Kann eine Bettensteuer das "Riesendefizit" auffangen?
Im Zahlenwerk 2021 klafft ein riesiges Loch. Ein Drei-Millionen-Kredit und ein Griff in die Rücklage sind nötig.

Von Christoph Moll
Neckargemünd. Die Stadt am Neckar kann ihre geplanten Investitionen in diesem Jahr nur mit einem Kredit und einem Griff in die Rücklage tätigen. Das ist eine der Kernaussagen des Haushalts, den der Gemeinderat in einer Sondersitzung unter Tischklopfen der Stadträte einstimmig verabschiedet hat.
Hintergrund
Ergebnishaushalt
> Ordentl. Erträge: 34,19 Mio.
> Ordentl. Aufwendungen: 37,35 Mio.
> Gesamtergebnis: -3,16 Mio.
Finanzhaushalt
> Einzahlungen aus laufender
Ergebnishaushalt
> Ordentl. Erträge: 34,19 Mio.
> Ordentl. Aufwendungen: 37,35 Mio.
> Gesamtergebnis: -3,16 Mio.
Finanzhaushalt
> Einzahlungen aus laufender Verwaltungstätigkeit: 33,59 Mio.
> Auszahlungen aus laufender Verwaltungstätigkeit: 33,74 Mio.
> Zahlungsmittelbedarf des Ergebnishaushalts: -152.700
> Einzahlungen aus Investitionstätigkeit: 500.000
> Auszahlungen aus Investitionstätigkeit: -3,54 Mio.
> Finanzierungsmittelbedarf aus Investitionstätigkeit: -3,04 Mio.
> Finanzierungsmittelbedarf:
-3,20 Mio.
> Einzahlungen aus Finanzierungstätigkeit: 3,0 Mio.
> Auszahlungen aus Finanzierungstätigkeit: -848 00
> Finanzierungsmittelüberschuss:
2,15 Mio.
> Änderung des Finanzierungsmittelbestands: -1,04 Mio.
"Wir haben ein Riesendefizit im Ergebnishaushalt", redete Fachbereichsleiter Daniel Möhrle gar nicht um den heißen Brei herum. Dieses beträgt 3,16 Millionen Euro (siehe auch nebenstehender Kasten "Haushalt in Zahlen"). Hierin enthalten sind auch rechnerische Faktoren wie zum Beispiel Abschreibungen, also zum Beispiel der Wertverlust von städtischen Gebäuden.
Der Finanzhaushalt zeigt, dass allein aus der laufenden Verwaltungstätigkeit ein Defizit von 152.700 Euro entsteht, sodass die Stadt nicht einmal das laufende Geschäft allein finanzieren kann – geschweige denn die Investitionen. Für diese werden 3,04 Millionen Euro notwendig, sodass unterm Strich ein Finanzierungs-Loch von 3,20 Millionen Euro klafft. Dieses soll mit einem Drei-Millionen-Kredit gestopft werden. Da aber gleichzeitig auch 848.000 Euro an Zinsen fällig werden, ist noch ein 1,04 Millionen Euro tiefer Griff in die Rücklage, also den Sparstrumpf der Stadt, notwendig.
Diese Entwicklung betreffe nicht nur den "Corona-Haushalt", wie Möhrle das diesjährige Zahlenwerk nannte, sondern auch die mittelfristige Finanzplanung der kommenden Jahre. "Das Defizit wird geringer, aber es bleibt." Die Investitionen in diesem Jahr weitgehend mit Krediten zu decken, sei derzeit aufgrund der geleisteten Tilgungen und der "Rückführung des Schuldenstandes der vergangenen Jahre" möglich, meinte der Kämmerer. "Diese Finanzierungsmöglichkeit ist aber begrenzt", warnte Möhrle. "Es ist dringend geboten, Maßnahmen zu treffen, um das Defizit im Ergebnishaushalt abzubauen."
Nach der "Mahnung des Kämmerers" erinnerte Bürgermeister Frank Volk daran, dass die finanzielle Situation der Stadt am Neckar seit Jahrzehnten angespannt sei. "Wir haben in den vergangenen Jahren viel dafür getan, damit sich die Situation verbessert", betonte er. Die Mitarbeiter der Stadt würden einen guten Job machen. "Das erste Corona-Jahr hat uns noch extremer belastet", so Volk. Er sei stolz auf das Team aus Verwaltung und Gemeinderat. "Alle sind sich der nicht einfachen Situation bewusst." Die Stadträte diskutierten angesichts der schwierigen Finanzlage unter anderem über die Einführung einer Tourismusabgabe wie zum Beispiel einer Bettensteuer.
Das beantragten die Fraktionen zum Haushalt
Neckargemünd. (cm) Bürgermeister Frank Volk hat eingangs der Sondersitzung des Gemeinderates zur Verabschiedung des Haushalts daran erinnert, dass die Fraktionen mehrere Anträge eingebracht hatten. Diese seien in der nicht-öffentlichen Klausursitzung zum Haushalt besprochen worden. Es seien allerdings keine Stellungnahmen und keine Diskussion hierzu gewünscht worden.
