dass wir dann vielleicht von unserer Prioritätenliste abweichen müssen. Aber generell ist das keine Aufgabe von zehn Jahren.
Na gut, aber wenn beispielsweise in den nächsten zehn Jahren nichts am DRK-Heim gemacht wird, fällt es auseinander.
Die Frage ist ja dabei, ob man die Feuerwehr und das Rote Kreuz immer getrennt und in zwei Gebäuden sehen muss. Feuerwehrhäuser werden heute zudem auch ganz anders gebaut als noch vor zehn Jahren. Es geht also um den Platz, einen geeigneten Standort, die finanziellen Mittel – und natürlich müssen alle Betroffenen bei der Entscheidung beteiligt werden.
Das klingt nach einem Hilfeleistungszentrum, wie es in ihrer alten Heimat Hirschberg gebaut wurde …
Das ist überlegenswert. Dafür sollte man offen sein.
Ein anderes Problem im Jahr 2022: die Unterbringung der ukrainischen Flüchtlinge. Können Schriesheim und seine Ortsteile überhaupt noch mehr verkraften?
Bisher hat Schriesheim, also die Stadtverwaltung und die Stadtgesellschaft, das gut hinbekommen. Allen voran mit der dezentralen Unterbringung, welche aus meiner Sicht die beste Lösung ist. Auch wenn wir viele leer stehende Wohnungen anmieten konnten: Es werden immer weniger. Daher wird es in Zukunft voraussichtlich nicht immer möglich sein, Flüchtlinge weiterhin dezentral unterzubringen.
In Altenbach ist ja das ehemalige Hotel "Bellevue" vom Kreis angemietet worden. Das ist ja nicht der Idealzustand einer dezentralen Unterbringung.
Die vorläufige Unterbringung ist nie dezentral, das sind immer größere Zentren. Meine Aussage bezog sich eben auf die Anschlussunterbringung, die die Kommunen leisten müssen. Auch wenn die Stadtverwaltung in Sachen "Bellevue" nicht der erste Ansprechpartner ist: Ich habe bisher noch nichts Negatives aus Altenbach gehört.
Aber es ist doch zumindest unglücklich, dass es momentan für die 450 Flüchtlinge im Stadtgebiet auf dem Rathaus keine Ansprechpartner gibt, weil die Integrationsmanagerinnen in Elternzeit oder Mutterschutz sind.
Es ist gewiss keine zufriedenstellende Situation, aber die Stellen sind ja besetzt. Und es ist schwer, eine unbefristete Stelle für eine Elternzeitvertretung zu schaffen. Das führt natürlich zu organisatorischen Herausforderungen. Aber das ist ja ein allgemeines Problem, weswegen die Bürgermeister einen Brandbrief an die Landesregierung geschrieben haben: Fachkräfte im öffentlichen Dienst werden Mangelware.
Das sieht man ja auch beim Erziehermangel bei den Kindergärten.
Das ist nur ein weiteres Beispiel für unsere Schwierigkeiten. Wir machen viel, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein. Aber ständig werden wir mit neuen Herausforderungen der "großen" Politik konfrontiert: erst mit dem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz und nun bis 2026 mit einem Anspruch auf Ganztagesbetreuung in den Schulen. Das werden wir so nicht erfüllen können, so viele Fachkräfte können wir nicht ausbilden. Das sehen alle meine Amtskollegen so, und deswegen haben wir uns auch an die Landespolitik gewandt.
Ganz anderes Thema, das aber emotional wie kaum ein anderes diskutiert wurde: die Frage, ob die Hans-Pfitzner-Straße umbenannt werden soll. Hat sich die Debatte Ihrer Meinung nach beruhigt? Ich glaube eher nicht, denn auch nachdem das neue Erklärschild angebracht ist, geht die Debatte weiter.
Da gibt es weiter zwei verschiedene Meinungen, insofern wird das Thema nicht erledigt sein. Man sollte es nur sachlich diskutieren. Der Gemeinderatsbeschluss wurde umgesetzt, aber dennoch, es ist nicht ausgeschlossen, dass wir vielleicht noch einmal nacharbeiten.
