Wie ein Bammentaler 40 Tage Gefängnishölle in den USA durchlebte
Behörden dachten, Bammentaler wollte illegal einwandern - Traumatische Erlebnisse hinter Gittern

Inzwischen ist Oliver Ruthner zurück in der Heimat und kann wieder lächeln. Er will die USA nun verklagen. Foto: Alex
Von Anja Hammer
Bammental. Er sieht mitgenommen aus. "Ich habe Schlafstörungen und Angst vor Menschenansammlungen", sagt Oliver Ruthner. Kein Wunder: Der Bammentaler hat gerade die US-amerikanische Gefängnishölle durchlebt. Fast sechs Wochen saß der der 30-Jährige hinter Gittern, ohne genau zu wissen, warum. 40 Tage lang erlebte er hinter Gittern, wie man sie sonst nur aus dem Fernsehen kennt.
Dabei sollte seine Reise in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ein positiver Wendepunkt in seinem Leben werden. Nach einem schweren Schicksalsschlag war Oliver Ruthner im Spätsommer vergangenen Jahres mit seiner Freundin, eine Amerikanerin, in deren Heimatland gereist. Die beiden besuchten ihre Familie in Las Vegas und kauften sich einen alten Bus, mit dem sie durch den Bundesstaat Kalifornien reisten. Im November reiste Ruthners Freundin zurück nach Deutschland.
Der gelernte Koch entschied sich, noch ein bisschen zu bleiben, auch um den Van zu verkaufen. Zudem machte er einen kurzen Abstecher nach Mexiko: ein bisschen den Strand genießen, günstig einkaufen. "Ich wusste, dass mein Visum bald abläuft", sagt er. Also wollte er einen Tag, bevor seine Einreiseerlaubnis erlischt, am Grenzübergang San Ysidro nahe der kalifornischen Stadt San Diego zurück auf US-amerikanischen Boden. Er wurde mit seinem Auto angehalten und kontrolliert. "Ich habe dem Grenzbeamten gesagt, dass ich noch ein bisschen reisen möchte und mein Visum verlängern will", erinnert sich Ruthner. "Kein Problem", hieß es. Er solle einfach 100 Meter weiter fahren; dort würde er einen entsprechenden Stempel bekommen. Der Bammentaler tat wie geheißen. Doch einen Stempel bekam er nicht. Stattdessen musste er aus dem Auto steigen, wurde in einen Anhörungsraum gebracht und in Hand- und Fußschellen gelegt. "Zu meiner eigenen Sicherheit - haben sie gesagt", berichtet Ruthner. Auf seine Nachfragen, wo das Problem sei, erhielt er keine Antwort.
Hintergrund
Die wichtigsten Ereignisse aus Oliver Ruthners Zeit in Haft im Überblick:
> Tag 1: Am Grenzübergang San Ysidro nahe der südkalifornischen Stadt San Diego will Oliver Ruthner von Mexiko in die USA fahren. Er wird kontrolliert und in einer kleinen
Die wichtigsten Ereignisse aus Oliver Ruthners Zeit in Haft im Überblick:
> Tag 1: Am Grenzübergang San Ysidro nahe der südkalifornischen Stadt San Diego will Oliver Ruthner von Mexiko in die USA fahren. Er wird kontrolliert und in einer kleinen Zelle festgehalten. Nach einigen Stunden und Vernehmungen wird er in ein richtiges Gefängnis verlegt.
> Tag 2: Oliver Ruthner fängt an, auf einen Telefonanruf zu pochen. Er wird ignoriert.
> Tag 4: Ein weiteres Verhör steht an. Dabei pocht Ruthner erneut auf einen Anruf, der ihm schlussendlich gestattet wird. Zum ersten Mal kann der Bammentaler Kontakt mit der deutschen Botschaft aufnehmen. Diese hört wusste nichts davon, dass Ruthner inhaftiert wurde - dabei hätte der 30-Jährige ab dem Moment seiner Inhaftierung aufgrund der Wiener Konsularrechtskonvention das Recht gehabt, die deutsche Auslandsvertretung zu kontaktieren.
> Tag 5: Der 30-Jährige wird verlegt. An sein Auto darf er nicht. Vor der Abfahrt bekommt er einen Rucksack in die Hand gedrückt, den ein Beamter mit ein paar Sachen aus Ruthners Van gefüllt hat. Fünf Stunden lang geht es in Hand- und Fußschellen mit einem Bus ins 350 Kilometer entfernte "San Luis Detention Center" im Bundesstaat Arizona.
> Tag 9: Zum ersten Mal hat Ruthner Kontakt mit seiner Familie in Deutschland. Die deutsche Botschaft hat eine Konferenzschaltung zu seiner Schwester in Meckesheim ermöglicht.
> Tag 10: Von einem Mithäftling - "ein großer Tätowierter aus Zentralamerika mit Glatze", so Ruthner - wird der Bammentaler mit einer Rasierklinge bedroht. Weil er ein Football-Spiel im Fernsehen schauen wollte.
> Tag 15: Wieder wird Ruthner verlegt. Zuerst geht es mit dem Bus in den 2500 Kilometer entfernten Bundesstaat Louisiana. Dort geht es weiter mit dem Flugzeug, danach ist wieder eine Busfahrt angesagt. 64 Stunden lang ist der Deutsche unterwegs - die gesamte Zeit an Händen und Füßen angekettet. "Und zwölf Stunden lang gab es nichts zu Trinken", berichtet Ruthner. Am Ende landet er im "Stewart Detention Center" im US-Bundesstaat Georgia. Doch dort ist er nur rund 20 Stunden für das Aufnahmeprozedere - dann geht es wieder weiter.
