Ladenburg

Ahnenforscher werden im Stadtarchiv fündig

Alte Ämter- und Protokollbücher beinhalten Erfreuliches und Erschütterndes - Michael Nitsch spendete 500 Euro ans Archiv

22.11.2019 UPDATE: 24.11.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 32 Sekunden
Nur schwer zu lesen sind Schriften aus dem Mittelalter, die aber unter anderem Karl Diefenbacher übersetzt und kommentiert hat. Solche Schriften sind wertvoll für Ahnenforscher wie Michael Nitsch (r. Bild, l.). Er überraschte Stadtarchivar Oliver Gülck (r.) mit einer Spende, die für die Restaurierung der alten Gemeinderatsbücher verwendet werden soll. Fotos: Sturm

Von Axel Sturm

Ladenburg. Ahnenforschung ist zweifelsohne eine interessante Beschäftigung. Meist sind die Erkenntnisse über die Familiengeschichten nach dem Tod von Zeitzeugen aber schon nach 100 Jahren erschöpft. Stadtarchive, die professionell geführt werden, können bei der Recherche mitunter weiterhelfen.

"Es ist klasse, dass es in Ladenburg ein Stadtarchiv von hoher Qualität gibt", sagte dieser Tage Ahnenforscher Michael Nitsch. Der Mann aus dem hessischen Gorxheim ist mit der stadtbekannten Landwirtsfamilie Werner verwandt, die früher ihren Bauernhof in der Wichernstraße hatte. Nitsch hat es sich zur Aufgabe gemacht, einen Stammbaum der Familie Werner zu erstellen und eine Familienchronik zu schreiben. Zeitzeugen, die über das 19. und frühe 20. Jahrhundert Bescheid wissen, gibt es nicht mehr.

Daher ist Nitsch froh, dass er im Ladenburger Stadtarchiv Einblick in die Gemeinderatsbücher nehmen kann. Die Protokolle aller Gemeinderatssitzungen ab 1715 sind hier aufbewahrt. Teilweise wurden die Bücher restauriert und in letzter Zeit elektronisch archiviert. Die digitale Archivierung ermöglicht es den Interessierten, im Stadtarchiv schnell und sicher auf die Daten zurückzugreifen. Trotz moderner Technik ist das Herausfiltern von Informationen über eine Familie eine äußerst mühsame Arbeit. Ungeübten Freizeitforschern bereitet es schon große Schwierigkeiten, die altdeutsche Schrift zu entziffern, die die damaligen Ratsschreiber nutzten.

Im Stadtarchiv, für das Stadtarchivar Oliver Gülck verantwortlich ist, gibt es ein besonderes Schriftstück: Die Ratsprotokolle des Ratsschreibers Georg Waibel geben einen lückenlosen Einblick, was in Ladenburg in der Zeit von 1603 bis 1606 passierte.

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Die vorhandenen Eide- und Ämterbücher der Stadt sind ein Schatz für Ladenburg. Viele Protokolle wurden in den 1970er Jahren vom Ladenburger Oberstudienrat Karl Diefenbacher bearbeitet und kommentiert und in Buchform so veröffentlicht, dass geschichtsinteressierte Menschen mit den Informationen etwas anfangen konnten.

Aus den Protokollbüchern wird ersichtlich, welche menschenverachtenden Beschlüsse der damalige Schultheiß und der bürgerliche Rat fassten.

So wurde in einer Gemeinderatssitzung im Juni 1605 die Wohnungsnot in der Stadt behandelt: "Die beschränkte Anzahl Wohnungen innerhalb der Stadtmauern zwingt den Rat zu einer Einwohnerkontrolle. Tagelöhner von auswärts, die man nur zur Ernte brauchen kann, will man wieder loshaben. Es ist zu befürchten, dass die Kinder der Tagelöhner der Stadt zur Last fallen werden. Zu befürchten ist auch, dass die Tagelöhner wegen der geringen Löhne protestieren werden, und es sei bald anzunehmen, dass die aufmüpfigen Tagelöhner streiken werden."

Der Gemeinderatsbeschluss war daher eindeutig formuliert: "Fremde Tagelöhner, welche Kinder haben, sollen nicht geduldet werden. Die anderen aber, die keine Kinder haben und nur ein Weib haben, mögen geduldet werden."

Die Ratsprotokolle wurden damals handschriftlich mit Feder und Tinte auf Papierblätter geschrieben. Aus den Protokollen eines Jahres wurde dann ein Buch gebunden. Diese lagerte die Stadt dann in Kellerräumen ein. Klimatisierte Archivräume kannte man in Ladenburg bis in die 1990er Jahre nicht. Die Bände befanden sich bis dahin in den Gewölbekellern des Heimatmuseums in der Kirchenstraße und in den Kellerräumen des Alten Rathauses am Marktplatz. Der Zahn der Zeit nagte gewaltig an den Büchern, auf die teilweise Wasser tropfte, auf denen sich Schmutz ablagerte und Schimmelnester bildeten.

Die damalige Stadtarchivarin Hildegard Kneiß, die in der Amtszeit von Bürgermeister Rolf Reble mit dem Aufbau eines Stadtarchivs am Carl-Benz-Platz beauftragt wurde, fand keine gute Bedingungen vor. Viele Bände schienen für immer verloren. Die Archivarbeit stellte eine riesige Herausforderung da.

Seit dieser Zeit werden in jedem Jahr die am meisten beschädigten Bücher zu einem Restaurator gebracht. 300 bis 1000 Euro – je nach Beschädigungsgrad – kostet die Restaurierung eines Bandes, berichtete Gülck. Weil der Gesamtetat des Archivs für diese Art der Investitionen nur 5000 Euro beträgt, können keine großen Sprünge gemacht werden. "Den Restauratoren wird die Arbeit nicht ausgehen", meint Gülck. Er hofft auf eine Aufstockung des Restaurierungsetats.

Die Kosten für die Restaurierung eines Bandes wird Michael Nitsch übernehmen. "Ich konnte viele neue Erkenntnisse über das Leben der Familie Werner erfahren. Ohne die Protokollbücher wäre dies nicht möglich gewesen", sagte er dankbar. Er kennt viele Stadtarchive von innen, nicht nur in Deutschland. Die Herangehensweise des Ladenburger Stadtarchivars Gülck findet Nitsch "professionell und kompetent".

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