Hospizhilfe Weinheim-Neckar-Bergstraße

"Zu Beginn jeder Welle brachen die Anfragen ein"

Ehren- und hauptamtliche Kräfte der Ökumenischen Hospizhilfe erzählen von ihrer Arbeit in Pandemiezeiten.

31.03.2021 UPDATE: 01.04.2021 06:00 Uhr 6 Minuten, 6 Sekunden
Die Ökumenische Hospizhilfe Weinheim-Neckar-Bergstraße hat eine zentrale Anlaufstelle in der Bahnhofstraße 18. Sie ist aber auch per Mail und am Telefon bestens zu erreichen – auch an Feiertagen. Foto: Kreutzer

Von Philipp Weber

Weinheim/Region. Die Ökumenische Hospizhilfe Weinheim-Neckar-Bergstraße e.V. feiert im kommenden Jahr ihr 25-jähriges Bestehen. Im laufenden Jahr kämpfen die ehrenamtlichen Hospiz- und Trauerbegleiter nach wie vor mit der Pandemie – auch wenn trotz Einschränkungen eine neue Normalität entstanden ist. Im RNZ-Interview erzählen die ehrenamtliche Hospizbegleiterin Kerstin Seidenschwann (52) und die hauptamtliche Koordinatorin Petra Kriechel (50) von ihren Erfahrungen in der Corona-Zeit.

Kerstin Seidenschwann. Foto: Kreutzer

Frau Seidenschwann, Frau Kriechel, sterben die Menschen einsamer, seit das Coronavirus in der Region angekommen ist?

Seidenschwann: Die Möglichkeit, die Menschen zu Hause zu begleiten, war zumeist gegeben. Auch in diesen Tagen stehe ich zwei Frauen zur Seite. Der Zugang zu Alten- und Pflegeheimen sowie Kliniken war phasenweise jedoch erschwert.

Kriechel: Seit März 2020 hat sich die Situation wieder und wieder geändert. Inzwischen sind die anfangs harten Restriktionen in den Heimen zwar gelockert worden, aber unbeschwerte Besuche sind noch nicht möglich. Zu Ihrer Frage, ob Menschen einsamer sterben: Corona wirkt wie ein Brennglas, unter dem die schon zuvor vorhandenen Probleme hervortreten. Gerade schwerkranke Menschen sind oft einsam. Sie können am sozialen Leben nur erschwert teilnehmen. Die Pandemie hat die Situation einiger Betroffener insoweit verschärft, weil ihre Angehörigen und Freunde Probleme haben, zu ihnen zu kommen.

Petra Kriechel. Foto: Kreutzer

Wie gehen die Begleiter denn mit der Pandemielage um?

Kriechel: Die Bereitschaft, weiterhin für sterbende Menschen da zu sein, ist hoch. Wir haben knapp 40 ehrenamtliche Hospizbegleiter. Wer nicht in einer Risikogruppe ist oder aus privaten Gründen pausieren muss, war und ist weiter dabei. Wichtig ist, dass wir uns und die von uns begleiteten Menschen heute besser schützen können. Wir werden regelmäßig getestet, und der Wille, sich impfen zu lassen, ist hoch. Wir tragen zudem alle FFP2-Masken. Unsere Gruppentreffen finden konsequent digital statt.

Haben Sie aufgrund Ihres Aufgabengebiets schon die Möglichkeit, sich impfen zu lassen?

Kriechel: Wir fallen in die Gruppe mit der ersten Impfpriorität, das stimmt. Wir begleiten vulnerable Menschen, deren Angehörige oft ebenfalls den Risikogruppen angehören. Außerdem sind wir in verschiedenen Heimen unterwegs. Ein Großteil von uns hat zumindest die Erstimpfung erhalten.

Seidenschwann: Die Situation ist – zumindest aus unserer Perspektive als Hospizbegleiterinnen betrachtet – entspannter als 2020. Gerade in sensiblen Bereichen wie Heimen können die Menschen sich inzwischen besser schützen. Viele dort sind schon geimpft, es werden Tests vorgehalten und effektive Schutzmasken getragen. Auch die Stimmung hat sich verändert. Zu Beginn der Pandemie hatte jeder Angst. Inzwischen hat sich die Atmosphäre etwas aufgelockert.

Ist die Pandemie für Sie schon ein Stück weit vorbei?

