In Frieden angekommen

Rund 70 Ukraine-Flüchtlinge leben nun in Bammental

Ärztin Liane Wirth brachte eine Vielzahl per Reisebus ins Elsenztal.

14.03.2022 UPDATE: 15.03.2022 06:01 Uhr 2 Minuten, 28 Sekunden
In Frieden angekommen: Die 46 Kriegsflüchtlinge wurden in der Elsenztalhalle von ihren aufnehmenden Familien in Empfang genommen.

Von Benjamin Miltner

Bammental. Erleichtert und glücklich, müde und erschöpft, gleichzeitig voller Tatendrang – all diese Gefühle waren Liane Wirth am Montag nach ihrer Sprechstunde anzumerken. Nach zwei Wochen der Vorbereitung, Tausenden Telefonaten und Tagen ohne Schlaf hatte die Bammentaler Hausärztin am Sonntag 46 ukrainische Geflüchtete per Reisebus nach Bammental gebracht. Über 70 Ukrainer sind nunmehr durch die Vermittlung der 44-Jährigen und dem Engagement vieler Freiwilligen in und nahe der Elsenztalgemeinde untergekommen.

Ärztin Liane Wirth. Fotos: privat

>  Persönlicher Hintergrund: Liane Wirth hat einen ukrainischen Vater und eine deutsche Mutter, ist in Kasachstan geboren, spricht Russisch und versteht Ukrainisch. Die Machenschaften Putins, das Verachten der Menschenrechte, das Opfern von unschuldigen Leben – bei all dem wollen und können Wirth und ihr aus der Ukraine stammender Mann nicht einfach tatenlos zuschauen. "Wir müssen zusammenhalten und uns entschieden dagegenstellen", reift in Wirth der Gedanke, eine größere Hilfsaktion zu starten.

>  Vorbereitung der Hilfsaktion: Über ihre Kontakte hier- und dortzulande glühen die Drähte. Über 150 Freiwillige mit Unterkünften, Spenden und weiteren Hilfsangeboten melden sich bei einem von der Gemeinde unterstützten Aufruf. In der Ukraine ist die Lage dynamisch. Mehrfach hat Wirth Gruppen zusammen, deren Pläne sich ändern oder die bereits anderswo unterkommen. Bei der Abfahrt am Freitag des von ihr organisierten Reisebusses an die ukrainisch-polnische Grenze hat sie nur noch neun der knapp 50 Plätze vergeben.

> Die Lieferung in die Ukraine: Dafür hat die Bammentaler Ärztin auf der Hinfahrt Medizintechnik im fünfstelligen Euro-Wert an Bord: Schmerzmittel, Medikamente, Näh-, Verbands- und Wundmaterial gespendet von der Heidelberger Firma Octapharma. Aber auch ein Ultraschallgerät und ein Defibrillator aus dem Praxisbestand Wirths. "Viele hier gespendeten Güter kommen in der Ukraine nicht an der richtigen Stelle an", weiß Wirth um katastrophale Zustände. Umso glücklicher ist sie, als sie wenige Stunden nach der Übergabe an der polnischen Grenze Rückmeldung erhält: Die Hilfsgüter sind in einer Klinik in der Stadt Chmelnyzkyj sowie an der Front bereits im Einsatz.

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> Die Flüchtlingslager in Polen: In einer riesigen Einkaufspassage ist nun "alles voll mit Feldbetten, voll mit Frauen, Kindern, Hunden und Katzen" beschreibt Wirth ihre Eindrücke im improvisierten Flüchtlingslager. Sie spricht von einer "überwältigenden Hilfsbereitschaft".

> Kampf gegen Falschmeldungen: "Die Angst bei vielen, nach Deutschland zu kommen, ist enorm", berichtet die Ärztin. Der Grund: Weit verbreitete und tief sitzende Falschinformationen. "Es geht das Gerücht um, dass die Ukrainer auch bei einem schnellen Kriegsende erst nach einem Jahr Deutschland wieder verlassen dürfen und zudem alle Sozialhilfe zurückzahlen müssen." Menschenhändler steigern die Verunsicherung noch weiter.

> Vertrauensbildende Maßnahmen: Verstehen schafft Vertrauen – die Sprachkenntnisse von Wirth sind auch hier unschätzbarer Vorteil. Sie zeigt ihren Ausweis, erklärt geduldig und besonnen und verspricht: "Ich bin Hausärztin, werde im gleichen Ort wie sie wohnen und renne nicht weg." Samstagnachmittag sind alle Plätze im Bus vergeben. "Viele andere Busse sind fast leer zurückgefahren", berichtet sie. Angst und Misstrauen sind einfach zu groß.

>  Ankunft im Elsenztal: Umso größer fallen Erleichterung und Herzlichkeit am Sonntag beim Empfang in der Elsenzhalle aus. Hier lernen sich die Geflüchteten und ihre Gastfamilien bei einem kleinen Imbiss kennen.

> Das Trauma der Geflüchteten: Die Familien kommen aus mehreren Regionen der Ukraine, einige etwa aus Vororten der Hauptstadt Kiew. "Ihre Heimat ist stark zerbombt, viele total traumatisiert", berichtet Wirth von zusammenzuckenden Kindern, wenn eine Tür laut zuschlägt. Von dramatischen Einzelschicksalen wie einer Familie, die nicht einmal Wechselkleidung mit sich hat. Oder von einem Mädchen, die mit ihrer Oma im Bus saß. Ihre Mutter war mit dem schwer kranken Opa im eigenen Auto gefolgt und verlor nach einer Pause den Kontakt zur Gruppe. "Ich weiß bis jetzt nicht, wo sie ist", sagt Wirth.

>Integration im Bammentaler Alltag: Über 70 Ukrainer sind angekommen, ein Großteil davon Kinder, über 20 im Schulalter. Kinderbetreuung, Schul- und Sprachunterricht, eine Kleiderkammer im Familienzentrum, Übersetzer, gemeinsames Mittagessen bei der katholischen Kirchengemeinde. Vieles ist in die Wege geleitet – helfende Hände aber weiterhin gefragt.

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