Meinen Sie damit auch das Erklärschild? Denn ich fand den Einwand nicht verkehrt, dass man denken könnte, Pfitzner werde geehrt, weil er ein Komponist, Nazi und Antisemit war.
Wir haben den Text auf dem Erklärschild ja nicht frei erfunden, sondern uns auch über die Formulierung des Erklärschilds andernorts, wie beispielsweise in Wien, informiert. Aber wie gesagt, es ist nicht ausgeschlossen, dass wir nach einer kritischen Prüfung nochmals Anpassungen in Erwägung ziehen. Dennoch glaube ich prinzipiell nicht, dass es bei einem knappen Text möglich ist, alle potenziellen Missverständnisse völlig auszuschließen.
Für mich kam der Widerstand aus der Bevölkerung zum Abriss des Kompressorenhauses überraschend. Für Sie auch?
Eine solche Bewegung in der Bevölkerung habe ich nicht erwartet. Das kam für mich auch überraschend.
Das Rathaus war für den Abriss des Kompressorenhauses. Warum eigentlich? Und ändert der Umstand, dass ein Förderverein zum Erhalt gegründet werden soll, vielleicht Ihre Einstellung?
Das geplante Vorhaben zum Abriss des Kompressorenhauses wurde vom Regierungspräsidium Karlsruhe aus naturschutzrechtlichen Gründen an uns herangetragen. Dieser Empfehlung der übergeordneten Behörde zum Schutz unserer Natur sind wir gefolgt, da das Gebäude ja auch seit Jahren nicht mehr bewirtschaftet wird. Grundsätzlich müssen wir als Stadt die Verkehrssicherungspflicht für das leer stehende Gebäude erfüllen und auch die entsprechenden Kosten hierfür tragen. Daher werden wir die Thematik nach interner Prüfung in den kommenden Monaten in den Gemeinderat einbringen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Inwieweit sich die mögliche Gründung eines Fördervereins auf die Entscheidung auswirkt, kann ich derzeit noch nicht beurteilen. Das wird sicherlich auch mit der konzeptionellen Ausrichtung und dem Aufbau des Vereins zusammenhängen.
In der letzten Ratssitzung des Jahres sollten auch die neuen Richtlinien fürs Gemeindemitteilungsblatt verabschiedet werden. Doch dazu kam es nicht. Warum?
Der Prozess hatte sich leider ein wenig verzögert. Zudem mussten noch Einzelheiten geklärt werden. Im Januar planen wir nun voraussichtlich, einen Vorschlag im Gemeinderat einzubringen.
Und was ist der Inhalt?
Es wäre verfrüht, hierzu bereits jetzt konkrete Inhalte zu nennen. Zumal wir alle Betroffenen vorab über das geplante Vorgehen informieren möchten. Ich bin mir sicher, dass wir eine gute Lösung, allen voran für die Vereine, anbieten können.
Blick voraus zum Mathaisemarkt: Was ist Ihre Prognose: Wie wahrscheinlich ist es, dass gefeiert werden kann?
Zu 95 Prozent, die restlichen fünf Prozent sind Corona geschuldet. Ich gehe davon aus, dass er stattfindet, er könnte uns höchstens "von oben" verboten werden. Aber auch hier habe ich gelernt: Sag niemals nie.
Ist denn Ihrer Ansicht nach Corona "durch"?
Medizinisch kann ich das nicht beurteilen. Aber verwaltungsmäßig im Moment schon. Es gibt ja keine weitreichenden Beschränkungen mehr – außer im Nah- oder Fernverkehr.
Worauf freuen Sie sich beim Mathaisemarkt? Nach allem, was Sie bereits zu dem Thema gesagt haben, sind es ja schon mal nicht die grundlegenden Neuerungen ...
Nein, die Neuerungen sind 2023 noch kein Thema. Die kennen wir ja auch noch nicht, sie werden mit allen Akteuren nach dem Mathaisemarkt besprochen. Ansonsten freue ich mich auf einen traditionellen Mathaisemarkt mit einem anspruchsvollen Programm. Und ich hoffe auf einen ähnlichen Anklang wie bei unserem Stadtfest vom Mai. Man hat gemerkt, dass die Leute wieder raus wollen und Gemeinschaft suchen.
Wir haben jetzt drei Jahre Pandemie hinter uns. Hat denn Corona Schleifspuren hinterlassen?
