Hirschberg

SPD wünscht sich 2022 "mehr Planung"

Der Fraktionsvorsitzende Thomas Scholz erklärt im RNZ-Interview, wie er gerne "Ad-hoc-Entscheidungen" geändert hätte.

13.01.2022 UPDATE: 14.01.2022 06:00 Uhr 6 Minuten, 59 Sekunden
„Wir haben ein Riesenpensum und enorme Kosten vor uns. Das müssen wir sinnvoll steuern. Daher ist mein Ansatz: regelmäßige Kostenkontrolle und Entscheidungen unter Betrachtung der Konsequenzen“, sagt SPD-Fraktionsvorsitzender Thomas Scholz. Foto: Kreutzer

Von Annette Steininger

Hirschberg. Sowohl für ein Neubau- als auch ein Gewerbegebiet sind dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Thomas Scholz zusätzliche Aspekte wichtig. Der RNZ hat er erläutert, welche das sind. Im Interview geht er auch auf die seiner Meinung nach fehlende regelmäßige Kostenkontrolle ein und soziale Schwerpunkte, die er nach wie vor in der Gemeinde vermisst.

Herr Scholz, wie haben Sie 2021 kommunalpolitisch erlebt?

Es war ein spannendes Jahr, auch wegen der drei Wahlen: die Landtagswahl, die kommunalpolitisch auch auf uns abgefärbt hat, der Bürgerentscheid und die Bundestagswahl. Zudem haben wir einige große Themen im Gemeinderat gehabt wie zum Beispiel die Sanierung der Hallen und des Sportzentrums und die Zukunftswerkstatt. Es ging auch bei den Kindergärten weiter und ein wenig beim Klimaschutz durch die LED-Umstellung der Straßenbeleuchtung. In den ersten drei Monaten hat uns der Bürgerentscheid zur Gewerbegebietserweiterung stark beschäftigt. Wir haben uns sehr engagiert, weil es ein wichtiges Zukunftsthema ist. Das knappe Ergebnis war dann durchaus ermutigend für uns.

Das erste Quartal war in der Tat stark geprägt durch den Bürgerentscheid zum Gewerbegebiet. Die SPD-Fraktion war hier gespalten, wie gestaltet sich jetzt die Zusammenarbeit in der Fraktion?

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Es gibt keinen Fraktionszwang, insofern sind unterschiedliche Meinungen immer möglich. Der SPD-Ortsverein hatte eine klare Beschlusslage dazu, die ich auch vertreten habe (contra Gewerbegebietserweiterung um zehn Hektar, Anm. d. Red.). Das war mir wichtig. Mein Fraktionskollege hatte dazu eine andere Meinung. Es ist aber nicht so, dass wir grundsätzlich unterschiedliche Ansichten im Gemeinderat vertreten.

Für das Gewerbegebiet haben GLH und SPD schon Leitlinien beziehungsweise Kriterien entwickelt. Welche sind aus Ihrer Sicht denn besonders wichtig?

Beim Neubau- und beim Gewerbegebiet wird immer argumentiert: Das brauchen wir für den Haushalt. Da widerspreche ich zunächst ein Stück weit. Richtig ist, dass der Anteil an Einkommen- und Gewerbesteuer mit die wichtigsten Einnahmequellen sind. Aber: Wenn es so einfach wäre, mehr Einwohner und mehr Gewerbe gleich mehr Geld, dann wären die meisten großen Städte mit vielen Einwohnern und großen Industriegebieten unglaublich reich. Das ist aber, wie wir alle wissen, nicht der Fall. Diese einfache Rechnung stimmt also nicht. Man muss immer bedenken, dass mit so etwas auch Kosten, zum Beispiel für Infrastruktur, verbunden sind. Das Ganze beginnt vor allem damit, dass man Fläche, also Boden, verbraucht – und das ist ein begrenztes Gut. Man muss sich also gut überlegen, wie und wofür man sie verbraucht. Deshalb sind Themen wie Gemeinwohl und Klima- beziehungsweise Umweltschutz wichtig.

