Angefahrenes Rehkitz erholt sich langsam
Der junge Bock erholt sich bei der "Wildtierhilfe an der Loreley" von seinem Unfall bei Gaiberg. Schwere Zeiten stehen an für den Rehnachwuchs.

Von Christoph Moll
Gaiberg. Nein, einen Namen hat es nicht: das Rehkitz, das unlängst im Wald zwischen Gaiberg und Heidelberg angefahren und schwer verletzt wurde. Denn für Alexandra und Marko Weber von der "Wildtierhilfe an der Loreley" steht nicht die persönliche Bindung zu einem Tier im Vordergrund. Ziel sei immer die Rückkehr in die freie Wildbahn. Auch das Kitz aus der Region ist auf einem guten Weg. Zu betonen sei aber auch, dass es sich leider bei dem Gaiberger Tier um keinen Einzelfall handelt: Rehkitze werden oft zu Opfern des Straßenverkehrs.
Es war in der Nacht auf den 10. Juni, als Autofahrer bei Gaiberg das schwer verletzte Kitz an der Straße liegend fanden und zur Polizei in Heidelberg brachten. "Es hat noch gelebt, konnte aber nicht mehr aufstehen", berichteten die Finder der RNZ. Die Polizei informierte die Berufstierrettung Rhein-Neckar. "Wir haben das Tier abgeholt und durchgecheckt", sagt Abel Tesfay von der Tierrettung. "Es hatte Verletzungen im Kopf- und Nackenbereich, die aber zum Glück nicht sehr schwer waren."
Die Wunden wurden desinfiziert und noch in der Nacht ging es per Transport nach St. Goar zur "Wildtierhilfe an der Loreley". Dort betreiben Alexandra und Marko Weber die Station im fünften Jahr, seit anderthalb Jahren als Verein. "Es ist nach wie vor ein Hobby", sagt Weber, der selbstständig ist und Oldtimer restauriert. Die Vereinsgründung sei notwendig geworden, weil die Arbeit privat finanziell nicht mehr gestemmt werden konnte. "Mittlerweile sind wir eine der wenigen Stationen, die noch die Aufzucht von Rehkitzen macht", so Weber. Diese sei zeitintensiv und die Aufzucht von Wildkatzen sehr teuer. Auch Füchse und Marder gehören zu den Bewohnern.
"Wir nehmen nur Tiere an, die wildbahntauglich sind", betont der Betreiber gegenüber der RNZ. "Die Auswilderung ist wie gesagt immer das Ziel." Denn gerade Rehwild habe in einem Gehege dauerhaft nichts verloren. Eigentlich beschränke man sich bei der Herkunft der Tiere auf Rheinland-Pfalz, doch für das Kitz aus Gaiberg gab es wegen der freundschaftlichen Verbindung zur Tierrettung Rhein-Neckar eine Ausnahme.
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"Es hatte Glück", sagt Weber. Der damals etwa drei Wochen alte Rehbock habe bei dem Zusammenstoß mit einem Auto zahlreiche Hämatome erlitten, der Unterkiefer und die Augen seien geschwollen gewesen. Die Gliedmaßen seien aber unverletzt gewesen. Die größte Herausforderung sei die Ernährung mit Milch gewesen. Wegen des geschwollenen Kiefers musste eine Magensonde gelegt werden. Zudem gab es Schmerzmittel. Nach wenigen Tagen konnte das Kitz aber selbstständig trinken. Mit 2,1 Kilo kam es in die Station, inzwischen bringt es drei Kilo auf die Waage.
Die ersten Tage verbrachte es in einem Kinderreisebett, weil es sich darin nicht verletzen kann. Danach ging es in das Aufzuchtgehege, wo es sich nach wie vor befindet. Ende August oder Anfang September geht es dann ins Waldgehege, um es vom Menschen zu trennen. Milch gibt es bis Ende September oder Anfang Oktober. Je nach Entwicklungszustand wird es noch im Spätherbst dieses Jahres ausgewildert. Von 30 Kitzen im vergangenen Jahr überwinterten nur vier.
Dieses Jahr sei die Situation für Rehkitze besonders dramatisch, berichtet Marko Weber. Die Setzzeit habe sich um vier Wochen vom Mai in den Juni verschoben, gleichzeitig sei die Heuernte früher vonstatten gegangen. Die ersten zwei Wochen verbringen Kitze im Gras, weshalb die Ortung mit Drohnen immer wichtiger werde. 90 Prozent der Rehkitze landen wegen Verkehrsunfällen in der Station. Entweder kann die Mutter das Kitz nicht mehr versorgen oder dieses ist – wie im Gaiberger Fall – selbst Opfer geworden. Der Rest der Tiere werde – oft unnötig – von Menschen aus dem Wald geholt oder sei von Hunden angegriffen worden. "Es sterben mehr Kitze durch Straßenverkehr als durch Jagd", so Weber. Besonders in den frühen Morgenstunden und der Abenddämmerung sollten Autofahrer im Wald derzeit langsam fahren, betont Weber.
Im vergangenen Jahr kam es im Rhein-Neckar-Kreis zu 1008 Wild-Unfällen, wie Polizeisprecher Patrick Knapp auf RNZ-Nachfrage mitteilte. 18 Personen wurden verletzt, davon eine schwer. "Eine Tendenz für das Jahr 2022 kann aufgrund saisonaler Schwankungen noch nicht abgegeben werden", so Knapp.