Für Reinhold Beckmann ist Mühlhausen fast ein Heimspiel
Der Ex-Fußballmoderator und Sänger begeistert mit seiner Band bei seinem Konzert im Bürgerhaus.
Von Rudi Kramer
Mühlhausen. In Sachen Fußball ist er für viele eine Institution. Lange ist Reinhold Beckmann bei Fußball-Großereignissen vor Ort, kommentiert Länderspiele, moderiert die Sportschau am Samstagabend. Dann, 2017, beschließt er, sein berufliches Leben neu auszurichten. An Stelle des Fußballs tritt die Musik, sein neuer "Sehnsuchtsort", wie er selbst bekennt. "Es ist das große Glück meines jetzigen Lebens, Musik zu machen."
Beckmann, der gerade 65 Jahre geworden ist, widmet sich in seinen Liedern den Facetten des Alltags, singt mal weich, mal rau, aber immer entspannt von heiteren und ernsten Momenten in seinem Leben. Es ist ein sehr persönlicher Abend bei Kultur im Bürgerhaus. Zu seinen Themen gehören das perfekte Scheitern genauso wie die unzensierten Gedanken über das, was für ihn prägend ist. Für seine Melodien wählt Beckmann eine Instrumentierung, die dem Jazz nahesteht und in der er seinen Lieblingsinstrumenten, der akustischen und der elektrischen Gitarre, Raum gibt.
Dazu hat Reinhold Beckmann seine hervorragende Combo um sich geschart: Gitarrist Johannes Wennrich, Bassist Thomas Biller, Schlagzeuger Robin McMinn und Multitalent Jan-Peter Klöpfel (Trompete, Flügelhorn, Keyboard). Farbenfroh und bilderreich sind Beckmanns Songs. Dabei mischt er persönliche Geschichten mit humorvollen und kritischen Beobachtungen. Damit erobert er als Sänger und Liedermacher das Publikum im Bürgerhaus im Sturm.
Mit "Hallo Mühlhausen", begrüßt Beckmann sein Publikum und der Funke springt gleich über. "Ja, Elbphilharmonie und Metropolitan Opera waren einmal, das kannst du alles vergessen, wenn du Mühlhausen erlebt hast." Reinhold Beckmann ist Sänger und Musiker aus Leidenschaft. Wer ihn auf der Bühne erlebt, der merkt, dass er die Leute mitnimmt. Was ist die Motivation, vom Fernsehmoderator umzusatteln und auf Musiktour zu gehen? "Ich liebe es einfach, live zu spielen", erklärt er. Er genieße die enge Verbindung zum Publikum. Der Abend entwickelt eine eigene Dynamik. "Wenn am Ende alle stehen und mitsingen, haben wir einen guten Job gemacht," sagt er.
Auch interessant
Beckmann weiß, wie man Geschichten erzählt. Er präsentiert eine Sammlung von Songs, die immer wieder überraschen. "Alles schon probiert" ist sein Einstieg, ein jazziges, lässiges und rundum entspanntes Stück über das Leben. Dreimal tourt er um die Welt, sieht mit eigenen Augen, was sich verändern sollte, hinterfragt kritisch, um dann festzustellen: "So was nennt man Leben." Persönliches und Allgemeines kombiniert er im Song "Der Lack ist ab". Darin erzählt er über die Routine nach vielen Ehejahren.
Heftig fällt die Kritik an den "Wirecard"-Betrügern im Song "Einsame Spitze" aus. Beckmann gibt den scharfen Beobachter. So erlebt er jenen Beziehungsstreit im Bus mit, als es darum geht, ob man Farbe bekennen oder neutral bleiben soll – wie die Schweiz. So heißt auch der Song "Du bist immer nur die Schweiz". Zwischendurch streut Beckmann besinnliche, zum Nachdenken anregende Lieder ein wie "Komm nach Haus".
Postwendend folgt der heiße Song "Bremen". Er handelt vom Wunder der Liebe in einem übel riechenden VW-Käfer. Es geht um die Zeit, als der junge Beckmann gerade seinen Führerschein hat. Der Anfang des Liedes ist nicht typisch Ballade, weil es der jungen Begleiterin bei der nächtlichen Spritztour ganz schön übel wird. Dennoch – oder gerade deswegen – bleibt es wohl ein Abend im Oldtimer zum Erinnern. "Noch einmal mit dir nachts durch Bremen," so lautet der Refrain und der zündet beim Publikum, das eifrig mitklatscht und -singt. Dazwischen zeigt sich Beckmann als charmanter Unterhalter, der Kontakt zu den Zuhörerinnen und Zuhörern sucht und locker plaudert.
Das Lied "Twistringen" ist eine Liebeserklärung an den kleinen norddeutschen Ort, in dem er seine Kindheit verbracht hat und "trotz aller Spießigkeit die schrägen, oft wilden 1970er Jahre erleben durfte. Es war keine einfache Zeit und der wichtigste Trost war die Musik. Je älter ich werde, umso mehr erwischt mich die Sehnsucht nach dem Ursprünglichen."
Beckmann ist ein Phänomen: Singend, mit der Gitarre in der Hand, wirkt er zunächst wie ein Liedermacher. Seine kräftige, aber kontrollierte und bei Bedarf feinfühlige Stimme ist eigen. So besingt er auch seine neue Liebe, Julie, die Yoga-Lehrerin, mit der er den "Traum vom neuen Leben" verwirklichen will.
Beckmanns Konzert im Bürgerhaus ist ein Auftritt der besonderen Art. Das Publikum honoriert diesen mit viel Applaus und fordert mehrere Zugaben. Er ist ein glänzender Unterhalter. Ebenso spricht seine Musik an, auch dank seiner tollen Band. Die Liebeslieder gefallen am besten, vor allem die Stücke in minimaler Besetzung und Lautstärke. Da wirkt er persönlich. Gerade die Balladen bieten Augenblicke, in denen man das Gefühl hat, einen tiefen Blick in die Seele des Künstlers zu bekommen. Für Beckmann ist Mühlhausen fast ein Heimspiel, um beim Fußball zu bleiben.