Broschüre zu jüdischem Leben neu aufgelegt
Büchlein ist im Lobdengau-Museum erhältlich - Sonderausstellung "Nachbar 1938" bald in den USA zu sehen

Von Axel Sturm
Ladenburg. Vor 75 Jahren endete das dunkelste Kapitel der Menschheitsgeschichte mit der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. In zahlreichen Städten fanden aus diesem Anlass am Montag Gedenkfeiern statt. Für die Ladenburger war das die passende Gelegenheit, im leider schwach besuchten Domhofsaal die zweite Auflage der Informationsbroschüre "Spuren jüdischen Lebens in Ladenburg" vorzustellen. Ganz bewusst sei der Gedenktag dafür gewählt worden, sagte Bürgermeister Stefan Schmutz. Man wollte zu diesem Datum ein Zeichen setzen und an das jüdische Leben in der Stadt erinnern.
Bei der Präsentation der Neuauflage waren neben dem Autor und Historiker Jürgen Zieher auch die redaktionellen Mitarbeiter Brigitte Stahl, Ingrid Wagner und Altbürgermeister Rainer Ziegler anwesend. Bürgermeister Schmutz betonte in seiner Rede, dass der Gedenktag vor Augen führen soll, wozu Menschen fähig seien – aber nie wieder sein dürfen. Auch in Ladenburg waren die jüdischen Bürger bis zum 22. Oktober 1940 ein wichtiger Teil der Gesellschaft. Das endete an diesem Tag mit der Deportation der letzten 27 jüdischen Männer, Frauen und Kindern nach Gurs. Nur acht von ihnen sollten die Gräueltaten der Nazis überleben.

"Was bis heute geblieben ist, sind Fragen, der Wunsch nach Aufarbeitung und nach Versöhnung", sagte Schmutz. Mit einem gewissen Stolz merkte er an, dass es in der Region nur wenige Städte gebe, die das Schicksal der jüdischen Gemeinde so akribisch und wissenschaftlich fundiert aufgearbeitet hätten wie Ladenburg.
In erster Linie ist dafür Jürgen Zieher verantwortlich. Er war schon mit 18 Jahren im Arbeitskreis Jüdische Geschichte aktiv. Die Recherchearbeit des Historikers wurde 2010 mit der Publikation "Spuren jüdischen Lebens in Ladenburg – ein Rundgang" veröffentlicht. Seit 2018 ist die Informationsbroschüre vergriffen.
Zum Gedenken an die ehemaligen jüdischen Bürger wurde 1976 an der früheren Synagoge in der Hauptstraße eine Gedenktafel angebracht. 1990 lud der damalige Bürgermeister Reinhold Schulz Zeitzeugen nach Ladenburg ein. Die Pflege der daraus resultierenden Freundschaften hat die Sprecherin des Arbeitskreises Jüdische Geschichte, Ingrid Wagner, übernommen. "Sie haben damit großartige Arbeit geleistet", dankte Bürgermeister Schmutz. Er nannte bei der Gedenkveranstaltung auch die Platzierung der Tora-Skulptur am Rande des Marktplatzes, die von Schülern des Carl-Benz-Gymnasiums geschaffen wurde. Für die Verlegung der sogenannten Stolpersteine des Künstlers Gunter Demning gab es in Ladenburg zudem eine breite Mehrheit im Gemeinderat. 37 Stolpersteine wurden vor den Wohnhäusern jüdischer Bürger verlegt.
Ein wichtiger Teil der Erinnerungskultur in Ladenburg ist zudem die jüdische Abteilung des Lobdengau-Museums, die indirekt auch den Anlass zur Neuauflage der Broschüre zum jüdischen Leben gab. Als 2018 im Museum die Ausstellung "Nachbar 1938. Wir waren alle Ladenburger" eröffnet wurde, kam auch Ruth Steinfeld aus den USA angereist. Sie musste als Kind mit ihrer Schwester Lea die Reichspogromnacht in Ladenburg erleben. Ihre Großmutter war die letzte, die im November 1938 auf dem Jüdischen Friedhof in Ladenburg beerdigt wurde.
"Ich erzähle euch die Geschichte von der Deportation, damit ihr dafür sorgt, dass sich dies niemals wiederholt – never again", sagte Steinfeld bei der Eröffnung der Ausstellung, die bald im Holocaust-Museum in Houston im US-Bundesstaat Texas zu sehen ist. Derzeit werden die Texte ins Englische übersetzt. Steinfelds Zeitzeugenbericht fesselte auch die Schüler des Carl-Benz-Gymnasiums, die sie zu einer Geschichtsstunde einluden. Die neuaufgelegte Broschüre wird nun an alle weiterführenden Schulen verteilt, um sie als Unterrichtsmaterial zu verwenden.
Aufmerksam verfolgten die Besucher im Domhofsaal anschließend den Vortrag von Historiker Zieher, der sich mit dem jüdischen Friedhof befasste. Bis ins 17. Jahrhundert hinein wurden die Mitglieder der jüdischen Gemeinde Ladenburgs in Worms beigesetzt, von 1674 an fanden die Beerdigungen in Hemsbach statt.
Erst Mitte des 19. Jahrhunderts war die Gemeinde bestrebt, ein eigenes Friedhofsgrundstück in Ladenburg zu erwerben. Am 16. Mai 1848 wurde als erster Verstorbener der 80 Jahre alte Veitel Kahn hier beigesetzt. Der jüdische Friedhof diente in den folgenden Jahrzehnten als Ruhestätte von mindestens 66 weiteren Gemeindemitgliedern, bis wenige Tage vor der Reichspogromnacht 1938 mit Berta Kapustin die letzte Jüdin hier bestattet wurde.
Im Gegensatz zu den christlichen Friedhöfen seien jüdische Friedhöfe Ruhestätten für die Ewigkeit, informierte Historiker Zieher. Eine Aushebung von Gräbern sei in der jüdischen Religion nicht vorgesehen ist. Ob der Friedhof am 10. November 1938 geschändet wurde, sei nicht zu ermitteln gewesen, sagte Zieher. Belegt ist jedoch, dass zwischen dem Novemberpogrom und dem Ende der NS-Diktatur einzelne Grabsteine umgeworfen wurden. Wiederholt versuchte die Stadtverwaltung zwischen 1941 und 1944 außerdem, den jüdischen Friedhof zu erwerben, um ihn einzuebnen. Das Vorhaben scheiterte aus rechtlichen Gründen. Für die Pflege der jüdischen Friedhöfe sind heute die jeweiligen Kommunen zuständig.
Es waren die Mitglieder des Arbeitskreises Jüdische Geschichte, die sich 1994 für die Errichtung eines Mahnmals vor dem jüdischen Friedhof einsetzten. Am 7. Mai 1995 konnte der Gedenkstein mit den Namen von 49 Mitgliedern der jüdischen Gemeinde Ladenburg eingeweiht werden. Steinmetzmeister Ulrich Werner gestaltete nach einem Entwurf des Ilvesheimer Künstlers Detlev Kleineidam den Gedenkstein. Die Inschrift lautet: "Wir trauern um die jüdischen Männer, Frauen und Kinder aus Ladenburg, die im deutschen Namen in der Zeit zwischen 1933 und 1945 verfolgt, verschleppt und ermordet wurden und kein Grab fanden."
Info: Die zweite Auflage der Broschüre "Spuren jüdischen Lebens in Ladenburg" ist im Lobdengau-Museum erhältlich.