Tolerierter Fake-News-Wahnsinn auf Facebook
Das Kinderspiel "Flüsterpost" kennt jeder. Ähnlich verhält es sich mit Gerüchten auf Facebook, jedoch ist das Ausmaß ein anderes.
Walldorf/St. Leon-Rot/Rauenberg. Das vergangene Wochenende ist das perfekte Beispiel dafür, wie die sogenannten sozialen Netzwerke (wie Facebook) die Gerüchteküche überkochen lassen. Behauptungen werden aufgestellt, als Meinung deklariert und munter als "die Wahrheit" geteilt. Aber der Reihe nach:
Der Beitrag einer Facebook-Userin schlägt am Samstag Wellen. In Walldorf sei ein dunkelhäutiger Vergewaltiger auf freiem Fuß. Man kenne ihn und er habe versucht eine Frau zu vergewaltigen. Zu ihrem Glück griffen Passanten zügig ein und konnten schlimmeres verhindern. Der Beitrag der Userin wurde alleine von ihrem Profil über 600-mal geteilt und in den Facebook-Gruppen von St. Leon-Rot und Walldorf gepostet.
Wie die Polizei aber am Samstagmittag mitteilte, wurde der Mann umgehend verhaftet. In der Polizeimeldung werden keine Angaben zur Person gemacht und in der ersten Meldung lediglich von einem "Sexualdelikt", später dann von einer versuchten Vergewaltigung gesprochen.
Wichtig in diesem Moment für alle Walldorfer, der Mann wurde umgehend festgenommen und nicht mehr auf freien Fuß gelassen. In der weiteren Meldung schreibt die Polizei, dass der Mann in eine Psychiatrie eingeliefert wurde. Die Gefahr für die Bürger war also gebannt – zumindest in der Realität. Anders sah das auf Facebook aus.
Anstatt die Polizeimeldung zu lesen, wird der private Panik-Aufruf, dass ein Vergewaltiger in Walldorf unterwegs sei, fleißig weiter geteilt. Der Post wird auch nicht gelöscht oder von der Verfasserin korrigiert, sondern stehen gelassen. Die Fake-News verbreiten sich also weiter. In der Facebook-Welt von Walldorf, über St. Leon-Rot bis hin nach Rauenberg. Hier wird zu diesem Zeitpunkt ein vermisster Mann mithilfe eines Helikopters der Polizei gesucht. Schnell wird in der Rauenberger Facebook-Gruppe der Vergewaltiger aus Walldorf ins Spiel gebracht.
Das Ausmaß einer Fake-Meldung, die zwei Gemeinden und eine Stadt in Atem hält. Und wie zu erwarten, sind in den Kommentarspalten Drohungen, Selbstjustizaufrufe und fremdenfeindliche Aussagen zu lesen. Sichtbar für alle, die sich ebenfalls in der Facebook-Gruppe bewegen – und das alles unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit.
Persönlich frage ich mich, wie viele am Samstag unterwegs waren und beim Anblick eines schwarzen Mannes automatisch an den Walldorfer Vergewaltiger dachten. Weitergesponnen, hätte dies in einer "Hexenjagd" enden können. Zum Glück ist ein Großteil der Facebook-Nutzerinnen und -Nutzer vernünftig und überprüft solche Beiträge auf ihren Wahrheitsgehalt, erkundigen sich nach dem Opfer und loben den Einsatz und die Zivilcourage der helfenden Passanten.
Dennoch war Facebook wieder einmal der moderne Pranger des Mittelalters und die Kommentarspalten voller fauler Eier und matschiger Tomaten. Das Problem dabei, jeder kann an den Pranger gestellt und das Opfer der gesellschaftlichen Gunst oder Missgunst werden. Kein "Like" für das (a)soziale Netzwerk.
Zur Erklärung:
> Fake-News werden im Deutschen gerne als Falschmeldungen bezeichnet. Dabei beinhaltet der Begriff viel mehr. Denn Fake-News dienen der Manipulation. Es ist also eine bewusste Falschmeldung – kein Versehen und auch kein Tippfehler.
> Der Begriff "Meinung" wird dann gerne ins Spiel gebracht, wenn man für die aufgestellten Behauptungen keine weiteren Erklärungen findet. Dabei wird der Unterschied zwischen Meinung und Behauptung unter den Teppich gekehrt. Als Beispiel: Ich kann sagen "diese Suppe schmeckt mir nicht". Das wäre meine Meinung und von einer anderen Person schwer zu überprüfen. Sage ich "die Erde ist eine Scheibe" ist das eine falsche Behauptung. Grob definiert, lassen sich Behauptungen also in richtig und falsch einordnen, Meinungen nicht.
Onlineredakteurin