Warum die Reblaus für den Weinbau "ein Riesenproblem" werden kann
Weinbauberater Tim Ochßner informierte im Gemeinderat Rauenberg über die Ausbreitung von Schädlingen. Verwilderte Rebflächen müssen gepflegt werden.

Von Sebastian Lerche
Rauenberg. Kann das sein, dass der alte Feind der Winzer, die Reblaus, sich wieder ausbreitet? In Rauenberg offenbar schon: Bürgermeister Peter Seithel und Weinbauberater Tim Ochßner vom Landratsamt Karlsruhe wollten vor Kurzem in einer Gemeinderatssitzung zwar noch keinen Alarm schlagen, besorgt waren sie aber schon.

Über die Weinberge aller drei Ortsteile verstreut finden sich nämlich viele schlecht oder gar nicht gepflegte Rebflächen. Neben Wildwuchs wie Brombeeren, in dem sich Schadinsekten tummeln und Pilze ausbreiten, sind es vor allem verwilderte Weinstöcke, auf denen sich die Reblaus vermehrt. Sie kann selbst kleine ungepflegte Wingerte als Brückenkopf nutzen, um über gesunde herzufallen.
"Die Situation hat sich verschärft", betonte Ochßner: Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln werde kritisch gesehen, die Kundschaft sei sensibilisiert und wünsche eine naturnahe Bewirtschaftung der Reben. So seien die Weinberge aber anfälliger, wenn die Schadinsekten oder Pilze sich vom vernachlässigten Wingert – der sogenannten "Driesche" – nebenan ausbreiteten. Die Drieschen seien unregelmäßig über die Weinberge verstreut, so falle der Reblaus die Ausbreitung in alle Richtungen leichter und ihre Bekämpfung werde problematisch.
Und nicht nur die der Reblaus: Auch die "Verwirrung" des Traubenwicklers fällt schwerer. Mit künstlichen Sexuallockstoffen, sogenannten "Pheromonen", wird diesen Schadinsekten erschwert, Partner zu finden, ihre Vermehrung wird gebremst und damit suchen weniger Larven Blätter und Weinbeeren heim. Für eine optimale Wickler-Verwirrung sollte das Netz der Pheromonfallen aber lückenlos sein. Eine Driesche neben dem Wingert müsste mitgeschützt werden – und das macht die Sache teuer.
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Reblaus, Traubenwickler, aber auch Bohnenspinnmilbe, Rebzikade, Kirschessigfliege und andere Schadinsekten: Sie alle sind schwerer zu bekämpfen, wenn Drieschen neben dem gesunden Wingert sind. Und wenn sie erst einmal in einem Weinberg Fuß gefasst haben, folgen Raubpilze dicht dahinter, als Beispiele nannte der Weinbauberater Echten und Falschen Mehltau. "Wir haben gerade ein richtig heftiges Peronospora-Jahr." Die düstere Prognose, wenn nichts passiert: Die Schwere der Schäden steigt steil an und der Ertrag gerät in ernste Gefahr.