> Die Grünen hatten 200.000 Euro für die Planung und den Bau von Photovoltaik-Anlagen beantragt. Es wurde entschieden, dass 40.000 Euro in den Haushalt aufgenommen werden. Außerdem forderten die Grünen 7000 Euro für "Investitionen in einen Jugendgemeinderat". Damit sollte die im Frühjahr 2020 begonnene Vorbereitung für eine kommunalpolitische Jugendvertretung fortgeführt werden. Die Stadt merkte hierzu an, dass im Haushalt 2021 bereits 9700 Euro für den Aufbau einer Jugendbeteiligung eingeplant seien. Es sei aber noch keine Festlegung auf einen Jugendgemeinderat erfolgt, da die Abstimmung mit Wünschen der Jugendlichen erst im Laufe des Jahres möglich sei.
> Den Freien Wählern war anderes wichtig: Sie wollen bereits in diesem Jahr für Neckargemünd eine sogenannte Bettensteuer einführen, die zwischen 1,00 und 1,50 Euro pro Übernachtung betragen soll. So könnten Einnahmen von 70.000 bis 100.000 Euro pro Jahr erzielt werden. "Diese Bettensteuer belastet nicht unsere Einwohner und wäre ein kleiner Ausgleich der Touristen für die Nutzung unserer Infrastruktur", hieß es. Der Antrag wurde befürwortet. Die Verwaltung solle einen Satzungsentwurf mit der Vorgabe "ein Euro pro Nacht für Erwachsene" ausarbeiten. Kinder sollen von der Abgabe befreit sein. Zudem beantragten die Freien Wähler eine Haushaltsstrukturkommission, die sich mit den strukturellen Problemen vor allem im Ergebnishaushalt befassen soll. Dies sei schon in den vergangenen Jahren gefordert worden und sei "unbedingt notwendig". Sie solle Vorschläge zur Steigerung von Einnahmen und Einsparmöglichkeiten erarbeiten. Die Stadt bewertete den Vorschlag als "grundsätzlich sinnvoll". Die Frage sei die Größe der Kommission. Das Thema soll zu einem anderen Zeitpunkt besprochen werden.
> Die CDU setzte den Schwerpunkt auf Mobilität, Unabhängigkeit und Selbstständigkeit der Bürger auch in den Ortsteilen, innerhalb der Stadt und in deren nahem Umfeld. Deshalb wurde ein Ruftaxi oder eine ähnliche Lösung wie zum Beispiel ein Sammeltaxi für das vom Nahverkehr abgeschnittene Wohngebiet Hollmuth beantragt. Für den Ortsteil Waldhilsbach wurde zudem zunächst ein- bis zweimal wöchentlich ein Bürgerbus nach dem Vorbild der Gemeinde Mauer auf ehrenamtlicher Basis gefordert. Diesen solle aber die Stadt als Mietwagen organisieren und auch die Versicherung bezahlen. Der Bus solle ältere und nicht mobile Menschen zum Einkaufen, zur Apotheke oder zum Arzt bringen. Die Kosten würden bei etwa 4000 Euro liegen. Die Stadt teilte hierzu mit, dass die Anträge zu spät eingereicht worden seien. Sie wurden dennoch kurz angesprochen und werden von der Verwaltung geprüft.
> Die SPD hatte einen Betrag beantragt, der zur Beseitigung der aufgegebenen Notunterkünfte auf dem städtischen Grundstück Herrenweg 17 ausreicht. Dieses solle bebaubar werden. Es sollten "Überlegungen zur Entscheidungsreife" gebracht werden, wie das Grundstück einen "glaubhaften Beitrag" der Stadt zu sozialverträglichem Wohnungsbau leisten könne. "Wir wollen auf keinen Fall, dass das Grundstück an einen meistbietenden Investor verkauft wird", so die SPD. "Dies wäre zwar angesichts der schwierigen Haushaltslage der Stadt verführerisch, aber würde unserer Glaubwürdigkeit in Bezug auf unseren Wunsch der Förderung sozialverträglichen Bauens Abbruch tun." Es wurde entschieden, dass als Planungsrate 30.000 Euro in den Haushalt eingestellt werden. Die SPD unterstützte zudem eine Tourismus-Abgabe und die Einführung eines Jugendgemeinderates. Bei Photovoltaik-Anlagen schlug die SPD vor, eine Bürgerbeteiligung zu untersuchen. Angesichts der Finanzknappheit der Stadt lasse sich ein beschleunigter Ausbau allein aus Haushaltsmitteln wohl nicht erreichen. Maßnahmen des Starkregenrisikomanagements wurden ebenso gefordert. Und der Neubau des Dilsberger Feuerwehrhauses müsse noch in diesem Jahr "sichtbare Fortschritte" machen.
"Wir hoffen, dass es wenigstens für die Schlaglöcher reicht"
So positionierten sich die Vertreter der Fraktionen zum Haushalt:

> Petra Groesser (Grüne) betonte, dass Kinder von einer Bettensteuer ausgenommen werden müssten. "Ein sehr wichtiges und unaufschiebbares Ziel müssen massive CO2-Einsparungen auch hier in Neckargemünd sein", so Groesser. Die Zielmarke bis 2030 sei eine Einsparung von mindestens 40 Prozent gegenüber 1990. "Insofern müssen wir auf allen Sektoren des Klimaschutzes zügig und mutig vorankommen", sagte Groesser. Neben der energetischen Sanierung der städtischen Gebäude solle ein besonderes Augenmerk auf die Errichtung von Solaranlagen auf städtischen Dächern und Flächen gerichtet werden. Hierfür müsse auch die Altstadtsatzung geöffnet werden. Groesser kündigte an, dass 2021 Tempo 30 auf der B 37 angegangen und dort die Situation für Radfahrer verbessert werden solle. Ebenso unerlässlich für den Tourismus sei die sehr schnelle Sanierung des Neckarlauers. Die Altstadt müsse verkehrsberuhigt und Leerstände müssten überwunden werden. "Wir sind sehr enttäuscht, dass es nach über einem Jahr noch immer keinen sichtbaren Fortschritt in Bezug auf eine Jugendvertretung gibt", kritisierte Groesser. "Die zögerlichen Schritte der Verwaltung, die sich ein Jahr lang mit ,Corona-Mehrarbeit’ entschuldigt hat, sind für uns nicht wirklich akzeptabel." Auch den Wohnungsmangel wollen die Grünen in den Blick nehmen.

> Jürgen Rehberger (Freie Wähler) sprach von einem "Corona-Haushalt". Es könnten nur die bereits begonnenen und zugesagten Projekte angegangen werden. Hier stehe das Feuerwehrhaus in Dilsberg an erster Stelle. "Alles andere muss leider zurückgestellt, gestreckt oder verschoben werden", so Rehberger. "Wir müssen mit unseren Ressourcen sparsam und sinnvoll umgehen und gleichzeitig prüfen, wo wir weitere Einnahmen generieren können." Daraus resultierten auch die Anträge zur Einführung einer Tourismusabgabe und einer Haushaltsstrukturkommission. Wegen der schwierigen Lage für Einwohner und Gewerbetreibende sei keine Erhöhung der Gebühren und Steuern geplant. Diese sollten in der angeregten Kommission ausführlich diskutiert und abgewogen werden. Gleichzeitig solle auch nach Einsparpotenzialen gesucht werden, um die strukturellen Probleme im Haushalt langfristig in den Griff zu bekommen. In den vergangenen vier Jahren sei der Schuldenstand auf rund 6,6 Millionen Euro zurückgeführt worden. Die Kreditaufnahme sei zu stemmen. "Wir müssen aber in den nächsten Jahren kürzertreten, um Luft für weiter anstehende, wichtige Projekte zu holen", so Rehberger. "Des Weiteren müssen wir uns auch von Ballast wie zum Beispiel der Griechischen Weinstube trennen."