Ja, für die meisten wird die Pandemie prägend in Erinnerung bleiben. Wir mussten eben erleben, dass auf einmal Dinge wahr wurden, die man sich vor vier Jahren nicht hätte vorstellen können.
Andererseits zeigte sich ja, wie krisenfest, heute sagt man "resilient", doch die Gesellschaft und die Wirtschaft sind: Pandemiebedingt gaben praktisch keine Betriebe, Lokale oder Geschäfte auf, auch die Vereine sind wieder da.
Darüber können wir uns, wie ich finde, glücklich schätzen – und das ist auch dem Umgang miteinander zu verdanken: Man rückte zusammen, half sich gegenseitig und kaufte ganz bewusst im Ort ein. Das hat seine Wirkung gehabt. Insofern sind wir vielleicht mit einem blauen Auge davongekommen. Zumindest wurden die ersten und schlimmsten Befürchtungen nicht wahr.
Was ist Ihr Wunsch für das nächste Jahr?
Ein krisenfreies Jahr mit ganz normalen Problemen, in dem man wieder geordnet arbeiten kann. Aber auch in der Krise zeigte sich, wie gut die Stadtgesellschaft funktioniert. Das ist ein gutes Miteinander. Ich bin da ganz zuversichtlich, dass dies weiterhin so bleibt.
Und zum Schluss erfüllt Ihnen eine gute Fee einen materiellen Wunsch …
Die Sanierung aller Kindergärten und Schulen auf einen Schlag, am besten noch mit dem Feuerwehr- und Rathaus.
Vielleicht ein bisschen viel für eine Fee …
Niemand hat mir gesagt, dass ich mir was Kleines wünschen soll. Man sollte groß denken, wenn schon mal eine Fee vorbeikommt.
Das nächste Großprojekt: Oeldorf zum Start der Talstraßensanierung
Immer wieder angekündigt, aber nun scheint es ja wirklich loszugehen: die Talstraßensanierung. Das erklärt zumindest Bürgermeister Christoph Oeldorf im RNZ-Jahresinterview.
Lange hat man nichts von der Talstraßensanierung gehört. Wann soll es denn endlich losgehen?
Nicht vor dem Mathaisemarkt, aber dann relativ bald. Bei der Planung liegen wir in den letzten Zügen.
Und wo wird begonnen?
Der erste Abschnitt betrifft die Schmale Seite zwischen der Gauls- und der Schotterersbrücke sowie die Bachgasse und die angrenzenden Kreuzungen. Unter Umständen muss teils auch in die Brückenbauwerke eingegriffen werden. Das ist planerisch nicht so einfach. Denn die Talstraße ist ja weiterhin die Umleitungsstrecke, wenn der Branichtunnel gesperrt ist.
Und wie wird der Verkehr umgeleitet? In Altenbach erinnert man sich heute noch bitter an die Talstraßensperrung 1989.
Das müssen wir, je nach Bauablauf, unterschiedlich handhaben und mit den Verkehrsbehörden eng abstimmen. Grundsätzlich steht uns ja der Tunnel als Umleitungsstrecke zur Verfügung. Wenn der Tunnel jedoch unerwartet gesperrt wäre, müsste eine große Umleitung über Großsachsen und Rippenweier eingerichtet werden.
Die Talstraßensanierung startet dann mit drei Jahren Verspätung. Hat es nur an den ausgebliebenen Zuschüssen für die Brückenneubauten gelegen?
Dass man auf diese Zuschüsse gewartet hat, ist ja angesichts unserer finanziellen Situation nicht verkehrt gewesen. Aber die Talstraße hat ja auch für den Verkehr eine überörtliche Bedeutung, da ist die Koordination und Abstimmung mit den Verkehrsbehörden auch nicht immer ganz einfach.
Wird denn die Öffentlichkeit informiert, wie der Baustellenablauf sein wird – und was auf die Autofahrer zukommt?
Ja, sicher. Im ersten Quartal des neuen Jahres soll eine Bürgerinformation mit den Verkehrsplanern und dem Ingenieurbüro stattfinden. Aber parallel hierzu muss die Ausschreibung erfolgen und die Ausführungsplanung erstellt werden.