> Tag 16: Dieses Mal geht es ins "Folkston ICE Processing Center" in Georgia - 3800 Kilometer entfernt von dem Grenzübergang, wo er festgenommen wurde.
> Tag 25: Zum ersten und einzigen Mal erhält Ruthner Besuch von der deutschen Botschaft. Ruthners Familie hatte von Deutschland aus Druck gemacht, da es dem 30-Jährigen psychisch zunehmend schlechter geht. Konkrete Auskünfte zu seiner Lage und wie es weitergeht, kann der Besucher dem Inhaftierten aber nicht geben.
> Tag 30: Erneut wird der Bammentaler verlegt: Dieses Mal geht es ins rund 170 Kilometer entfernte "Irwin County Detention Center" in Georgia. Eine Lautsprecherdurchsage weckt Oliver Ruthner acht Tage später aus dem Schlaf: Er soll sich fertig machen, heißt es darin. Mit einem Gefängnisbus wird er abgeholt.
> Tag 39: In einem Auffangzentrum kurz vor dem Flughafen von Atlanta , Georgia, muss Ruthner weitere Stunden in einer Zelle verbringen, ehe ihn zwei Beamten der Polizei und Zollbehörde mit einem gepanzerten Bus zum Flughafen von Atlanta bringen.
> Tag 40: Der Bus fährt direkt auf die Rollbahn, die Beamten geleiten ihn ins Flugzeug und nehmen ihm erst wenige Momente vorher die Hand- und Fußschellen ab. Und endlich startet der Rückflug in die Heimat - in die Freiheit. aham
Ohne Antwort sollte er fast 40 Tage bleiben. Denn vom Anhörungsraum ging es quer durch das ganze Land von Gefängnis zu Gefängnis. "Mir wurde nie irgendein Dokument vorgelegt, was mir zur Last gelegt wird", sagt der 30-Jährige. Auch einen Richter bekam er nicht zu Gesicht. Zwar hätten ihn Beamte der Polizei- und Zollbehörde des Ministeriums für Innere Sicherheit mit mehreren Vorwürfen konfrontiert, aber konkret wurden sie nie, so Ruthner. Mal ging es um Drogenschmuggel wegen 0,2 Gramm Marijuana in seinem Wagen, mal um illegale Einwanderung. Erst als er wieder auf deutschem Boden war und über die Botschaft Einblicke in Vernehmungsprotokolle erhielt, wurde deutlich, dass es Letzteres war, was Ruthner 40 Tage durch die Hölle schickte.
Seit nicht einmal einem Monat ist Ruthner nun in Freiheit. Doch die Wochen davor haben sich in sein Gedächtnis gebrannt. "Die Leute drehen da drin durch", sagt er über die Aufenthalte in Zellen, in denen zum Teil bis zu 100 Mann untergebracht waren. Nachts hätten seine Mitinsassen plötzlich angefangen, an die Wände oder gegen die Pfosten der Metallstockbetten zu trommeln. Schlafen konnte er in den Wochen hinter Gittern höchstens vier oder fünf Stunden am Stück. "Ständig hat jemand rumgebrüllt", erzählt er.
Sein Spitzname unter den Mithäftlingen war "Germany" - wegen der Aufschrift auf seinem Gefängnisausweis. Ruthner: "Die wenigsten konnten Englisch." Denn rund 90 Prozent der Insassen saßen wegen illegaler Einreise hinter Gittern und stammten aus Süd- und Zentralamerika - darunter auch Mitglieder der berüchtigten Drogenbande "MS 13", erkennbar an ihren Tattoos. Zweimal geriet Ruthner ernsthaft in Gefahr - wegen des Fernsehprogramms. "Ich wurde mit der Rasierklinge bedroht; das war einer der schlimmsten Momente", sagt der Bammentaler. Das andere Mal habe sich ein Mithäftling schon den Oberkörper freigemacht, um eine Prügelei einzuläuten.
Zähne putzen - im weitesten Sinne - durfte Ruthner die ersten Tage nur, wenn die Gefängniswärter guter Laune waren und beim Essen Wattestäbchen mit Zahnpasta verteilten. Die Gefängnisausstattung war nur in den seltensten Fällen komplett: "In einer Anstalt hatte ich keinen Pulli - und da war echt kalt", berichtet er.
Kraft gab ihm in dieser Zeit seine Familie. Nachdem er endlich Zugang zum Bezahlsystem im Gefängnis hatte, das eigentlich nur US-Bürgern offensteht, telefonierte er fast täglich mit seiner Mutter in Bammental oder seiner Freundin. Auch mit der Botschaft stand er regelmäßig in Kontakt - entgegen seiner Rechte wurde ihm der Anruf aber erst nach vier Tagen gestattet.
Daher haben Ruthners Freunde im Internet auf der Crowdfunding-Plattform "Leetchi" eine Aktion gestartet. Unter dem Titel "Hilfe für Oli und andere Opfer menschenverachtender Justiz-Willkür der USA" sammeln sie Geld, damit Ruthner die USA verklagen kann.