Was heißt das konkret?

Wir wollen beim Gewerbegebiet ein innovatives städtebauliches und ökologisches Vorzeigeprojekt mit klimaneutraler Energie-, Wärme-, und Kälteversorgung, geordneter Ansiedlung und nachhaltigen ökologischen Ausgleichsmaßnahmen. Bau und Baustoffe sind dabei ein erster wichtiger Faktor in der Energiebilanz eines Gebäudes. Da stellt sich bereits die Frage: Nehme ich Baustoffe aus anderen Regionen der Erde, die gegebenenfalls nicht recycelbar sind, oder achte ich hier bereits auf Nachhaltigkeit? Und: Nicht jede Firma muss eine eigene Kantine oder eigene Kinderbetreuung haben. Das kann man doch zentral bauen und anschließend gemeinsam nutzen. Wir möchten bei der Erweiterung auch in hohem Maße die Beteiligung der Bürger und von Umweltverbänden. In dem Zusammenhang gibt es natürlich noch viele weitere Punkte. Es war von Anfang an viel von einem Vorzeigeprojekt die Rede. Wir nehmen die Beteiligten nun beim Wort.

Gerade im Bereich Baustoffe gibt es ja momentan eine Knappheit. Macht es da Sinn, den Firmen auch noch vorzuschreiben, dass diese regional hergestellt werden müssen?

Bis der erste Spatenstich erfolgt, wird noch einige Zeit vergehen. Ob dann immer noch Knappheit herrscht, weiß ich nicht. Diese gibt es ja vor allem bei Lieferungen aus entfernteren Regionen. Regionaler Bezug kann also sogar von Vorteil sein.

Auch ins Neubaugebiet soll jetzt Bewegung kommen. Wie sollte denn der Anteil an bezahlbarem Wohnraum Ihrer Meinung nach aussehen?

Auch hier wird in großem Umfang neue Fläche verbraucht. Man sollte also erst mal schauen, wie weit man bereits mit Innenverdichtung kommt. Ein Neubaugebiet ist zudem kein Garant für eine finanzielle Verbesserung. Es verursacht auch Kosten: Kanalisation, Straßenbau, Spielplätze. Familien mit Kindern erfordern eventuell einen neuen Kindergarten. Das sind dann Investitionen, die vorangehen. Das heißt nicht, dass wir kein Neubaugebiet angehen sollten, aber wir dürfen es nicht wie bisher nur 08/15 mit Einfamilienhäusern planen, ohne weitergehende Ziele zu verfolgen. Die Frage ist: Wie kann Hirschberg in den nächsten Jahren fortschrittliche und nachhaltige Bodenpolitik beziehungsweise Quartiersentwicklung umsetzen, die auch den Gemeinwohlaspekt beinhaltet?

Was meinen Sie genau mit dem Gemeinwohl-Aspekt?

Für uns Sozialdemokraten ist das auf jeden Fall auch sozialer, geförderter Wohnungsbau und ein preisreduzierter Anteil, der deutlich unter der ortsüblichen Miete liegt. Das ist es ja auch, was im Wesentlichen fehlt. Mein Wunsch ist, dass dieser Anteil möglichst hoch liegt. Also über den geforderten mindestens 30 Prozent beim Projekt der Wohnraumoffensive BW. Ich denke da an 30 Prozent sozial langfristig gebunden und 20 Prozent preisreduziert. Das heißt an der Stelle vor allem Geschosswohnungsbau für möglichst viel Wohnfläche. Auch Klimaschutz beziehungsweise Klimaneutralität sind genau wie beim Gewerbegebiet in allen Aspekten von Anfang an mitzudenken, genauso wie eine gute demografische und soziale Durchmischung, zum Beispiel durch Mehrgenerationenhäuser. Ganz wichtig dabei: Die Bevölkerung und die Interessenten von Anfang an mit einbeziehen. Mir gefällt das Projekt "Vielfalt in Ladenburg" gut, bei dem sich die Menschen selbst einbringen. So entwickelt man heute zukunftsfähige Neubaugebiete.

