Bunte Ballons gegen graue Gewerbehallen
Gegner eines Gewerbegebiets in "Hinterer Mult" bildeten lockere Menschenkette - Kämpferische Reden

Man solle die Ballons nicht fliegen lassen, hieß es. Das könne Ärger geben. Foto: Kreutzer
Von Philipp Weber
Weinheim. Iris Großhans deutet auf die sattgrünen Felder, die sich vor ihr ausbreiten: "Laut Stadtplanungsamt soll es sich hier um keine Grünfläche handeln", ruft sie ihren Mitstreitern zu: "Wer Erholung will, soll aus Sicht der Stadt künftig die Wormser Bahn überqueren und den ’Grünen Ring’ dahinter nutzen."
Doch darauf wollen sich die Landwirtin und die rund 70 Protestierenden vor ihr nicht einlassen: Der Bauernverband, die Schutzgemeinschaft "Hintere Mult" und die Bürgerinitiative "Schützt die Breitwiesen und die Weinheimer Feldflur" haben am Sonntag zu einer Demonstration aufgerufen. Die Teilnehmer erhalten bunte Luftballons - was besonders die Kinder freut. Nach den Redebeiträgen spazieren sie in getrennten Gruppen über die Feldwege am Rand des knapp zwölf Hektar großen Gebiets, um mit einer Art Menschenkette erneut dessen Größe greifbar zu machen. Nach dem (bisherigen) Willen der Ratsmehrheit soll das Gelände umgenutzt und erschlossen werden, um Betrieben aus dem angrenzenden Gewerbegebiet "Olbrichtstraße" mehr Platz zu verschaffen.
Laut Landwirtin Großhans könnte ein Aus für die Felder das Todesurteil für ihren Betrieb darstellen. Oder für einen anderen Landwirt. Der müsse seinerseits auf die Ersatzflächen verzichten, die man Großhans mittlerweile angeboten hat.
"Man wirft uns vor, weniger Gewerbesteuern zu erwirtschaften - und weniger Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen als andere Firmen", so die Bäuerin. Allerdings könne die Landwirtschaft nicht mehr so personalintensiv arbeiten wie im Mittelalter: "Jedenfalls nicht, wenn Verbraucher günstig einkaufen wollen."
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Dann geißelt Jürgen Kühn-Schneider vom Verein Landerlebnis Weinheim "Bodenversiegelung" und "Land-Fraß". Er fordert den Erhalt der örtlichen Lebensmittel-Versorger. Doch nicht nur der stehe auf dem Spiel: Bodenversiegelung bedeute stets noch mehr Insektensterben, noch mehr Artenschwund, noch mehr Klimawandel. Dabei müssten brachliegende Gewerbe- und Industrieflächen sowie leer stehende Wohnungen nur genutzt werden: "Da kann jeder bei sich selbst anfangen." Auch der Gemeinderat sei in der Pflicht.
Die nächste Rednerin kennt man noch aus den Zeiten des Bürgerentscheids über eine Entwicklung der Breitwiesen: Ingrid Hagenbruch von der BI "Schützt die Breitwiesen". Sie fordert die "Herren im Rathaus" dazu auf, darauf zu achten, dass Böden wie der in der "Hinteren Mult" zu den fruchtbarsten in Baden-Württemberg zählen. Unter anderem deshalb gehe es nicht an, "dass sich Verwaltung und Gemeinderat vor den Karren einiger ganz weniger Betriebe spannen lassen".
Sie fordert die Stadträte auch dazu auf, das Thema Gewerbeentwicklung mit einem neuen OB anzupacken. Es bestehe kein objektiver Grund zur Eile. Dann stellt sie einen neuen "Unterstützer" vor: Die Naturschützer vom BUND hätten sich mit den Gegnern eines Gewerbegebiets in der "Hinteren Mult" solidarisiert.
Bauern-Vertreter Fritz Pfrang wehrt sich ebenfalls gegen das Arbeitsplatz-Argument. "Die Landwirtschaft wird nie so viele Jobs schaffen wie die Industrie - aber jeder Landwirt versorgt eine Vielzahl von Menschen mit Nahrungsmitteln." Dass die Stadt den Landwirten ausgerechnet in den Breitwiesen Ersatzflächen anbiete und für Rechenbeispiele zur Gesamtfläche Weinheims auch die sonst "vernachlässigten" Odenwald-Ortsteile einbeziehe, spreche für sich. Er stellt dem applaudierenden Publikum seine Vision einer neuen Gewerbe-Besteuerung vor. Diese solle den ruinösen Wettbewerb unter den Kommunen beenden, nachhaltig wirtschaftende Unternehmen belohnen und die Arbeit zu den Menschen bringen - nicht umgekehrt.
"Ich fände es schwer, gegen eine Erschließung zu argumentieren, wenn hier Wohnhäuser entstehen würden", so ein junger Familien-Vater aus der Umgebung. "Aber wenn Gewerbebetriebe hier ihre Lagerstätten unterbringen, frage ich mich schon, ob der Lkw nicht fünf Minuten länger fahren sein kann."
Für die Protestierenden steht fest, dass dies nicht die letzte Demo war - auch wenn der Gemeinderat das Bebauungsplanverfahren für die "Hintere Mult" am Mittwoch fortsetzt. "Bereits 2004 hatten die Landwirte und der BUND protestiert", so Hagenbruch. Der damalige Flächen-Nutzungsplan hatte die "Hintere Mult" für Gewerbe vor-reserviert. Nach der Demo zieht man aufs Gelände des Großhans’schen Milchhofs. Es gibt Würste, Quarkkartoffeln und Bier. Die Bänke sind fast voll besetzt. Noch so eine Erinnerung an die Zeit vor dem Bürgerentscheid.