Kriechel: Nein, das können wir nicht behaupten. Wir wissen ja nichts über die Menschen, die sich aufgrund der Pandemie gar nicht erst bei uns melden. Sicher ist, dass die Anfragen bis Anfang 2020 stetig gestiegen sind, wir spürten, dass die Hospizbegleitung nichts Ungewöhnliches mehr war und von den Menschen gut angenommen wurde. Zu Beginn einer jeden Welle sind die Anfragen deutlich eingebrochen. Anfragen erreichen uns unter anderem über das Palliativteam Weinheim, mit dem wir eng zusammenarbeiten. Von dort kam kürzlich die Rückmeldung, dass die Angehörigen immer wieder verunsichert sind. Das hat leider zur Folge, dass sie sich oft erst kurz vor dem Lebensende der Betroffenen melden. Die palliativmedizinische Versorgung ist dann noch möglich, aber es fehlt die seelische Unterstützung, die die Hospizbegleiterinnen leisten können. Den Angehörigen fehlt dann diese wichtige Betreuung in der Krise und sie fühlen sich überfordert.

Wie sieht Ihre Unterstützung in dieser Krise denn unter normalen Umständen aus?

Seidenschwann: Die Lösungen sind sehr verschieden. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Im vergangenen Jahr durfte ich einen Mann begleiten, der zwischen 50 und 60 Jahre alt und unheilbar an Krebs erkrankt war. Zunächst trafen wir uns zu dritt im Haus, in dem er mit seiner Frau lebte, zum lockeren Gespräch. Im Zuge der Pandemie änderte sich die Form der Betreuung, sie richtete sich dann stärker an der Frau aus. Sie hatte einen Hund, sodass ich sie draußen auf ihren Spaziergängen begleiten konnte. In unseren Gesprächen ging es nicht so sehr um Sterben und Tod, sondern um die Ablenkung vom Alltag mit ihrem schwerkranken Mann. So konnte ich die Frau in dieser schwierigen Phase des Abschieds stärken, was sich wieder hilfreich auf den Mann selbst ausgewirkt hat. In anderen Fällen tut es Angehörigen gut, wenn sie einfach mal in Ruhe einkaufen gehen können, während die Hospizbegleiterin den kranken Angehörigen betreut. In den Gesprächen geht es oft um das gelebte Leben, um seine schönen und weniger schönen Erfahrungen. Die Begleiterin wird einfach zu einem Gesicht, das Woche für Woche wiederkehrt.

Kriechel: Auch wenn es paradox klingen mag: Aber wir sind dafür da, dem Sterben Leben zu geben. Es geht darum, den lebendigen Alltag möglichst zu erhalten. Das kann auch bedeuten, dass wir mit spazieren gehen, einkaufen, etwas vorlesen oder aber einfach nur da sind und am Bett sitzen. Wichtig ist es, nah am Menschen zu sein, seine ganz persönlichen Bedürfnisse zu achten. Gespräche handeln oft von erfüllten Momenten des Lebens oder noch unerfüllten Wünschen.

Mir ist eine Reportage aus der Vor-Corona-Zeit in Erinnerung geblieben, die sich um einen schwerkranken Fußballfan drehte, der noch einmal ins Stadion wollte.

Kriechel: Sie spielen auf den "Wünschewagen" des Arbeiter-Samariter-Bundes an. Solche Angebote können wir unter Umständen vermitteln, aber was wir machen, ist sicherlich alltäglicher. Unsere Begleitungen gehen meist über Monate und zielen darauf ab, Stabilität und Halt zu verleihen. Dazu ist es wichtig, dass es uns Koordinatorinnen gelingt, eine passende Begleitung zu finden, die Hospizbegleiter und die zu begleitenden Menschen sollten zueinander passen.

Seidenschwann: Vorab müssen die Familien, die Koordinatorinnen und die Ehrenamtlichen auch ganz praktische Dinge klären wie den zeitlichen Umfang der Begleitung. Nicht jedem Begleiter stehen ja die gleichen Zeitkontingente zur Verfügung. Vieles andere ergibt sich im Laufe der Betreuung. Ideal ist, wenn diese nicht zu spät einsetzt.

Wie sind Sie denn auf dieses Ehrenamt gekommen?

Seidenschwann: Meine Mutter hat das auch gemacht, von ihr erfuhr ich überhaupt erst davon. Als meine beiden Kinder größer wurden, habe ich mir überlegt, ein Ehrenamt zu übernehmen. 2016 wurde ich zur ehrenamtlichen Hospizbegleiterin ausgebildet. 2017 begannen die Begleitungen.

Was gibt Ihnen diese Arbeit?

Seidenschwann: Ich persönlich habe die Zeit, in der ich meinen schwer kranken Vater begleiten durfte, als wertvoll erlebt. Ich denke, wer den Tod kennt, schätzt das Leben. Die Bedeutung dieses Satzes zeigt sich erst, wenn Sie den Umkehrschluss betrachten: So schildern mir Betroffene, dass sich ihr Umfeld in der Zeit nach – zum Beispiel – ihrer Krebsdiagnose plötzlich reserviert verhielt. Denn wie soll man mit einem Menschen umgehen, der bald sterben wird? Wenn man sich jedoch mit dem Tod auseinandersetzt, verliert er seine Bedrohlichkeit. Diese Arbeit führt dazu, dass man stärker reflektiert, scheinbar Selbstverständliches wie einen Spaziergang in der Natur anders wahrnimmt. Man stößt auf das eigene Leben.