> Max Bernauer (CDU) sagte, dass das Sparen bei Erziehung und Bildung kein Thema sei. Die Bürger dürften trotz klammer kommunaler Kasse nicht zusätzlich belastet werden. Eine diskutierte Erhöhung der Grundsteuer B habe man im Einvernehmen aller verschoben. Die CDU setze sich weiter für das "seit Langem überfällige Ruftaxi" im Bereich Hollmuth ebenso ein wie für einen "Bürgerbus" nach Mauermer Vorbild, der Senioren in die nächste Umgebung in Waldhilsbach zum Einkaufen und zum Arzt bringt. In den nächsten Jahren müssten größere Einnahmequellen mobilisiert werden, um die Finanzsituation der Stadt zukunftssicher zu machen. Ganz wichtig sei die Sicherheit der Bürger. "Wir drängen alle auf den baldigen Baubeginn des Feuerwehrhauses Dilsberg", betonte Bernauer. Für die Stadtteile Mückenloch und Waldhilsbach stelle das Starkregenmanagement eine weitere Priorität dar. "Das Thema Rad- und Fußverkehr liegt auch uns am Herzen, doch sollten wir – so unsere Meinung – uns zuerst einmal auf die vielen begonnenen und noch nicht abgeschlossenen Projekte konzentrieren und mit neuen erst beginnen, wenn andere fertiggestellt sind", so Bernauer.

> Winfried Schimpf (SPD) meinte, dass der Gürtel noch einmal enger geschnallt werden müsse und fügte an: "Worin wir in Neckargemünd ja schon eine gewisse Übung haben." Deshalb müssten bei diesem eingeschränkten Spielraum die richtigen Prioritäten gesetzt werden: Der Neubau des Feuerwehrhauses in Dilsberg stehe an erster Stelle. Bezahlbares Wohnen stehe als weiterer wichtiger Punkt auf der Agenda. Das Grundstück Herrenweg 17 solle dem sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stehen. Das Vorhaben dürfe nicht in die Warteschleife geraten. Die SPD schlage vor, dass die Stadt Dachflächen gegen einen kleinen Pachtzins an Bürgerenergiegenossenschaften für Photovoltaikanlagen zur Verfügung stellt. Die Stadt habe nicht die notwendigen finanziellen Mittel. Schimpf forderte, dass es bei der Menzervilla und der Griechischen Weinstube endlich vorangehen müsse. Auch wünschte er eine "größere Systematisierung in der Straßenerneuerung". "Wir hoffen, dass wenigstens das Geld für die Ausbesserung aller Schlaglöcher reicht", so Schimpf.

> Marco La Licata (Linke) möchte sich dafür einsetzen, die Vergnügungssteuer weiter zu erhöhen – nicht nur wegen der Einnahmen, sondern auch wegen der Lenkungswirkung. Denn Glücksspielsucht zerstöre Leben. Die Grundsteuer solle auch 2022 nicht erhöht werden, denn die Wirtschaftskrise werde die Pandemie überdauern und die Krise dürfe nicht auf dem Rücken der kleinen Leute ausgetragen werden. Bei der Gebäude- und Grundstückserhaltung sei leider nur das Allernotwendigste möglich. "Das ist für uns und die Stadt schade, da Renovierungen und Umnutzungen wünschenswert wären, zum Beispiel bei der Villa Menzer", so La Licata. An der Feuerwehr dürfe nicht gespart werden. "Das neue Feuerwehrhaus in Dilsberg wird kommen", so La Licata. Dringend notwendig sei mehr sozialer Wohnungsbau.

> Giuseppe Fritsch (fraktionslos) hielt nach seinem Rauswurf bei den Freien Wählern seine erste Haushaltsrede. Die Stadt müsse ihre Pflichtaufgaben konsequent verfolgen und erfüllen, sagte er. Fritsch bedauerte, dass die Gebäude-Unterhaltung durch den Sparzwang um knapp eine Million Euro gekürzt worden sei: "Schade, schade." Das Gewerbe und der Mittelstand müssten ebenso wie bezahlbarer Wohnraum gefördert werden. Fritsch sah viel ungenutztes Entwicklungspotenzial. Es gebe sieben Supermärkte für Neckargemünd und kaum Kleingewerbe mehr. Finanziell sei Neckargemünd an die Grenzen gestoßen. "Es darf nichts Außergewöhnliches mehr passieren", so Fritsch. Fotos: Alex