Auch die Ortsrandstraße ist ja ein lang gehegter SPD-Wunsch. Ihre Fraktion gehörte zu den Antragstellern, die die Verwaltung mit Gesprächen mit den Behörden beauftragt hatten. War die Erinnerung an die Verwaltung, mit dem Ergebnis nun endlich an die Öffentlichkeit zu gehen, Kritik?

Es war eine Nachfrage, wie der Stand ist. Mehr nicht. Die Ortsrandstraße an sich ist eine alte Forderung der SPD. Da stehen wir nach wie vor dazu. Wir haben 2018 eine Umfrage und Zählung gemacht. Durch die Ortsdurchfahrt von Großsachsen fährt eine unglaubliche Menge Verkehr. Die Betroffenen sind davon genervt und wünschen sich eine Lösung.

Also nach wie vor Befürworter einer Ortsrandstraße?

Ich sehe in den nächsten Jahren keine deutliche Reduzierung des Individualverkehrs. Da bietet sich als Lösung die Ortsrandstraße an. Aber: Die Grundstücke stehen noch nicht zur Verfügung, und Kosten, Rahmenbedingungen und Förderungen sind unklar. Da ist Vorarbeit zu leisten, um dann endgültig zu entscheiden. Das war zunächst der Auftrag an die Verwaltung. Wenn irgendwie die Möglichkeit besteht, die Ortsrandstraße sinnvoll und zu vertretbaren Kosten zu bauen, bin ich nach wie vor dafür.

Immer wieder mahnen Sie zu Vorsicht bei den Baukosten-Höhen an. Aber ist das denn in der Zeit explodierender Preise auf dem Sektor überhaupt realistisch, noch Geld einzusparen?

Es gibt sicher Punkte, bei denen man sparen konnte. Ich will jetzt aber nicht in die Vergangenheit blicken. In die Zukunft gerichtet geht es mir um eine effektive Kostenkontrolle. Wir haben einen großen Sanierungsstau. Die Hallen und Kindergärten sind erst der Anfang. Wir wollen nicht, dass sich so etwas wie beim alten Rathaus Am Mühlgraben wiederholt: dass die Sanierung eines Gebäudes für die Gemeinde am Ende zu teuer ist. Wir haben ein Riesenpensum und enorme Kosten vor uns. Das müssen wir sinnvoll steuern. Daher ist mein Ansatz: regelmäßige Kostenkontrolle und Entscheidungen unter Betrachtung der Konsequenzen.

Wie sollte diese Kostenkontrolle aussehen?

Eine fortlaufend aktualisierte und priorisierte Liste mit allen bekannten Vorhaben erstellen, realistische Kosten und Termine dafür eintragen, eine Schuldenobergrenze definieren – auch im Hinblick auf die künftige Leistungsfähigkeit der Gemeinde und die Verantwortung für die nachfolgenden Generationen. Dann bekommt man ein Gefühl dafür, wann was möglich ist und kann die Konsequenzen neuer Projekte besser abschätzen. Schlägt ein neues Thema oder eine Kostensteigerung auf, wird durch so ein Instrument klar, dass dadurch ein anderes Thema, nehmen wir zum Beispiel das Bürgerhaus, eben zeitlich wieder um x Jahre in die Zukunft rutscht. Wir können nicht alles gleichzeitig machen, weder von der Manpower in der Verwaltung noch finanziell. Bei all unseren Entscheidungen sollten uns diese Konsequenzen sehr viel deutlicher bewusst sein. Dadurch würde bei manchen Themen wahrscheinlich auch eine größere Motivation zur Kosteneinsparung entstehen, als das in der Vergangenheit der Fall war.

Werden Sie die Schuldenobergrenze und diese Themenliste als Antrag einbringen?