Mit einem historischen Rückblick erläuterte Tim Ochßner, warum insbesondere der Reblaus das Augenmerk gilt. "Um 1900 war der Weinbau in Deutschland praktisch am Ende", so Ochßner. Das massenhafte Auftreten der Reblaus habe ihn "fast zum Erliegen gebracht" und die Rebflächen deutschlandweit von rund 200.000 auf nur noch 3000 Hektar reduziert. Als Lösung präsentierte sich die Kombination der natürlichen Stärken von US-amerikanischen und europäischen Rebsorten.
In einem "Veredelung" genannten Eingriff des Winzers werden zwei verschiedene Pflanzen miteinander verbunden: Auf die aus den USA stammende "Unterlage" wird ein "Edelreis" aus Europa aufgepfropft. Künftig versorgen Wurzeln und Stamm der US-Rebe Äste und Blätter der europäischen Pflanze, man liest im Herbst dann Weinbeeren der europäischen Art.
US-Reben halten Angriffe der Reblaus auf ihre Wurzeln aus, ihre Blätter aber sind anfällig für die Schadinsekten. Bei den europäischen Weinarten ist es gerade anders herum: Ihre Wurzeln verkümmern unter dem Ansturm der Reblaus, ihre Blätter aber sind resistent.
"Dieser genetische Trick funktioniert aber nicht mehr, wenn der Weinberg nicht gepflegt wird", betonte Ochßner. In den Drieschen wuchere die US-amerikanische Unterlage unkontrolliert und bilde mit der Zeit Blätter aus, auf denen die Reblaus sich vermehre, "3000 Eier pro Blatt" habe man entdeckt. Selbst wenn die Winzerinnen und Winzer alles richtig machen: "Für den hiesigen Weinbau ist das ein Riesenproblem." Er sei "sehr erschrocken", als er auf gut gepflegten Anlagen die Reblaus entdeckt habe, so Ochßner, ihr Wüten könne den Fortbestand des Weinbergs gefährden: "Und einen neuen anzulegen, kostet 35.000 Euro pro Hektar, dieses Kapital müssen Sie erst einmal aufbringen."
Die Gefahr hob auch Bürgermeister Seithel hervor. Die Stadt habe sich daher mit den Winzern ausgetauscht und gemeinsam mit der Umweltbeauftragten Jasmin Weishäupl einen Fahrplan erarbeitet. Man werde die Eigentümer direkt anschreiben, um sie auf ihre Pflichten hinzuweisen. Nach Landeswirtschafts- und -kulturgesetz sind die Besitzer zur Pflege verpflichtet, ein Mal im Jahr müssten sie die Fläche eigentlich mähen. "Davon wissen viele gar nichts", wollte Seithel niemandem böse Absicht unterstellen – "und manche wissen noch nicht einmal, dass sie einen Weinberg besitzen", er denke da etwa an Erbengemeinschaften. Jasmin Weishäupl erklärte, dass man aktuell 100 Flurstücke identifiziert habe, die dringend der Pflege bedürften. Bei 95 Prozent davon könne man die Eigentümer identifizieren.
Wie sehr die Zeit dränge, fragten Friso Neumann (FDP) und Elke Greulich (SPD). Die Lage sei noch nicht akut, meinte Ochßner, aber Handlungsbedarf sei gegeben. Das Problem habe man vor gut zehn Jahren schon einmal gehabt, erinnerte der Weinbauberater, da habe man durch Aufklärung und Überzeugungsarbeit erreicht, dass über 80 Prozent der Drieschen gepflegt werden.

Die Bedeutung von wirtschaftlich erfolgreichem Weinbau und einer attraktiven Landschaft für Erholungssuchende hob Jürgen Bender (CDU) hervor. Er hatte einen umfassenderen Pflegeplan im Sinn, durch den auch schützenswerte Biotope vernetzt und von Vieh abgeweidete Streuobstwiesen oder artenreiche Grünflächen angelegt werden.
Bender und später Stephan Hakala (Freie Wähler) kamen auch auf die Flurneuordnung Mannaberg/Baufel auf den Gemarkungen von Rauenberg und Dielheim zu sprechen. Da betonte Ochßner, dass verwilderte Wingerte in diesem Gebiet die Verantwortung vom Amt für Flurneuordnung und der Teilnehmergemeinschaft seien. Schließlich planten sie umfangreiche Rodungen und Erdarbeiten zum Niveauausgleich des Geländes.
"Überrascht und entsetzt" zeigte sich Christiane Hütt-Berger (SPD): Nicht nur die Reblaus, auch andere Schädlinge seien aktiv, "wir müssen alles tun, um das in den Griff zu kriegen". Sven Burger (Grüne) äußerte Sorge um den Artenreichtum, er sehe die Gefahr, dass man im Kampf gegen die sogenannten Schädlinge übers Ziel hinausschieße
Ochßner erwiderte, dass man eng mit dem Naturschutz zusammenarbeiten werde. Beruhigend verwies er darauf, dass man nicht vorhabe, jede Driesche wieder zur Rebfläche zu machen, da seien auch Hecken, Magerrasen oder andere artenreiche Lebensräume denkbar. Die Umweltbeauftragte ergänzte, dass durch die richtige Pflege einer momentan nur von Brombeeren zugewucherten Fläche der Artenreichtum gesteigert werden könne. Sie versicherte, genau auf die Nachhaltigkeit der Maßnahmen zu achten. Der Bürgermeister schloss, dass durch die Pflege der Drieschen der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in den Weinbergen gesenkt werden könne, "das ist doch gut".