So arbeitet die Hospizhilfe

> Das Vier-Säulen-Modell: Die Ökumenische Hospizhilfe Weinheim-Neckar-Bergstraße ruht auf vier Säulen: Es gibt den Verein, der im kommenden Jahr 25. Geburtstag feiert und dem eine ganze Reihe von christlichen Kirchen und sozialen Einrichtungen angehören. Auf der hauptamtlichen Ebene koordinieren die Lehrerin für Pflegeberufe und Palliativkrankenschwester, Monika Leistikow, sowie die Sozialarbeiterin Petra Kriechel die Arbeit der knapp 40 ehrenamtlichen Begleiterinnen und Begleiter. Sie erfahren ebenfalls hauptamtliche Unterstützung durch Beate Braune, die die Verwaltung stemmt. Die Ehrenamtlichen wiederum bilden die dritte Säule.

Außerdem gibt es mit dem Sozialpädagogen Andreas Haug einen hauptamtlichen und vier ehrenamtliche Trauerbegleiter. Diese bieten unter normalen Umständen Gruppentreffen für trauernde Angehörige an; in der Pandemie werden Trauernde jedoch einzeln betreut.

> Der Wirkungsbereich: Die Angebote richten sich an Menschen, die zwischen Laudenbach und Schriesheim leben. Auch ein Teil des Vorderen Odenwalds sowie des westlichen Umlands werden abgedeckt. Heddesheim und Ladenburg gehören dazu, Edingen-Neckarhausen hat einen eigenen Hospizverein.

> Historische Hintergründe: "Hospiz" bedeutet im ursprünglichen Sinne "Herberge", die ersten Hospize entstanden schon in der Spätantike entlang der Pilgerwege. Sie nahmen gesunde, aber eben auch kranke und sterbende Menschen auf. Die moderne Hospizbewegung entstand Ende der 1960er-Jahre in London. Aktuell engagieren sich bundesweit rund 100.000 Ehrenamtliche. Weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter werden dringend benötigt.

> Die Qualifikation: Die Koordinatorinnen Leistikow und Kriechel sind für die Auswahl sowie die Qualifizierung und Fortbildung der Hospizbegleiterinnen und -begleiter verantwortlich. Ehe die Kurse beginnen, müssen Interessenten und Koordinatorinnen einander kennenlernen. Ziel ist dabei, herauszufinden, ob die Aufgabe zum Menschen passt. Ist dies der Fall, beginnt die Qualifizierung. Diese umfasst vier Seminarwochenenden sowie mehrere Zusatzveranstaltungen. Und: ein Praktikum in einer stationären Hospizeinrichtung, das 40 Arbeitsstunden umfasst. Die Weinheimer Begleiter und Begleiterinnen arbeiteten jedoch ambulant. Dabei kooperieren sie mit zahlreichen anderen Berufsgruppen, darunter Pflegekräfte, Seelsorger und Mediziner, aber auch den stationären Hospizen.

> Der nächste Kurs: Demnächst findet wieder ein Vorbereitungskurs für ehrenamtliche Hospizbegleiter und Hospizbegleiterinnen statt. Dieser beginnt am 30. April und 1. Mai mit dem Orientierungsmodul. Wer Interesse an dieser besonderen Arbeit hat, kann sich jetzt schon vormerken lassen.

> Die Begleiteten: Das Angebot richtet sich an Menschen, die in ihrer letzten Lebensphase angekommen sind. Das bedeutet indes keineswegs, dass sie bereits im Sterben liegen müssen. Besser ist es sogar, wenn sich die Menschen oder ihre Angehörigen früher melden. Das Angebot ist für alle Menschen, die von der Ökumenischen Hospizhilfe begleitet werden, kostenlos. Einige der Begleitenden können auch Familien mit schwerkranken Kindern betreuen. Alle sind zu Verschwiegenheit verpflichtet. Herkunft und Weltanschauung der Kranken spielen keine Rolle, die Ökumenische Hospizhilfe ist jedoch getragen von einem christlichen Menschenbild.

> Der Kontakt: Die Sprechstunden sind: Dienstag und Donnerstag, jeweils von 10 bis 12 Uhr. Telefonisch ist die Hospizhilfe unter der Nummer 06201/ 18 58 00 zu erreichen. Jederzeit ist ein Anrufbeantworter geschaltet. Ein Rückruf erfolgt zeitnah. Per Mail ist die Anlaufstelle, die sich in der Bahnhofstraße 18 befindet, unter info@hospizhilfe-weinheim.de zu erreichen. Weitere Infos gibt es unter www.hospizhilfe-weinheim.de.

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