(lacht) Ich möchte jetzt ungern schon über konkrete Anträge reden. Diese Maßnahmen gehen mir aber schon länger im Kopf herum.

Die Haushaltsberatungen stehen unmittelbar bevor: Wo wird die SPD denn hier Schwerpunkte setzen?

Die großen Themen liegen klar auf der Hand. Der Sanierungsstau muss angegangen werden. Dabei ist zum Beispiel die Sanierung der Alten Villa für uns weiterhin ein Thema, wenn ihr nicht das gleiche Schicksal drohen soll wie dem alten Rathaus Am Mühlgraben. Uns als SPD ist darüber hinaus natürlich auch der soziale Aspekt wichtig. Da ist in der Vergangenheit zu wenig passiert. So ist unter anderem bislang die Sozialstaffelung der Kindergartenbeiträge abgelehnt worden, ebenso das "Sozialkulturparkett", um sozial Schwachen mehr Teilhabe zu ermöglichen. Beim Klimaschutz muss die Gemeinde künftig deutlich mehr tun. Das von uns mitbeantragte Klimaschutzkonzept wird hier mit Sicherheit klare Vorgaben für die nächsten Jahre machen, die dann auch umgesetzt werden müssen. Digitalisierung ist ein weiterer wichtiger Punkt. Da ist zu lange nichts passiert. Ob wir mit "Fibernet" weitermachen oder den Weg mit einem privaten Anbieter suchen, müssen wir bald entscheiden.

Im letzten Jahresinterview haben Sie soziale Schwerpunkte in der Gemeinde vermisst und sogar von "sozialer Kälte" gesprochen. Hat sich denn diesbezüglich etwas getan?

Nein. Wenn ich auf das Jahr zurückschaue, fällt mir höchstens die Zukunftswerkstatt ein, die ja nun pandemiebedingt auf 2022 verschoben worden ist. Man muss zudem aufpassen, dass sie nicht zu sehr verwässert wird. Die Idee der Zukunftswerkstatt stammt ursprünglich aus dem Sozialbericht. Darin waren einige soziale Mängel aufgeführt. Wir sind zwar eine relativ reiche Gemeinde, aber es gibt Defizite. Man muss daher schon darauf schauen, dass der soziale Aspekt, der eigentlich der Ursprungsgedanke der Zukunftswerkstatt ist, weiterhin im Vordergrund steht. Das muss man insbesondere dadurch versuchen, dass man den Betroffenen ein Sprachrohr und die Möglichkeit der Teilhabe gibt. Das wird nicht einfach, weil die sozial Schwachen meistens diejenigen sind, die sich am wenigsten artikulieren. Ich hoffe, dass wir diese Gruppe trotzdem erreichen und dass dann ihre Anliegen auch Gehör finden.

Worauf würde denn die SPD beim nächsten Jahresinterview gerne stolz zurückblicken?

Ich würde mich freuen, wenn wir im kommenden Jahr wieder mehr zusammenfinden. Zum einen im Gemeinderat, aber auch in und mit der Bevölkerung. Gräben müssen überwunden werden, um die Dinge voranzubringen. Die Pandemie hat das in den letzten zwei Jahren nicht leichter gemacht. Ich habe zudem das Gefühl, dass wir oft ad hoc arbeiten. Daher würde ich mir mehr Planung sowie gemeinsam erarbeitete grundlegende Konzepte und Ziele wünschen: Wo wollen wir hin, und was müssen wir dafür wann tun? Das hatte ich ja zum Teil bei den Themen zuvor bereits angesprochen. Dann haben wir es in der Umsetzung auch viel leichter. Wir stehen gerade auch als Gemeinde vor großen Herausforderungen. Es ist wichtig, diese Herausforderungen mit den richtigen, nachhaltigen gemeinwohl- und zukunftsorientierten Konzepten anzugehen. Wenn wir da einen deutlichen Schritt vorankommen, wäre ich schon zufrieden.

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